Eine Russlandkorrespondentin in den USA

Was Russen und Amerikaner trennt - und was sie eint

30:19 Minuten
Zwei bemalte Matroschka-Puppen von Wladimir Putin und Donald Trump auf der gläsernen Theke eines Souvenirgeschäft.
Trump und Putin, die feindlichen Brüder, haben einiges gemeinsam. Ihre jeweiligen Anhänger auch. © Getty Images / Anadolu Agency / Sefa Karacan
Von Gesine Dornblüth · 01.03.2020
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Was wissen Russen und Amerikaner voneinander? Und wie sehr unterscheiden sie sich - 30 Jahre nach dem Kalten Krieg? Mit diesen Fragen reiste Russlandkorrespondentin Gesine Dornblüth durch die USA. Und stellte fest: Es gibt mehr Gemeinsamkeiten, als man denkt.
Ich sitze im Flugzeug. Es ist Jahre her, dass ich zuletzt in diese Richtung geflogen bin – nach Westen. Gewöhnlich berichte ich aus Russland. Aus Moskau genauso wie aus Sibirien. Russland, stellvertretend für die Sowjetunion, und die USA – das ist das gängige Feindbild aus dem kalten Krieg. In Russland ist es seit einiger Zeit wieder lebendig. Und in den USA? Ich sitze in meinem engen Flugsessel und bin mir nicht ganz sicher, ob mir mein Pass voller russischer Visa und Stempel bald Schwierigkeiten bringen wird. Das Flugzeug hebt ab. Das vertraute Moskau, anfangs noch rechts im Bild, verschwindet vom Display.

Freundliche Menschen mit unfreundlichem Präsident

Ich bin mit einem Stipendium unterwegs. Weil ich in den USA Interviews führen möchte, habe ich ein Journalistenvisum beantragt. Das war vor einigen Wochen. Der Visaantrag fordert meine Geduld heraus.
"Haben Sie jemals einen Völkermord angeordnet, dazu angestiftet, ihn begangen, unterstützt oder anderweitig daran teilgenommen?" – Solche und ähnlich absurde Fragen muss ich beantworten. Zu allem Überfluss muss ich auch noch zu einem persönlichen Interview ins Konsulat. Hier sind elektronische Geräte untersagt, Handys, Aufnahmegeräte sowieso, sogar Handtaschen. Viel Aufhebens um Nichts. Am Ende war alles ganz einfach und das Visum im Briefkasten.
"Welcome to Washington Dulles International Airport. As many bags look the same, please check…"
Frische Luft! Nur wenige Reisende warten mit mir auf den Bus. Auf der Straße große Autos und Pick-ups. Ein Mann, signalgelbes T-Shirt, Schirmmütze, regelt den Verkehr. Ich sehe mich um und zähle vier riesige Fahnenmasten mit Stars and Stripes. Der Bus fährt Richtung Zentrum. Was für eine bunte Vielfalt von Menschen, verglichen mit der Uniformität der russischen Gesellschaft.
Vor den großen Museen reihen sich quietschbunte Pizza-, Eis- und Hotdog-Wagen aneinander. Es riecht nach Fett und Zucker. Motoren und Aggregate laufen. Überall Plastikflaschen und Getränkedosen – eine Verpackungsschlacht.
Mir fällt auf, wie höflich die Menschen miteinander umgehen, wie offen sie mich anschauen. Niemand drängelt. Das kenne ich aus Moskau anders. Dort scheint es mir oft, als umgäben sich die Menschen mit einem unsichtbaren Panzer, sobald sie ihre vier Wände verlassen. Viele starren vor sich hin, zeigen ihre Höflichkeit erst, wenn man sie anspricht.
Die Freundlichkeit hier passt nicht zu dem Bild des Mannes, über den alle reden und der das Bild von den USA derzeit prägt: Donald Trump.
"I will be the greatest president that God ever created." Trumps Stimme im White-House-Geschenkeshop gleich neben dem Sitz des Präsidenten. Hier gibt es ein ganzes Regal voller Trump-Devotionalien, Sweatshirts und Schirmmützen mit Trumps Wahlkampf-Slogan "Make America great again" und einen Trump-Kugelschreiber. Wenn man auf den blonden Scheitel des Präsidenten drückt, spricht er. Ich drücke noch mal: "Look, I'm really rich."

Trump und Putin verbindet die Eitelkeit

Ich kenne das aus Russland: Becher und T-Shirts mit Putin in James-Bond-Pose und der Aufschrift "001 Save the World" zum Beispiel. Oder Putin in Militäruniform, als "der höflichste aller Menschen", eine Anspielung auf die russischen Soldaten, die die Krim besetzten. Zwei Männer, die mindestens schon mal eines verbindet: Eitelkeit!
Souvenirshop in Washington mit Trump-Artikeln.
Ein Souvenirshop in Washington mit Trump-Artikeln© Gesine Dornblüth
In Washington treffe ich meine Mit-Stipendiaten. Gemeinsam stehen wir vor dem Weißen Haus. Eigentlich sollte es ganz schnell gehen, doch nun warten wir schon eine Viertelstunde vor der Einlasskontrolle. Meinetwegen.
"Was war denn bei deinem Namen?" "Keine Ahnung. Did he say, what‘s the problem with my passport?" "No. They said it‘s not cleared yet."
Alle anderen haben ihre Besucherausweise längst erhalten. Ich nicht.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mit meiner Tätigkeit in Russland zu tun hat. Aber man weiß ja nie. Jetzt machen die Kollegen auch noch Witze. Und jeder Witz enthält bekanntlich einen Funken Wahrheit.
"Ruf doch mal bei Putin an!"
Am Ende darf ich doch mit hinein. Und alles klärt sich. Ich bin erleichtert.
"Der Organisator hatte deinen Namen im Antragsformular falsch geschrieben. Ein Buchstabe war falsch. Deshalb brauchte das Weiße Haus etwas mehr Zeit."
Andrew Adair hilft unserer Gruppe bei den Terminen in Washington. Eigentlich ist er Politikberater und beschäftigt sich unter anderem mit der US-Außenpolitik
"Was für ein Bild hat man in den USA von Russland heutzutage?"
"Ich bin im Kalten Krieg aufgewachsen, und in allen Nachrichten, allen Medien, allen Kinofilmen – denk mal an Rocky IV zum Beispiel – ging es immer darum, dass die USA die Guten sind und Russland das Böse. Nach dem Kollaps der Sowjetunion hat sich das in der Populärkultur wirklich geändert. George Bush hat bekanntlich gesagt, er habe Wladimir Putin in die Augen geschaut und einen guten Menschen gesehen."
Aber als Russland die Halbinsel Krim annektiert und sich auch noch in die US-Wahlen eingemischt hat, war Schluss mit der Romanze.
"Und als die Regierung 2017 unter Trump eine neue Nationale Sicherheitsstrategie entwarf, hieß es darin, die größte geopolitische Bedrohung sei der Wettbewerb zwischen den Großmächten. Nicht Terrorismus, sondern Großmachtwettbewerb zwischen den USA und China, aber auch zwischen den USA und Russland."
Das Feindbild Russland existiert also, zumindest in der großen Politik. In der Washingtoner Blase.

Wer interessiert sich in Cincinnati für Russland?

Zu dem Stipendium gehört der Aufenthalt in einer Gastredaktion. Meine ist in Cincinnati, einer Stadt mit rund 300.000 Einwohnern am Ohio River, gut anderthalb Flugstunden westlich von Washington. Downtown, unten am Fluss, ragen die gläsernen Hochhäuser verschiedener Firmenzentralen auf.
Die Straßenbahn zuckelt langsam hinauf in die Altstadt. Schmale Straßen, Backsteinbauten, Kirchen mit spitzen Türmen. Cincinnati ist von Einwanderern aus Deutschland geprägt. Ein Viertel heißt sogar "Over the Rhine".
Wie so oft, wenn ich in fremden Ländern unterwegs bin, gehe ich als erstes auf den Markt.
In der Markthalle gibt es handgemachte Pasta, Torten und Eiscreme. Das Grillfleisch heißt "Nashville hot", "Buffalo Ranch" und "Brown Sugar Bourban". Es ist Mittag und voll. An der Stirnseite sitzen zwei Männer auf einer Bank. Ich nähere mich.
Ron Meyer, Anorak, Schirmmütze, Schnurrbart, ist 81 Jahre alt, sein kleiner Bruder Bob rund 20 Jahre jünger.
"Go ahead you ask your questions!"
Ich mache meinen Russland-Check: Was denken die beiden über das Land, über Putin?
"Ich war vor zwei Jahren da! In St. Petersburg. Katharina die Große und die ganzen Touristenattraktionen, das war sehr nett. Es ist eine schöne Stadt, sauber. Die hatten Wohnhäuser mit bestimmt 20 Stockwerken. Wenn du zu viel Wodka getrunken hast, findest du bestimmt nicht nach Hause, die Häuser sahen nämlich alle gleich aus."
Darüber lachen auch die Russen. In einer beliebten sowjetischen Komödie steigt ein Mann in Moskau betrunken in ein Flugzeug nach Leningrad, lässt sich zu seiner Adresse fahren, die es in beiden Städten gibt, und öffnet mit seinem Moskauer Schlüsselbund die fremde Wohnung, die seiner eigenen zum Verwechseln ähnlich sieht. Das russische Fernsehen zeigt den Streifen jedes Jahr zu Silvester. Ron Meyer kennt ihn nicht.
Sein Bruder Bob meldet sich zu Wort.
"Trump hat eine Menge Probleme wegen Russland. Ich denke, die meisten Vorwürfe sind Fake. Also, wir sind übrigens Republikaner."
"Ja, wir sind konservativ," ergänzt Ron. "Wir lieben Trump."
Für mich ist es ungewohnt, dass die Menschen ihre politischen Ansichten so offen vor sich hertragen wie Bob und Ron.
"Wir denken, Trump ist gut für das Land. Ich weiß, er schert sich nicht darum, was er sagt. Aber das ist erfrischend."
"Er benimmt sich anders als andere Politiker. Er sagt, was er glaubt, er tut, was er sagt, und er steht zu seinem Wort. Ich denke, er könnte einer der besten Präsidenten sein, die wir je hatten."
Der Satz kommt mir bekannt vor: Der Trump-Kugelschreiber! Auch in Russland wiederholen die Menschen nahezu wörtlich, was ihnen das Staatsfernsehen eintrichtert. Das Feindbild USA hat sich auf diese Art und Weise in den Köpfen der Menschen festgesetzt. In Russland gibt es allerdings auch nur wenige alternative Medien. In den USA ist das anders. Trotzdem scheinen die beiden Brüder die Welt durch eine Trump-Brille zu sehen. Schnell stellt sich heraus, warum. Sie gucken ausschließlich Fox-News, Trumps Haussender.
Blick auf eine Markthalle in Cincinnati. Vor dem Eingang sind Planzen aufgestellt, und es gibt Sitzbänke.
In der Markthalle in Cincinnati trifft Gesine Dornblüth Amerikaner, die schon mal in Russland waren.© Gesine Dornblüth
Ob sie sich vorstellen können, warum viele Menschen im Ausland Trump nicht mögen?
"Weil die Leute CNN gucken. Da bekommen sie nur Fake-News."
Bruder Bob verdrückt sich. Ron Meyer muss mir noch eine Frage beantworten: Wie findet er die Rolle, die die USA in der Welt spielen?
"Wir versuchen nicht, fremde Länder zu übernehmen oder den Menschen dort zu sagen, wie sie leben sollen. Andere Staaten tun das. Ohne uns wären Europa jetzt unter russischer Kontrolle."
Dann will er noch etwas von mir wissen.
"Nachdem Sie jetzt ein paar Wochen hier sind, um das Land zu erleben, was ist Ihr Haupteindruck?"
"Das Wichtigste ist die Höflichkeit der Menschen. Die Leute, die ich getroffen habe, waren extrem höflich."
"Okay, well, that's good. You'll have to come back and visit us again. Good luck and enjoy all the nice people!"
Die Menschen in Ohio sind nicht nur überwiegend Republikaner, sie sind auch sehr religiös. Überall sehe ich Kirchen. Auch in Russland werden in letzter Zeit mehr und mehr Kirchen gebaut, und die meisten Menschen bezeichnen sich als christlich-orthodox. In den Gottesdienst gehen aber nur die wenigsten. In Cincinnati ist das anders. Ich suche nach einer evangelikalen Gemeinde und werde schnell fündig. Die "River of Life Church" liegt an einer Ausfallstraße. Ein schmuckloser grauer Flachbau mit einem schlanken Metallkreuz darauf. Die Tür geht auf, Gospelgesang dringt heraus.

Russlandexpertise: Die Transsibirische Eisenbahn

Der Gottesdienstraum ist ähnlich schlicht. Grauer Teppichfußboden, Dämmplatten an der Decke, lange Reihen mit Polsterstühlen. Es sind knapp hundert Besucher da. Zwei kleine Kinder tanzen auf dem Gang. Die Musiker stehen auf einer Bühne.
"In the name of your son and all sacred, Jesus Christ, people say Amen!"
Ein Mann in einem grünen Polohemd fordert die Besucher auf, einander zu begrüßen. Er ist der Priester. Ich habe mich noch gar nicht umgeschaut, da steht schon jemand vor mir.
"Nice to meet you!"
In einer der hinteren Stuhlreihen sitzt ein junges Paar, sie schwarz, er weiß. Die beiden tanzenden Kinder gehören zu ihnen. Für meinen Russland-Check gehen wir in einen Nebenraum.
Alexa und Brandon Mason sind 30 Jahre alt. Brandon ist Angestellter in einer Firma, Alexa kümmert sich um die Kinder.
Ich erzähle den beiden, dass die russische Politik stark auf die USA fixiert ist, darauf, als gleichberechtigte Weltmacht auf Augenhöhe anerkannt zu werden.
"Ich glaube, Sie müssten mit jemandem sprechen, der ein bisschen älter ist als wir, mit jemandem, der im Kalten Krieg groß geworden ist. Ich denke eigentlich gar nicht über Russland nach."
Alexa lächelt.
"Aber immerhin bringen wir unseren Kindern etwas bei. Wir haben zuhause eine große Weltkarte an der Wand, und unser Sohn liebt die Transsibirische Eisenbahn! Darüber haben wir ziemlich viel gesprochen. Um mich zur russischen Politik zu äußern, weiß ich zu wenig. Wir versuchen, eher etwas über das Land, seine Kultur und die Menschen dort zu erfahren. So gut das eben geht aus der Ferne."
Ich frage, was die beiden gewählt haben: Demokraten oder Republikaner?
"Ich habe libertär gewählt. Eine dritte Partei könnte etwas Schwung in die Politik bringen. Ich mag das Zweiparteiensystem nicht, es wäre gut, noch eine Partei zu haben."
Alexa braucht das nicht.
"Ich bin eher unabhängig. Ich habe die Republikaner gewählt, ich habe die Demokraten gewählt."
"Meine Befürchtung ist, dass Deutsche oder Europäer insgesamt uns Amerikaner durch den Trump-Filter sehen, dass sie denken, jeder hier ist wie er. Und das ist sicher nicht so! Das stört uns ein bisschen, dass er uns in der Welt repräsentiert. Aber so ist es nun mal."
Russen, die Putin nicht unterstützen, teilen dasselbe Unbehagen in Bezug auf ihren Präsidenten: Durch einen "Putin-Filter" wahrgenommen zu werden.
Russland scheint die Leute in Cincinnati wirklich nicht besonders zu interessieren. Aber auch hier im Mittleren Westen gibt es Experten, die sich professionell mit Russland beschäftigen.
Und zwar an der Miami University. Die liegt nicht in Florida, sondern eine gute Stunde mit dem Auto von Cincinnati entfernt in Oxford/Ohio. Es ist eine der ältesten staatlichen Hochschulen der USA. Rote Ziegelsteinbauten, große Rasenflächen, dazwischen Straßen und Sportplätze.

Der Professor spricht russisch

Steve Norris wartet schon. Der Osteuropa-Historiker leitet das Havighurst Center for Russian and Post-Soviet Studies an der Miami University. Sein Büro hängt voller Drucke von Kandinsky und Chagall. Norris hat noch einen Kollegen dazu gebeten: Benjamin Sutcliffe, Professor für russische Sprache und Literatur.
Während die Teebeutel ziehen, erzählt Steve Norris, warum es das Institut überhaupt gibt – hier, weit weg von Think Tanks und Politikern, die sich mit internationaler Politik beschäftigen.
Das Havighurst Center wurde im Jahr 2000 gegründet. Es war ein Geschenk eines früheren Professors der Miami University, Walter Havighurst. Niemand ahnte, dass der sich für die Sowjetunion interessierte. Doch in hohem Alter, nach dem Tod seiner Frau, zog er zu seiner Nichte. Und die engagierte sich in einem Bürgerdialog mit der Sowjetunion. Das war unter Gorbatschow.
"Als Havighurst 1990 sein Testament schrieb, legte er fest, dass sein Erbe dafür verwendet werden sollte, die Beziehungen zur Sowjetunion zu verbessern. Es ging ihm darum, Sowjetbürger und Amerikaner zusammenzubringen. Das, dachte er, würde die Welt im Kalten Krieg besser machen."
Der Kalte Krieg aber war mit dem Ende der Sowjetunion im Dezember 1991 vorbei.
"Als Havighurst 1993 starb, haben ein paar Leute versucht, das Testament anzufechten, mit der Begründung, es gäbe ja nun keine Sowjetunion mehr. Aber die Gerichte haben bestätigt, dass das Geld der Miami Universität übergeben werden musste. Die Verantwortlichen haben das Beste daraus gemacht und dieses Zentrum gegründet, das Havighursts Namen trägt."
Norris Kollege Benjamin Sutcliffe nickt. Er hat als Kind an den Austauschprogrammen mit der Sowjetunion teilgenommen. Mit einer Gruppe fuhr er in das sowjetische Ferienlager Artek auf der Krim.
"Der Direktor der Organisation, die uns dorthin schickte, wurde später vom FBI verhaftet. Angeblich war er in irgendwelche Geldgeschichten mit dem sowjetischen Geheimdienst verwickelt. Das war unter Ronald Reagan. Wer weiß, ob das stimmte – aber so war damals die Atmosphäre. Ich jedenfalls kam zurück aus der Sowjetunion, und wie viele Amerikaner hatte ich entdeckt, dass Menschen auf der ganzen Welt mehrere Sprachen sprechen, ich aber nicht. Und so begann ich, Russisch zu studieren. Das war ein schwieriger Weg, aber ich bin dabei geblieben."
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Amerikanern und Russen: Die wenigsten reisen in andere Länder, beherrschen andere Sprachen als ihre eigene. Sutcliffe zieht die Brauen zusammen.
Wegen der politischen Spannungen wird der Austausch zwischen Russen und Amerikanern gerade mal wieder schwieriger. So auch Sprachaufenthalte in Russland.
"Einige Studenten können dort nicht hin, wir schicken sie zum Russischlernen stattdessen nach Zentralasien und in die baltischen Staaten."
"Das betrifft Studenten, die ein Stipendium des US-amerikanischen Militärs haben, und Offiziere der Reserve. Sie gelten als 'aktive Militärangehörige'. Das alles ist sehr traurig."
"Wir wollen absolut nicht, dass unsere Studenten auch nur daran denken, sie würden Russisch studieren, um den Feind in Schach zu halten und ihn zu vernichten. Das bringen wir ihnen nicht bei. Sie sollen lernen, die Weltsicht der Russen zu verstehen. Wir geben Kurse in Literatur und Geschichte, ich unterrichte russische Folklore. Wir versuchen, den Studenten eine sehr breite Basis zu vermitteln."

Studentin mit eigener Russland-Geschichte

Aber wer lernt überhaupt noch Russisch? In Amerika? Im Mittleren Westen? Steve Norris bringt mich in ein anderes Gebäude. Dort will ich mit Studenten sprechen.
"Das Center muss als eine öffentliche Institution unpolitisch sein, aber durchaus kritisch. Das heißt, wir unterstützen keine der beiden Parteien, aber es ist unser Job, die Natur des Putin-Staates herauszuarbeiten. Wir reduzieren nicht alles auf Putin. Aber wir können natürlich den Putin-Staat kritisieren, was wir auch sollten. Ich kenne keinen ernstzunehmenden Wissenschaftler, der sagt, das sei kein autoritärer, kein antidemokratischer Staat."
Zwei junge Studentinnen sitzen an einem  Tisch vor einem Bücherregal.
Russisch-Studentinnen an der Miami University in Ohio© Gesine Dornblüth
Vor einem Dozentenzimmer warten zwei Mädchen auf die Sprechstunde. Madeleine Murchland und Olivia Dague sind beide 19 Jahre alt und lernen am Havighurst Center Russisch. Madeleine erzählt.
"Ich studiere Politikwissenschaft. Ich möchte gern für die Regierung arbeiten. Da fiel die Wahl der Sprache leicht. Mich interessiert der Aspekt der nationalen Sicherheit."
Olivia hat ihre eigene Geschichte mit Russland.
"Ich studiere Psychologie, aber ich will Russisch können, weil ich in Russland geboren und adoptiert wurde. Eines Tages will ich nach Russland fahren, meine Eltern finden und mit ihnen sprechen können."
Olivia kam Anfang der 2000er-Jahre in die USA. Viele US-Amerikaner haben seinerzeit Kinder aus Russland adoptiert, darunter solche, die aufgrund von Krankheiten in Russland in Kinderheime abgeschoben wurden. Das ist mittlerweile vorbei. Es hat politische Gründe. Als Wladimir Putin 2012 zum dritten Mal Präsident werden wollte, gingen zigtausende Russen gegen ihn auf die Straße. Putin behauptete, die USA hätten die Proteste organisiert. Die US-Regierung ihrerseits warf Putin vor, Menschenrechte zu verletzen. Es folgten die ersten Strafmaßnahmen. Russland untersagte US-Amerikanern, russische Kinder zu adoptieren.
"Was weißt du über Russland?" "Ich weiß gar nicht viel. Ich will aber mehr lernen, auch über die Politik. Und ich will unbedingt dort studieren und mehr über die Kultur lernen."

Russisches Viertel in New York

Meine letzte Station: New York. Ich nehme die U-Bahn nach Brighton Beach. Dort will ich Menschen treffen, die aus der Sowjetunion geflohen sind. In den 1970er-Jahren erlaubte die UdSSR jüdischen Bürgern, in die USA auszureisen. In New York haben sich viele in Brighton Beach angesiedelt.
Noch auf dem Bahnsteig sehe ich auf der Hausfassade gegenüber ein Schild in zwei Sprachen. "Cellphone and Laptop Repair", "Remont Sotovych i kompjuterov". In den Schaufenstern noch mehr Russisch: "Rasprodascha", Ausverkauf von Damenbekleidung. Bis zum Strand ist es nur ein Häuserblock. Ein scharfer Wind weht vom Meer. Möwen laufen über den Sand.
Die Promenade ist aufgeräumt und fast leer. Ein Rentnerpaar sitzt da, mit Mikrofon und tragbarem Lautsprecher. Sie trägt Rot: Anorak, Kapuze, Stiefel, und eine Häkelkappe auf dem Kopf. Er wiegt sich im Takt der Musik.
Drei Senioren, sowjetische Emigranten am Brighton Beach in New York.
Sowjetische Emigranten am Brighton Beach in New York© Gesine Dornblüth
Vor dem Restaurant "Tatiana" sitzen Raissa Veksler und Vladimir Kryss mit einer weiteren Freundin in der Mittagssonne.
"Ich bin aus der Sowjetunion gekommen. Vor 41 Jahren aus Odessa. In der heutigen Ukraine. Ich habe dort als Ingenieur gearbeitet und hier auch. Wir leben alle hier und wir sind alle Amerikaner.
We're proud to be Americans."
Raissa stimmt Vladimir zu.
"Yes absolutely! Es war der beste Tag in meinem Leben, als wir den Pass bekamen und amerikanische Staatsbürger wurden. Es war eine große Sache für mich und meine Kinder. Ich bin 1979 gekommen. Aus einer sehr kleinen Stadt zwischen Odessa und Kiew. Dort war ich Pianistin. Hier habe ich gelernt, Fingernägel zu machen. Und ich habe sehr gutes Geld verdient. Aber es war nicht leicht."
Sie lächeln. Die beiden sind mit ihren Familien aus einer Großmacht in die andere geflohen. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, aber heute will Russland wieder Großmacht sein.
"Russland ist kurz vor der Sowjetunion," findet Vladimir. "Direkt auf dem Weg in den Totalitarismus. Ich sehe keinen Unterschied zwischen Putin and Breschnew."
"Putin ist mein Held. Wir sollten Putin für zwei Jahre hier haben. Das hier ist keine Demokratie mehr! Wir bewegen uns zurück. Ich komme aus einem kommunistischen Land. Und jetzt soll auch dieses großartige Land hier sozialistisch werden?"
Eins zu eins übernimmt sie Trumps Behauptungen. Er nämlich verbreitet, die Demokraten wollten die USA zu einem sozialistischen Staat machen. Wie sie darauf kommt, dass ausgerechnet Putin Demokratie fördern würde, ist mir schleierhaft.
"When I watch TV, of course I'm watching Fox."
Vladimir erklärt, was sowieso schon klar ist. "She is republican."
"Yeah, I'm republican, and I'm proud to be American and Republican, and I see how they want to turn America to be communist. Okay?"
Vladimir Kryss schüttelt den Kopf.
"Das wird es nie geben: Sozialismus in den USA."
Was die beiden eigentlich sagen wollen, bleibt für mich im Unklaren. Aber immerhin: Sie streiten und empfinden das als normal.
"Das ist doch kein Streit," findet Raissa. "Wir kommen von der anderen Seite, dort durfte man überhaupt nicht offen reden."
Und das nehme ich dann auch mit von meiner Reise in den Westen: den Eindruck einer geteilten Gesellschaft, die aber, anders als in Russland, zumindest noch offen streitet. Den Eindruck einer Gesellschaft, die von Russland, dem angeblichen Feind, nur äußerst diffuse Vorstellungen hat, zum Teil gar nichts weiß. Und ich nehme eine ungewohnte Erfahrung mit: In fünf Wochen in den USA bin ich nicht ein einziges Mal gefragt worden, wer mich geschickt hat und warum ich etwas frage. Und ich habe auch nicht einen getroffen, der nicht mit mir reden wollte.

Diese Recherche wurde im Rahmen eines Stipendiums der RIAS Berlin Kommission realisiert.

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