"Eine politische Grenze überschritten worden"

Constanze Stelzenmüller im Gespräch mit Nana Brink · 11.01.2011
Nach den Schüssen auf die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords ist Constanze Stelzenmüller vom German Marshall Fund davon überzeugt, dass das Schicksal der Politikerin die Menschen zu Recht weiter beschäftigen werde. "Das wird sicherlich noch lange nachhallen", erklärte sie.
Nana Brink: Der Anschlag auf die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords am Wochenende hat die USA erschüttert. Ein junger Mann hat sie bei einem Gespräch mit Bürgern in den Kopf geschossen, sie hat es knapp überlebt, kämpft mit dem Leben. Sechs weitere Menschen blieben tot im Kugelhagel des mutmaßlich verwirrten Einzeltäters zurück. Und seitdem diskutiert das Land über die zunehmend aggressive Rhetorik, die zwischen den politischen Parteien herrscht.

Am Telefon ist jetzt Constanze Stelzenmüller vom German Marshall Fund in Berlin. Einen schönen guten Morgen, Frau Stelzenmüller.

Constanze Stelzenmüller: Guten Morgen.

Brink: Ist die politische Sprache seit dem Amtsantritt von Obama rüder geworden?

Stelzenmüller: Ich glaube, die Antwort darauf ist Ja und Nein. Man muss wissen, dass in Amerika eigentlich seit Beginn der Republik, sagen wir mal, ein sehr sportlicher Ton, der auch von Europäern oft als rüde empfunden wird, zum politischen Geschäft dazugehört. Man denke nur an die letzten Jahre von Präsident Nixon und den Vietnamkrieg. Da ging es in Amerika auch hoch her. Tatsache ist aber, dass das Land derzeit auch wegen der Wirtschaftskrise sehr polarisiert wird und ist und sich das auch in der Sprache äußert.

Brink: Selbst der Polizeichef von Tucson sprach von der aufgeheizten politischen Stimmung in Arizona, dem Ziel zahlreicher illegaler Zuwanderer, und er sagte, ein solches Klima könne psychisch labile Menschen beeinflussen: "Wir sind zu einem Mekka des Hasses und des Vorurteils geworden." Ist das so?

Stelzenmüller: Dazu muss man Folgendes sagen. Der Polizeichef von Tucson ist wie Gabrielle Giffords ein Demokrat und ein persönlicher Freund von ihr gewesen, oder ist ein persönlicher Freund von ihr, muss man ja sagen. Und ich denke, dass diese Tatsache sicherlich seine Einschätzungen der ersten Stunden stark eingefärbt hat. Ich glaube, Mekka des Hasses und der Vorurteile ist übertrieben. Tatsache ist, dass allerdings auch der Wahlkampf in Arizona besonders hitzig war. Es ist ja schon mehrfach in der Presse in den letzten Tagen erwähnt worden in Amerika und hierzulande, dass unter anderem Sarah Palin eine Wahlkampfkarte gedruckt hat, auf der die Wahlkreise von Abgeordneten, die man wiedergewinnen wollte, mit Fadenkreuzen markiert waren. Das ist auch in Amerika als jenseits der politischen Grenze des Anständigen empfunden worden.

Brink: Was ich nun interessant finde, wenn man auf die Schlagzeilen der großen Zeitungen guckt, egal auch, welche Richtung sie haben. Sie alle wollen das ja etwas runterspielen und sagen, das ist jetzt nicht politisch motiviert gewesen und die Rhetorik sei auch nicht schuld gewesen. Versucht man, da etwas zu deckeln?

Stelzenmüller: Ich glaube, das ist in Amerika nicht möglich. Das, was wir jetzt sehen, sind die Schwingungen der Diskussionen. Das wird sicherlich noch lange gehen. Wir sollten vielleicht nicht vergessen, dass es Amokläufe auch in anderen Ländern gibt, auch bei uns. Ich denke nur an Winnenden und Erfurt.

Aber es ist auch so, dass in Amerika sich gerade wegen der Wirtschaftskrise natürlich die politischen Sorgen und Ängste der Menschen noch verschärft haben. Wer immer jetzt Politiker ist in so einer Lage, sieht sich großen Ängsten und auch Vorwürfen und auch einem gewissen Verdacht ausgesetzt. Das gibt es allerdings auch bei uns, muss man sagen.

Brink: Ist dann der Eindruck aber trotzdem richtig, dass Amerika über nichts anderes redet, ja irgendwie doch geschockt ist? So zumindest kommt es bei uns hier an.

Stelzenmüller: Das ist sicher richtig. Man denke an die Schweigeminute gestern, die das ganze Land - inklusive der Präsident und seine Ehefrau Michel Obama - eingehalten haben. Auch die Republikaner im Kongress, die sich ja in den ersten Tagen nach dem Zusammentritt des neuen Kongresses und nach ihrem großen Wahlsieg als durchaus kämpferisch gezeigt haben, haben zunächst mal den Ton deutlich runtergedreht. Wir werden sehen, wie sich das in den nächsten Tagen entwickelt.

Brink: Das wäre ja interessant, denn dieser Anschlag ist ja auch ein Hinweis darauf, dass das Land zutiefst politisch gespalten ist. Sie haben das erwähnt. Ein Land, das sich seiner selbst unsicher ist, das also lange auch verwirrt sein wird, oder ist das nur eine Momentaufnahme?

Stelzenmüller: Verwirrt würde ich nicht sagen, aber ich glaube schon, dass Amerika zurzeit mit zwei großen Dingen ringt: Einmal der bereits erwähnten Wirtschaftskrise, die Amerika schwer getroffen hat und schwerer als andere vorherige Wirtschaftskrisen, weil es diesmal zum ersten Mal in der Erfahrung der lebenden Generation mit einer echten strukturellen Arbeitslosigkeit zu tun hat. Das ist etwas, was die Europäer sehr viel besser kennen. Für die Amerikaner ist das neu, das schränkt die Mobilität der Arbeitnehmer ein und ist etwas, was die Leute zutiefst verunsichert.

Und der zweite große Faktor ist das Aufsteigen autoritärer Mächte weltweit, verbunden mit beachtlicher wirtschaftlicher Macht, China, Brasilien, Russland und andere, und auch das schmälert natürlich den Supermacht-Status von Amerika. Auch das macht den Leuten zu schaffen.

Brink: Wie, denken Sie, wird das ausgehen? Wird das vergessen sein in ein paar Wochen, oder wird das Auswirkungen haben, die nachhallen, gerade auch auf die politische Rhetorik, auf den Umgang miteinander?

Stelzenmüller: Hierzu muss man sagen, Gabrielle Giffords war offensichtlich nicht nur eine sehr beliebte, sondern auch sehr kompetente und sehr charismatische Volksvertreterin, die von den Leuten in ihrem Wahlkreis und weit darüber hinaus sehr geschätzt wurde.

Ich denke, ihr Schicksal, egal wie ihr Kampf mit dem Tod ausgeht, wird die Leute sehr beschäftigen, und das zurecht. Sie war völlig unbewaffnet, sie hat bei einer kleinen politischen Veranstaltung gesprochen in einem Shoppingcenter, wo sie versucht hat, sozusagen den Kontakt zu den Wählern aufrecht zu erhalten, wie sich das gehört, wenn man so will. Das ist auch das, was Amerikaner von ihren Abgeordneten verlangen. Hier ist, glaube ich, aus Sicht der Amerikaner eine politische Grenze überschritten worden. Das wird sicherlich noch lange nachhallen.

Brink: Constanze Stelzenmüller vom German Marshall Fund in Berlin. Schönen Dank für das Gespräch.

Stelzenmüller: Ich danke. Schönen Morgen noch.
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