"Eine Manifestation des Zeitgeistes"

Ulrich Eckhardt im Gespräch mit Marietta Schwarz · 22.03.2012
Der ehemalige langjährige Intendant der Berliner Festspiele, Ulrich Eckhardt, hat Kritik am Konzept für den Neubau des Berliner Stadtschlosses geübt. Anlässlich des bevorstehenden Beginns der Bauarbeiten sagte er, das Projekt werde für jeden, der damit zu tun habe, "zu einer schweren Last".
Marietta Schwarz: Das Humboldt-Forum ist wohl das größte kulturpolitische Projekt Deutschlands. Im rekonstruierten Stadtschloss sollen Ethnologisches Museum, das Museum für Asiatische Kunst, Sammlungen der Humboldt-Universität und Teile der Zentral- und Landesbibliothek untergebracht sein und in dieser Nachbarschaft zu einem größeren Ganzen zusammenwachsen. Eine große Aufgabe, eine Weltidee, wie manchen sagen, eine, die viele Jahre alt ist und auch vertraglich festgeschrieben. Allein, wie sie genau umzusetzen sei, das ist immer noch offen.

Dabei ist 2013 bereits die Grundsteinlegung und noch in diesem Monat rücken die ersten Bagger an, um den Boden für das Gebäude vorzubereiten, die ersten Fundamente werden dann gegossen. Hinken die Konzepte dem Bau der Retrohöhle hinterher? Darüber will ich sprechen mit Ulrich Eckhardt, von 1973 bis 2000 war er Intendant der Berliner Festspiele und hat sich als solcher immer eingemischt in die Geschicke der Stadt. Jetzt ist er zu Gast im Studio, herzlich willkommen, Herr Eckhardt!

Ulrich Eckhardt: Guten Morgen!

Schwarz: Herr Eckhardt, welche Faszination geht denn überhaupt von diesem Projekt Stadtschloss für Sie aus?

Eckardt: Für mich keine Faszination, sondern eine schwere Bürde. Denn wir haben es hier zu tun mit einem Geflecht von Fehlentscheidungen, Fehleinschätzungen und Lebenslügen. Und das hat natürlich enorme Auswirkungen jetzt auf die mangelhafte Konzeption, was in diesem Gebäude zu sehen und zu hören und zu erleben sein wird. Ich glaube, dass bei der Entscheidung, das Schloss wieder aufzubauen und den Palast der Republik abzureißen, die Leute gar nicht sich vorher richtig informiert haben.

Ein Blick auf alte Fotografien, als das Stadtschloss noch stand - also, da gibt's ja diese wunderbaren historischen Fotografien aus dem 19. Jahrhundert -, hätte den Leuten, die das zu entscheiden hatten, gezeigt, dass dieses Schloss wie eine Zwingburg in der Mitte der Stadt steht und keineswegs das Herz der Stadt war oder die Mitte, wie man es heute gerne uns vorgaukeln möchte.

Und was den Palast der Republik angeht: Vielleicht ist niemand von denen, die das entschieden haben, je in diesem Palast der Republik gewesen. Das war ein wirklich offenes Volkshaus, der große Saal war genial, er war für alles geeignet, eigentlich fehlt uns heute so ein Saal, wie er hier in der Mitte der Stadt war. Und die Foyers waren immer belebt. Man traf sich da. Wenn man das also Ballast der Republik getauft hat, dann gilt das wahrscheinlich eher für das, was jetzt kommt, das wird nämlich ein Ballast sein.

Schwarz: Nun ist dieser Palast der Republik schon seit einigen Jahren abgerissen und der Deutsche Bundestag, unsere Volksvertreter, haben sich ja für den Wiederaufbau des Schlosses entschieden. Die Bagger stehen in den Startlöchern und jetzt müssten wir vielleicht einfach mal weiter nach vorne gucken und diese Diskussion abschließen?

Eckardt: Das ist mir ja klar. Wir haben hier also mit vollendeten Tatsachen zu rechnen. Aber dieses Gebäude ist noch gar nicht so recht einzuschätzen in seinen gewaltigen Ausmaßen. Das haben die Modelle so an sich, dass die immer so nett aussehen. Sie sehen also immer sehr fröhlich aus, sehr hell, und sie sehen geräumig und schön aus. Aber was hier entsteht, ist für jeden, der hier zukünftig zu arbeiten hat, eine schwere Last. Das kann ich wirklich beurteilen, der ich ja mit dem Martin-Gropius-Bau umgegangen bin in großen Ausstellungen, und auch mit anderen Räumen, die ich benötigte, um Theater- und Musikaufführungen durch die ganze Stadt hindurch zu machen. Ich möchte nicht in der Rolle sein, dieses Gebäude bespielen zu müssen ...

Schwarz: ... weshalb? ...

Eckardt: ... und nun kommen wir zu dem Konzept des Humboldt-Forums: Dieses Konzept ist ähnlich wie auch die Humboldt-Box von vornherein ein bisschen fragwürdig. Es handelt sich hier um eine Manifestation des Zeitgeistes: Recht oberflächig ist also zusammengestrickt worden, was jetzt gerade so in Mode ist. Es wird sich nicht als nachhaltig erweisen. Man wird in einer Generation später schon wieder alles ganz anders sehen, als man das jetzt mit diesem Plan für das Humboldt-Forum sieht.

Schwarz: Was ist daran modisch?

Eckardt: Modisch ist, dass man also so ein Sammelsurium macht und meint, man könnte hier mit Artefakten, mit sehr äußeren Bezügen etwas zum Weltgeist sagen oder zu den Verhältnissen im globalen Zusammenhang. Es gibt ja genügend Kritik auch von denjenigen, die ja selbst diese Kulturen verkörpern, an diesem Konzept. Das ist ja doch ein eurozentrisches oder ein westlich orientiertes Konzept: Man bringt hier Sachen zusammen, die eigentlich auch nicht zusammengehören. Und wenn man den Dialog mit den Kulturen machen will, dann ist zum Beispiel das Haus der Kulturen der Welt als Gehäuse viel geeigneter dafür. Das Schloss ist zu groß ...

Schwarz: ... das ist auch nicht im Zentrum.

Eckardt: Gerade deswegen, weil es nicht im Zentrum ist, sondern es ist sozusagen an einem luftigen, freien Ort, an einem Ort, der sich erst mal definieren kann. Hier ist der Ort schon definiert. Die Definition durch dieses Gebäude ist die schwere Last, die darauf liegt. Also, ich selbst habe auch kein Rezept und ich beneide niemanden, der da Verantwortung hat, um in einem ungeeigneten Gebäude, an einem falschen Ort ein Konzept zu realisieren, das nicht über die Generationen hinaus wirksam sein wird.

Das möglicherweise Beste in dieser Situation wäre noch, es ganz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu übergeben, wobei auch da natürlich man immer daran denken muss: Wie sah denn das Schloss aus nach 1918 bis zur Zerstörung, was hat denn da sich ereignet? Ja, die Nationalgalerie war darin, aber das war nur ein Bruchteil! Was ist denn mit all den riesigen Räumen, die noch da sind? Für Depots eignet sich das Ganze sowieso überhaupt nicht, man braucht aber zu einem Museum auch ein Depot. Also, es ist überall zu kurz gedacht, zu kurz gegriffen, zu kurz gesprungen.

Schwarz: Könnten Sie sich vorstellen, dass es noch mal einen Protest gegen dieses Projekt gibt wie zum Beispiel bei Stuttgart 21?

Eckardt: Nein. Also, dafür ist die Sache nicht spannend genug und auch nicht breit genug in der kritischen Betrachtung. Es ist eine gewisse Resignation und eine gewisse Ratlosigkeit, würde ich hinzufügen. Denn den meisten, die damit zu tun haben, auch wenn sie es jetzt anders äußern, ist natürlich schon bewusst, dass hier viele Fehler gemacht worden sind, dass es sich um ein ganzes unauflösliches und schwer zu entwirrendes Bündel handelt von Fehlentscheidungen und von kontrastierenden Interessen.

Schwarz: Ulrich Eckhardt, ehemaliger Intendant der Berliner Festspiele war das zum geplanten Humboldt-Forum, die Bauarbeiten beginnen noch in diesem Monat. Danke, Herr Eckhardt, für das Gespräch!


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Der Blick von der Aussichtsterrasse der Humboldt-Box zeigt die Ausgrabungsfläche am Schlossplatz in Berlin, auf der das Humboldt-Forum entstehen soll.
Der Blick von der Aussichtsterrasse der Humboldt-Box zeigt die Ausgrabungsfläche am Schlossplatz in Berlin, auf der das Humboldt-Forum entstehen soll.© picture alliance / dpa, Stephanie Pilick
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