Eine lange Röhre für die Blechlawine

Von Regina Kusch · 05.09.2010
Er verbindet Mitteleuropa mit Italien und erspart den Autofahrern die Überquerung des Passes: der St. Gotthard Straßentunnel. Nach zehn Jahren Bauzeit wurde er am 5. September 1980 eröffnet und ist noch heute mit 17 Kilometern einer der längsten Straßentunnel der Welt.
"Der Gotthard Straßentunnel ist eröffnet!"

Voller Stolz präsentierte der Schweizer Bundesrat Hans Hürlimann am 5. September 1980 den längsten Straßentunnel der Welt. Zehn Jahre hatte es gedauert, um von Göschenen im Kanton Uri eine knapp 17 Kilometer lange Röhre durch den Berg nach Airolo im Tessin zu treiben. Seit der Antike gehört der Passweg über den Gotthard zu den Hauptverbindungen zwischen Mitteleuropa und Italien. Nachdem die Deutschen in den 60er-Jahren Italien als Urlaubsland entdeckt hatten, wälzte sich dort in den Sommerferien die berüchtigte Blechlawine und verursachte jedes Mal ein Verkehrschaos. Damit sollte nun Schluss sein, versprach Hürlimann.

"Unsere traditionelle Bereitschaft, den Reisenden, den Touristen die Durchfahrt und den Aufenthalt zu ermöglichen, in einer Art, wie sie einmalig ist in der Welt, bewährt sich einmal mehr und wird mit diesem Werk Tatsache."

Kritikern, die gegen Landschaftszerstörung und Lärm protestierten, versprach der Bundesrat, der Tunnel sei kein Korridor für den Schwerverkehr. Der Gütertransport solle hauptsächlich auf dem Schienenweg durch den St. Gotthard Eisenbahntunnel erfolgen, der bereits 100 Jahre vorher eröffnet worden war. Den Löwenanteil der Baukosten hatten damals Deutschland und Italien übernommen. Denn Reichskanzler Bismarck wollte eine schnelle Verbindung von Nord nach Süd durch - wie er es nannte - neutrales Zwischenland, unabhängig von den Bahnlinien der konkurrierenden Großmächte Frankreich und Österreich. Der Straßentunnel erlaubte nun auch dem Autoverkehr, vom Wetter unabhängig durch den Gotthard zu gelangen. Doch es kamen keineswegs nur Touristen, sondern auch massenhaft Lastwagen. Schon bald passierten über 5000 Lkws täglich diese Strecke.

"Achtung! Eine Durchsage der Polizei: Alle im Tunnel befindlichen Automobilisten werden gebeten, die signalisierte Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern nicht zu unterschreiten."

Immer wieder haben Umfragen ergeben, dass sich die meisten Autofahrer bei der Durchfahrt - trotz der aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen - unwohl fühlten.

"17 Kilometer im Tunnel find ich anstrengend, das Drückende, dass man halt nicht raus kann. Ich bin jedes Mal froh, wenn ich durch bin."

Dabei galt er - vom ADAC mit der Note Gut bewertet - als sicher, bis es am 24. Oktober 2001 zu einem tragischen Brandunfall kam.

"Zwei Lkw waren am Morgen frontal aufeinander gestoßen. Sie hatten Reifen und Planen geladen. Einer der Lkw-Fahrer konnte sich retten. In einem Tessiner Sender hatte er erzählt, dass der andere Lkw ihm im Zick-Zack-Kurs entgegenkam und er habe nicht mehr ausweichen können. Dann sei er ausgestiegen und habe die Nachkommenden gewarnt."

Elf Menschen starben bei dem Unglück. Nach dem Brand war die Durchfahrt acht Wochen lang unmöglich. Danach wurden strenge Regelungen durchgesetzt: Pro Stunde durften nur noch maximal 2000 Wagen den Tunnel passieren und Lastwagen nicht mehr unmittelbar hintereinander fahren. Weil der Verkehr nach der Wiedereröffnung weiter zunahm, verstärkte sich die Forderung der Automobillobby, die eine zweite Röhre durch den Berg zu bauen. Doch der damalige Bundespräsident Moritz Leuenberger lehnte das ab.

"Die zweite Gotthard-Röhre ist immer aus verkehrspolitischen Gründen, nämlich zur Erhöhung der Transitkapazität und nicht aus Sicherheitsgründen gefordert worden. Wenn wir eine zweite Gotthard-Röhre nur wegen der Sicherheit bauen würden, dann dürfte sie je nur einspurig betrieben werden, denn die Verfassung verbietet uns eine Erhöhung der Kapazität durch die Alpen."

Bereits 1994 war der Ausbau der Transitstraßen durch die Schweizer Alpen in einer Volksabstimmung verboten worden. Stattdessen wird ein zweiter Eisenbahntunnel gebaut, der 2017 geöffnet werden soll. Dieser Gotthard-Basis-Tunnel, der mit 57 km als der längste Eisenbahntunnel der Welt geplant ist, soll sieben Milliarden Franken kosten und eine Geschwindigkeit von 250 Kilometern pro Stunde erlauben. Mit Autoreisezügen wird eine "rollende Landstraße" eingerichtet. Zeitgleich steht eine Renovierung des Gotthard Straßentunnels an, die etwa ein Jahr dauern soll. Schon werden wieder Stimmen laut, die den Bau einer zweiten Röhre für Autos fordern. So geht der Streit um den besten Weg durch die Alpen weiter.