Eine Lange Nacht über Vorbilder in der Musik

Glühend verehrt, schmerzlich entzaubert

Der amerikanische Trompeter und Bandleader Harry James
Der amerikanische Trompeter und Bandleader Harry James bei einem Auftritt 1957 in Deutschland. © picture alliance/dpa/Foto: Heinz-Jürgen Göttert
Von Sylvia Systermans · 21.04.2018
Der amerikanische Jazztrompeter Harry James war einer der ersten Vorbilder für Trompeter Manfred Schoof. Für die Cellistin Tanja Tetzlaff war musikalisch gesehen Heinrich Schiff prägend. Vorbilder können fördern und fordern. Doch nicht jeder ist auch zum Vorbild berufen.

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"Jemand muss uns tief berühren, damit er für uns zum Vorbild wird. Das sind keine bewussten Entscheidungen", sagt die Bratschistin Monika Henschel. Sie war noch ein Kind, als der Dirigent Sergiu Celibidache für zwei Jahre ins Haus der Henschels zog. "Mit ihm kam ein Vorbild in unsere Familie, dem man sich gar nicht entziehen konnte."
Auch die Cellistin Tanja Tetzlaff und die Geigerin Carolin Widmann, der Pianist Lars Vogt und die Trompeter Markus Stockhausen und Manfred Schoof erinnern sich an Vorbilder, die für sie prägend waren.
In der Langen Nacht erzählen sie Geschichten von älteren Brüdern und berühmten Vätern, charismatischen Lehrerinnen und überragenden Künstlern, von gelungenen Beziehungen und schmerzhaften Trennungen.
Tanja Tetzlaff, Cellistin: "Große Vorbilder sind für mich Leute, die einfach in dem Moment, wo sie sich hinstellen, mit dem ganzen Körper und mit allem sagen, ich stehe hinter dem, was ich mache und was ich aussagen möchte und nicht nur als Künstler, sondern auch als Mensch."

"Es gab in seinem Charakter Mängel"

Markus Stockhausen, Trompeter: "Mein Vater war in vielerlei Hinsicht ein Vorbild. Aber es gab in seinem Charakter Mängel, die ich schon früh spürte, wo ich dachte, da konnte er mir nicht Vorbild sein, da habe ich einfach anders gefühlt. Ich wollte nicht nur, weil ich Stockhausen heiße, seine Stücke spielen, sondern ich wollte als Trompeter gut sein. Ich wollte es einfach wissen, wie gut muss man sein, um dieser Welt zu genügen."

Carolin Widmann, Geigerin: "Es gab einen richtigen Schlüsselmoment, wo ich wirklich dachte, ich hör einfach auf mit Geige, das war in Paris bei einem Meisterkurs. Mit meiner Lehrerin haben ganz viele andere Geiger dagesessen. Ich hatte fünf, sechs Stücke vorbereitet und sie sagte, sie möchte gerne Paganini fünfte Caprice hören. Ich habe die jetzt seit einem halben Jahr nicht gespielt, dann habe ich mich irgendwie durchgekämpft und sie hat sich totgelacht, sich eine Zigarette angesteckt und gesagt: Nee, also, dann kann es ja nichts werden."
Anna Lucia Richter, Sängerin: "Meine Eltern haben immer gesagt, dass es ihnen einfach darum geht, dass wir glücklich sind und ob das nun mit der Musik oder mit etwas anderem passiert, ist zweitrangig. Aber natürlich, wenn man das immer so mitbekommen hat, dann hat man einfach auch eine Freude daran."
Monika Henschel, Bratschistin: "Jemand muss uns tief berühren, damit er für uns zum Vorbild wird. Das sind keine bewussten Entscheidungen, die wir da treffen."
Die Geigerin Carolin Widmann
Die Geigerin Carolin Widmann © Marco Borggreve

Carolin Widmann, Geigerin

Geboren 1976 in München. Eine der profiliertesten Interpretinnen zeitgenössischer Musik, die es liebt, wenn in der Musik von Rihm bis Sciarrino "alles pfeift und rauscht". Die mit ebensolcher Hingabe Schumann, Brahms und Beethoven spielt. Oder zur Barockgeige greift und Mozarts Violinkonzert von der Geige aus leitet. Zuallererst erkundete Carolin Widmann Musik mit ihrem Bruder, dem Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann.
Mit ihm spielte sie als Kind mit Stofftieren die "Zauberflöte" nach, besuchte Konzerte von Miles Davis und war die erste, die seine frühen Violinwerke aufführte. Heute konzertiert Carolin Widmann weltweit als Solistin und Kammermusikerin und ist Professorin an der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig. Sie hat es geschafft. Durch 10.000 Überstunden hindurch, die man braucht, um ein Instrument zu beherrschen, durch Höhenflüge gewonnener Wettbewerbe und jähe Abstürze nicht enden wollender Selbstzweifel. Eine Perfektionistin, deren Blick auf Vorbilder das eigene Können mitunter verblassen ließ und die sich selbst zu Höchstleistungen antrieb. Mit Härte und Disziplin.

"Davor war sie eine gestandene Solistin"

Für Carolin Widmann war und ist Virtuosität nie Selbstzweck, sondern probates Mittel, mit dem sie auch emotionale Tiefenschichten der Musik ergründet. Ihr einflussreichstes Vorbild war nicht Paganini, sondern die französische Geigerin Michèle Auclair. Jahrgang 1924.
Carolin Widmann: "Ich ging direkt nach dem Abitur mit Achtzehn nach Paris um mit ihr zu studieren und dabei muss ich sagen, wenn sie in Sibirien gewesen, wäre ich auch dorthin gegangen. Das war eine unglaublich faszinierende Person, die wirklich gesagt hat, was sie denkt, ein unglaublich politischer Mensch. Sie war verheiratet mit einem Widerstandskämpfer im dritten Reich in Frankreich und sie war eine Interpretin, die großartig war. Sie musste mit 34 aufhören zu spielen, weil sie sich die Schulter gebrochen hatte bei einem Autounfall. Aber davor war sie eine gestandene Solistin. Sie hatte in ihrem Unterrichtsstil eine unglaubliche unerbittlicher Strenge und Härte, die mich aber wirklich angetrieben hat zu Höchstleistungen.
Es gab auch immer wieder Momente, wo es mich fast gebrochen hätte, weil ich auch das Gefühl hatte, vielleicht denkt sie auch, das hat keinen Sinn mit mir. Das hat sie mir vielleicht zu wenig vermittelt nach den heutigen Standards der Pädagogik, dass sie an mich glaubt. Sie hatte zum Beispiel nach sehr guten Konzerten mich richtig in die Mangel genommen, das ist nicht gut, das ist nicht gut. Das war jetzt ein Erfolg, weil die Leute das gar nicht kapieren, dass du das nicht kannst. Daran musst du arbeiten und ich werde die Letzte sein, die dir das sagt. Nach mir wird dich keiner mehr so kritisieren, wie ich das tue. Sie hat Recht behalten. Ich weiß gar nicht, ob das ein Vor- oder Nachteil ist, aber es hat sich auch verinnerlicht, also, ich bin so ein großer Kritiker von mir selber. Der Vorteil ist natürlich, dass man immer weitersucht, immer weiterarbeitet, immer. Aber der große Nachteil ist natürlich, dass dieser Zweifel einen manchmal fast auffrisst."

Michèle Auclair bei Wikipedia

Website von Carolin Widmann

Literaturtipp:

Midori Goto. Einfach Midori – eine Autobiografie. Henschel-Verlag 2004
Gerade 31 Jahre alt war die japanische Geigerin Midori, als sie am Sylvesteraend 2002 ihr 20-jähriges Bühnenjubiläum feierte: Auf Einladung von Zubin Mehta hatte die damals 11-jährige ihr glanzvolles Debüt mit dem New York Philharmonic Orchestra gegeben. In ihrer außergewöhnlich offenen Autobiografie lässt sie die Zeit zwischen diesen beiden Polen Revue passieren.

Anna Lucia Richter als Euridice singt am 18.06.2015 im Festspielhaus in Baden-Baden (Baden-Wuerttemberg) in der Generalprobe von Monteverdis "Orfeo"" - einer choreografischen Oper in der Fassung von von Sasha Waltz. 
Die Sopranistin Anna Lucia Richter © dpa / picture alliance / Winfried Rothermel

Anna Lucia Richter, Sopranistin

"Das allererste Vorbild, bevor ich das überhaupt wissen konnte, war wahrscheinlich meine Mutter. Denn als sie mit mir schwanger war, hat sie als Sängerin noch sehr viel konzertiert, und ich habe schon in ihrem Bauch Musik gehört und sie singen gehört, also sozusagen nicht nur, dass meine Mutter sowieso meine erste Lehrerin war und mich ab meinem neunten Lebensjahr unterrichtet hat, ich habe quasi schon im Mutterleib Gesangsunterricht durch sie bekommen und Musik wahrgenommen."
Anna Lucia Richter. Geboren 1990 in Köln. Die Mutter: Sängerin. Der Vater: Geiger im Gürzenich-Orchester Köln. Der Großvater: ein musikalischer Allrounder, der außer Klavier hervorragend Trompete spielte und als Tenor in Bach-Passionen sang. Die Großmutter: Bratschistin. Der Onkel: Cellist. Die Tante: Flötistin. Der Bruder: Kontrabassist. Der Urgroßvater: Generalmusikdirektor in Bonn und Gründer der Bonner Bach-Gemeinschaft.
Anna Lucia Richter: "Es war nie ein Zwang dahinter, sondern einfach ganz viel Freude. Wenn mein Vater sich sonntags ans Klavier gesetzt hat, war mein Lieblingsort unter dem Flügel auf dem weichen Teppich zu liegen mit Blick nach oben und quasi den Resonanzboden zu betrachten oder seine Füße, wie die Pedale sich bewegen. Das sind ganz, ganz frühe Erinnerungen. Mein Großvater war immer so ein Spielkind, der hat einfach sich oft ans Klavier gesetzt und los gespielt, was ihm gerade in den Kopf kam. Er hat einfach Lieder, die ich ihm vorgesungen habe, ad hoc begleitet oder plötzlich in ganz andere Epochen bewegt. Dann war ein Lied plötzlich Mozart-begleitet oder schuberthaft oder was auch immer."

"Zwei wichtige Bezugspersonen in einer Zeit"

Mit 16 Jahren tritt Anna Lucia Richter aus dem Mädchenchor aus, macht die Aufnahmeprüfung als Jungstudentin an der Musikhochschule in Köln, studiert parallel zum Abitur bei Klesie Kelly und Kurt Widmer. Zwei wichtige Bezugspersonen in einer Zeit, in der sich Anna Lucia Richter allmählich von der Mutter abnabelt. Zum zentralen Vorbild wird dann schon bald eine Sängerin, die Anna Lucia Richter persönlich nicht mehr kennenlernen kann. Die US-amerikanische Sängerin Arleen Augér. Verstorben 1993 mit 54 Jahren.
Anna Lucia Richter: "Eine der größten Sopranistinnen, Konzert- und Opernsängerinnen, die es gab, finde ich. Sie war, ich glaube, sieben Jahre fest an der Wiener Staatsoper und hat sich dann verabschiedet von der Oper, weil sie gesagt hat, dass sie nur dann Oper singen möchte, wenn die richtigen Sänger die richtigen Partien singen können, und wenn genügend Proben da sind, dass das Orchester eben auch die Sänger tragen kann und das hat sie damals in Wien offenbar nicht genügend gefunden. Das ist ein irrsinniger Mut, der dazugehört, ein wahnsinniger Sprung in die Freiberuflichkeit.
Diesen Sprung hat sie fantastisch gemeistert, sie ist dann zu einer der tollsten Bach-Sängerinnen geworden mit Rilling und hat dann später noch eine zweite große Karriere in Amerika aufgebaut, wo sie ursprünglich herkommt. Und diese ganz klare Art zu denken und diese Entscheidungen zu treffen, die dann durchzuziehen und zu formulieren, da kann man gerade als junger Sänger sehr viel von lernen. Augér war eine unglaublich disziplinierte Person, sie hat immer an ihrer Technik gearbeitet, aber eben ganz genau gewusst, wo mangelt es sozusagen an Arbeit, die ich erbringen kann und wohin kann ich nicht kommen, weil das nun mal nicht meine Stimme ist. Es geht um Perfektion, das ist schon klar. Aber man muss ganz genau sehen, wo ist der Punkt, dass Charme verloren geht. Da hat Arleen Augér einen ganz tollen Weg gefunden, sie hatte eine perfekte Technik und eine wunderschöne Stimme, aber sie ist menschlich geblieben und sie hat sich das auch von niemandem verbieten lassen menschlich zu sein und sich eben nicht verbiegen lassen, das finde ich ganz besonders."

Arleen Augér bei Wikipedia

Website von Anna Lucia Richter

Literaturtipps:

Margriet de Moor. Der Virtuose. Hanser Verlag 2017
Die junge verheiratete Contessa Carlotta reist für eine Opernsaison nach Neapel und verliebt sich leidenschaftlich in den Sänger Gasparo Conti. Sie gewinnt die Zuneigung des hinreißend schönen Kastraten, der mit seiner Sopranstimme die Zuhörer vollkommen verzaubert. Einen Sommer lang begleitet sie ihn und erlebt rauschhafte Wochen der Musik, der Verführung und des erotischen Raffinements.

Wolf Wondratschek. Mara. Hanser Verlag 2003
Die abenteuerliche Geschichte eines Cellos, von ihm selbst erzählt: Es ist mehrmals um die Welt gereist, hat für Könige und Bürger gespielt, in Kathedralen, Schlössern und modernen Philharmonien. Es hat 300 Jahre auf dem Buckel, klingt wie am ersten Tag und hat seinen Namen von dem berüchtigten Virtuosen Mara, dessen Eskapaden im 18. Jahrhundert für Gesprächsstoff sorgten. Die spannende Zeitreise des 1711 von Antonio Stradivari hergestellten Mara-Cellos.

Tanja Tetzlaff, Cellistin

"Heinrich Schiff war für mich musikalisch gesehen und als Cellist ein riesiges Vorbild und sogar auch im Leben. So diese unbändige Lebensfreude, das war für mich ein Vorbild, und gleichzeitig habe ich aber auch die Schattenseiten natürlich schon gesehen."
Geboren Anfang 1970 in Hamburg. Die ältere Schwester: Flötistin. Ein älterer Bruder: Dirigent. Ein weiterer Bruder: der Geiger Christian Tetzlaff. Von ihm wird noch die Rede sein. Tanja Tetzlaff ist 17 Jahre alt, als sie die Möglichkeit bekommt, Heinrich Schiff vorzuspielen. Den großen Cellovirtuosen, der auf dem sagenumwobenen "Mara" von Stradivari und "Sleeping Beauty" von Montagnana spielte, kannte sie aus seiner Zusammenarbeit mit ihrem Bruder Christian. In den 1980er und 1990er Jahren gehörte Heinrich Schiff zu den wenigen Stars am Cello, die Konzerthallen füllten. Noch vor dem Boom zur Jahrtausendwende, als der Markt mit herausragenden Cellisten geradezu geflutet wurde. Mit seinen roten Cellokästen, dem weißen Porsche und einem exzentrischen Lebensstil umgab Heinrich Schiff ein gewisser Starkult. Mit größter Ernsthaftigkeit fühlte er sich Werk und Willen der Komponisten verpflichtet und engagierte sich intensiv als Lehrer und Mentor für seine Schüler.

Eine eingeschworene Gemeinschaft

Tanja Tetzlaff: "Ich bin dahin gekommen und war voller Verehrung, weil, ich kannte natürlich seine Aufnahmen und er war sowieso eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Also, ich war einfach ganz schüchtern damals noch und ordentlich aufgeregt, wenn ich ihm vorgespielt habe und am Anfang, da bin ich wirklich dann immer für die Wochenenden, weil ich noch Schule hatte, runtergefahren nach Salzburg. Das war sehr, sehr anstrengend, aber unglaublich intensiv und das ist sowieso das Schlagwort für den Unterricht. Er war wahnsinnig konzentriert, wenn man anderthalb Stunden Unterricht hatte, ging das anderthalb Stunden hochkonzentriert zu und von beiden Seiten und ich fand es großartig, dass er sich wirklich auf jeden Schüler anders eingestellt hat.!"
Intensiver Unterricht, intensives Üben in der übrigen Zeit des Tages und abends Kulinarisches, persönlich zubereitet von Heinrich Schiff. Sieben Schüler und ein passionierter Lehrer. Eine eingeschworene Gemeinschaft. Tanja Tetzlaff erinnert sich gut an die Faszination, die von Heinrich Schiff ausging als Lehrer, Musiker, Mensch.
Tanja Tetzlaff: "Die unglaubliche Energie, die er in das Cello spielen und in das Unterrichten und in das Kochen und Billardspielen und alles reingesteckt hat und ich war immer so ein bisschen mit niedrigen Blutdruck unterwegs im Leben und habe da glaube ich eine ganze Menge abgucken können und gelernt, dass das mal einfach in dem Moment, wo man was rüberbringen möchte, muss man einfach unendlich dabei sein und voller Energie sein. Er hat unterrichtet, also zugehört, dann sehr viel vorgemacht, er hat verschiedene Möglichkeiten angeboten und er hat auch durchaus mal nachgemacht, wenn was blöd war, das ist natürlich immer fies, aber er hat dann auch immer dazu gesagt, okay, das ist jetzt übertrieben und für mich ist er so ein Feuer gewesen wirklich."

Heinrich Schiff bei Wikipedia

Website von Tatjana Tetzlaff

Monika Henschel, Bratschistin

"Celibidache hat in seiner Stuttgarter Zeit bei uns in der Familie auch gelebt und kam mit einer unglaublichen Energie in unsere Familie rein, wir waren Kinder und automatisch war natürlich das Vorbild da."
Monika Henschel. Bratschistin. Aufgewachsen mit zwei Geige spielenden Brüdern. Studien unter anderem in London und bei internationalen Meisterkursen. 1994 gründeten Monika Henschel und ihre Brüder zusammen mit dem Cellisten Mathias Beyer-Karlshoj das Henschel Quartett. Neben den Eltern, die beide Berufsmusiker waren, erinnert sich Monika Henschel an bedeutende Lehrer, wie die Mitglieder des Amadeus Quartetts. Sie gaben wichtige Impulse und beeinflussten die Klangkultur und Spielweise des jungen Streichquartetts. Prägendes Vorbild ihrer Kindheit war jedoch der Dirigent Sergiu Celibidache.
Monika Henschel: "Unser Vater war Mitglied im Orchester und Maestro wollte nicht in einem Hotel wohnen, sondern privat und man wusste, dass wir Platz haben und so guckte das Orchester unseren Vater an und unsere Mutter wurde dann überrascht und keiner wusste, dass es zwei Jahre sein würden, aber es war natürlich eine unendliche Bereicherung. So kam plötzlich ein Vorbild in unser Leben um es mal so ganz konkret zu schildern, dem man sich gar nicht entziehen konnte. Es wäre gelogen, wenn sich irgendjemand diesem Geist hätte entziehen können, so streitbar er war. Da sind wir ja alle völlig einig. Das war eben ein starker Einfluss, ein starkes Vorbild."

Sergiu Celebidachi - Eine Annäherung

Website des Henschel Quartetts
Der Trompeter und Komponist Markus Stockhausen bläst beim Soundcheck am 16.09.2017 in der evangelischen Johannes-Kirche in Düsseldorf
Trompeter und Komponist Markus Stockhausen© dpa / picture alliance / Horst Ossinger

Markus Stockhausen, Trompeter

"Mit jedem Vorbild war es verschieden, zum Beispiel Freddie Hubbard, den ich als 13, 14-Jähriger kennengelernt habe mit seiner ersten Platte "First light", da habe ich stundenlang mit Kopfhörern gesessen an meinem Tonbandgerät und habe das immer wieder gehört und immer wieder nachgespielt, weil ich wollte wissen, wie geht das, was er macht, welche Knöpfe drückt er, was spielt der für Phrasen. Das heißt, das macht man solange, bis man es draufhat. Und dann ist es gut, dann wird es zur eigenen Sprache. Oder mit anderen Aufnahmen, die ich kopiert habe auch ganz bewusst von Miles Davis, von Kenny Wheeler oder Frank Duval, er wurde auch ein Lehrer und Vorbild. Das heißt jetzt nicht, dass man jahrelang nur sowas macht, sondern punktuell bis man satt ist. Ja, man ist hungrig und will wissen, wie geht das und dann hat man das in sich aufgenommen, wie bei der Osmose. Man hat ein Vorbild und da ist so viel Austausch energetisch zwischen dem Vorbild und einem selbst, bis die Osmose stattgefunden hat. Bis der Ausgleich da ist, und dann ist es Zeit zu gehen."
Wichtiges Vorbild und Lehrer im Jazz war in frühen Jahren für Markus Stockhausen einer der prägenden deutschen Jazztrompeter im 20. Jahrhundert: Manfred Schoof. Beide interpretierten daneben auch zeitgenössische Musik und hatten zwei bedeutende Avantgardisten der Nachkriegszeit zum Vorbild. Markus Stockhausen seinen Vater Karlheinz Stockhausen. Manfred Schoof seinen Kompositionslehrer an der Kölner Musikhochschule und Antipode Stockhausens, Bernd Alois Zimmermann.

"Heute kann ich das gelassener sehen"

Markus Stockhausen: "Ich habe bei meinem Vater eine wirklich die hohe Schule der Interpretation kennengelernt mit sehr schwieriger Musik und höchsten Anforderungen, die ich auch selber mit stimuliert habe. Ich habe ihn herausgefordert, auch für die Trompete Sachen zu schreiben, die ich derzeit noch nicht spielen konnte, aber ich habe nicht nein gesagt, sondern wollte das probieren, das muss ich irgendwie schaffen. Ich fand es interessant vor allen Dingen, wenn man etwas anregt im Detail, im Zusammenhang eines größeren Werks wird es ja viel schwieriger. Heute kann ich das gelassener sehen, aber damals habe ich echt gekämpft."
Markus Stockhausen, geboren 1957 in Köln. Sohn von Karlheinz Stockhausen und Doris Andreae. Drei Schwestern, zwei Halbgeschwister aus der Ehe seines Vaters mit der Künstlerin Mary Bauermeister. Mit 12 beginnt Markus Stockhausen Trompete zu spielen. Das Instrument wird ihm schnell zur zweiten Natur. Von Tanzmusik bis Kirchen- und Hochzeitsmusik nutzt er jede Gelegenheit, sich an dem Instrument zu erproben. Größte Inspirationsquelle dieser Jahre des Lernens sind Konzertreisen mit seinem Vater, nachzulesen in der Biografie Markus Stockhausens.
Markus Stockhausen ist 16 Jahre alt, als er die ersten Partien in Stücken seines Vaters übernimmt, "Sirius" und "Sternklang". Er ist 20, als sein Vater das erste Trompetenkonzert für ihn schreibt: "Michaels Reise". Eine intensive Zeit. Musikalisch und in der persönlichen Beziehung zu seinem Vater, dem Markus Stockhausen nach der Trennung der Eltern, als er sieben war, vor allem durchs gemeinsame Musizieren nahe sein kann.
Für Markus Stockhausen sein Vater als Künstler großes Vorbild geblieben.
Markus Stockhausen: "Sagen wir mal so, jemand der für mich ein Vorbild ist, dass er seine Ideen seine Visionen umgesetzt hat in der Welt, er war immer zehn Schritte voraus. Ich glaube, dass er einfach ein absolut kreativer Geist war. Er hat ja auch selber gesagt, er kommt vom Sirius, wer weiß, was die da für eine Musik machen. Und dann ist er hier vielleicht auf eine Etappe hergekommen auf die Erde und hat hier versucht, seine musikalischen Visionen zu verwirklichen. Er ist ein genuiner Geist, ein Genie sagt man zu so jemandem, der zumindest in einem Gebiet, der Musik, so weit voraus war, viel zu viele Türen aufgemacht hat, wo nachher ganz viele Komponisten die Teilaspekte dann weiter ausgearbeitet haben."

Ausgleich zur strengen Arbeit mit seinem Vater

Ein wichtiges Vorbild im Jazz hat Markus Stockhausen als junger Trompeter in Manfred Schoof gefunden. Einem der zentralen Protagonisten des europäischen Free Jazz. Für Markus Stockhausen nicht nur musikalisch ein wichtiger Ausgleich zur strengen Arbeit mit seinem Vater.
Markus Stockhausen: "Manfred Schoof spielte wie kein anderer Trompeter, der hatte eine Technik, der konnte in den höchsten Höhen spielen damals, hat aber die Finger immer so bewegt wie ich das überhaupt nicht verstand auf der Trompete. Ich dachte, was spielt der für Skalen, was für Läufe und da habe ich mich mal getraut zu fragen bei irgendeinem Jazzkonzert damals in Köln 73 oder 74. Ja, wie machst du das eigentlich, welche Fingersätze nimmt man und der hat das im Grunde genommen sehr, sehr frei gemacht und bei der Geschwindigkeit kommen dann irgendwelche zufälligen Läufe raus.
Aber er hat das so geschickt gemacht, dass es immer toll klang. Und er hat einen sehr kreativen Unterricht gemacht, also er war mir in Vielem auch menschlich ein Vorbild an der Hochschule. Er war nie pünktlich und der Unterricht hat nie regelmäßig stattgefunden, aber wenn wir uns dann getroffen haben, war es immer kreativ. Die kreative Seite hat er in mir auch heraus gekitzelt, er hat mich z.B. dann aufgefordert zu komponieren, ‚mach doch mal deine eigenen Stücke‘ und dann habe ich die mitgebracht in den Unterricht und wir haben fast gar nicht Trompete unterrichtet, sondern über die Stücke gesprochen."

Website Karlheinz Stockhausen

Website von Markus Stockhausen

Literaturtipp

Ekkehard Jost. Europas Jazz. Fischer Verlag 2015
Jazz in Europa – das hieß lange Zeit so viel wie amerikanischer Jazz, unabhängig davon, ob er von amerikanischen oder europäischen Musikern dargeboten wurde. Erst mit dem Aufkommen des Free Jazz in den USA und der damit verbundenen Befreiung von den traditionellen jazzmusikalischen Ordnungsprinzipien begannen sich jüngere europäische Musiker vom Einfluß ihrer amerikanischen Leitbilder zu lösen. Dies führte in den sechziger und siebziger Jahren dazu, daß sich eine eigenständige europäische Jazzsprache entwickelte, deren bedeutendste Vertreter Ekkehard Jost hier vorstellt.

Der deutsche Jazztrompeter Manfred Schoof beim Jazzfestival Jazzbaltica 2015 am 04.07.2015 in Niendorf an der Ostsee.
Der deutsche Jazztrompeter Manfred Schoof beim Jazzfestival Jazzbaltica 2015 am 04.07.2015 in Niendorf an der Ostsee.© picture-alliance / dpa / Lutz Knauth

Manfred Schoof, Trompeter

Manfred Schoof. Jahrgang 1936. In den 60er Jahren einer der zentralen Pioniere des Free Jazz in Deutschland, jener Entfesselung von Rhythmus, Harmonie und lyrischer Melodie. Purer Ausdruck, kompromisslose Rebellion in Tönen und Emanzipation von amerikanischen Vorbildern. Manfred Schoof war Mitglied im Experimentalorchester von Harald Banter, im Quintett von Gunter Hampel, schließlich hatte er sein eigenes wegweisendes Quintett und spielte im "Globe Unity Orchestra" von Pianist Alexander von Schlippenbach. Als Lehrer ermutigte Manfred Schoof seine Schüler zu Eigenverantwortung und individuellem Klang. Die eigene Suche nach Vorbildern war geprägt von den Entbehrungen der Nachkriegszeit.
Manfred Schoof: "Ja, ich glaube, dass mein erstes Vorbild Harry James war und zwar nicht durch sein Spiel, sondern vor allem durch diesen Film "Badende Venus", wo er aufgetreten ist, mit so einem glänzenden weißen Anzug und die Musiker aus seinem Orchester mit ebenfalls weißen Anzügen und goldenen Instrumenten und die Trompete sowieso als dieses Symbol für Signal, für Aufbruch und da glaube ich war der wirklich erste Eindruck, der erste Impuls, der mich bestärkt hat in meinem Ziel Musiker zu werden."

Talent wurde von den Eltern früh erkannt

Manfred Schoof hatte Glück, sein musikalisches Talent wurde von den Eltern früh erkannt und gefördert. An eine geordnete Ausbildung war in den Wirren der Nachkriegszeit jedoch nicht zu denken. Schon gar nicht als der Vater starb und die Mutter allein für den Lebensunterhalt sorgen musste. Doch der Wunsch, Musiker zu werden, war zwingend und Chet Baker das nächste Vorbild, dem Manfred Schoof als Teenager nacheiferte.

Und doch war es ein Komponist der zeitgenössischen Musik, der für den Jazztrompeter Manfred Schoof als Vorbild wegweisend wurde: Bernd Alois Zimmermann. Bei ihm studierte Manfred Schoof während seines Studiums von 1958 bis 1963 an der Hochschule für Musik in Köln Komposition. "Der war sehr interessiert an der Jazzmusik", erinnert sich Manfred Schoof. "Er hat erkannt, dass die Jazzmusik eine Bereicherung ist mit ihrer Improvisationsgabe. Bernd Alois Zimmermann war ein ganz wichtiger Mensch für mich, meine Arbeit und überhaupt für die Jazzmusik." Bernd Alois Zimmermann wurde Vorbild und Inspirationsquelle in einer Zeit, als sich im Jazz und in der neuen Musik gleichermaßen die Grenzen auflösten und sich beide Genres in Ausdruck und Gestik annäherten.

Website über Bernd Alois Zimmermann

Harry James bei Wikipedia

Chat Baker bei Wikipedia

Website von Manfred Schoof

Literaturtipp

Miles Davis. Die Autobiografie". Hoffmann und Campe Verlag
Als Miles Davis am 28. September 1991 in Santa Monica verstarb, verlor die Welt ihren wohl bedeutendsten Jazzmusiker. Egal, ob im Bebop der 40er, beim Cool Jazz in den 50ern oder beim Jazz-Rock in den 70ern - Miles Davis war immer ganz vorn dabei. Kurz vor seinem Tod schrieb er diese beeindruckende Autobiographie.

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