"Eine intellektuelle und moralische Autorität"

Joschka Fischer im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 18.06.2009
Als herausragende intellektuelle Figur seiner Generation hat Joschka Fischer den Philosophen Jürgen Habermas bezeichnet. Er habe zum Gelingen der Bundesrepublik Deutschland beigetragen, sagte der frühere Bundesaußenminister anlässlich des <papaya:addon addon="d53447f5fcd08d70e2f9158d31e5db71" article="202828" text="80. Geburtstags von Habermas" alternative_text="80. Geburtstags von Habermas" />.
Birgit Kolkmann: Er ist der meistzitierte und bedeutendste lebende politische Philosoph der Gegenwart. "Die Zeit" beschrieb ihn in seinem Denken sogar als Weltmacht. Jürgen Habermas wird heute 80 Jahre alt. In diesen Tagen werden dem Jubilar publizistische Denkmäler gesetzt. In den Elfenbeinturm der Wissenschaft und des theoretischen Denkens hat er sich nie zurückgezogen, im Gegenteil. Habermas hat sich stets eingemischt in den politischen Dialog, in die wichtigen Diskussionen der Zeit, ob beim Historikerstreit, der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus, oder der Diskussion um Europa und einer Weltinnenpolitik. Als Vordenker der Linken gilt er bis heute und Ende der 60er-Jahre studierte in Frankfurt ein junger Taxifahrer bei ihm, der später Außenminister wurde. Ihn begrüße ich in Deutschlandradio Kultur, willkommen Joschka Fischer.

Joschka Fischer: Guten Tag.

Kolkmann: Herr Fischer, wie haben Sie Habermas als Student erlebt?

Fischer: Er war schon damals als noch junger Professor in Frankfurt mit Adorno und Horkheimer, die allerdings aus einer älteren Generation stammten, die große Autorität. Er ist zwar antiautoritär, aber dennoch spielten Autoritäten eine große Rolle und Habermas war die intellektuelle und moralische Autorität für viele von uns.

Kolkmann: Sie haben in seinen Vorlesungen, in seinen Seminaren gesessen. Woran erinnern Sie sich, an welche Themen, an welche Diskussionen?

Fischer: Ich war damals ganz am Anfang auch meiner eigenen intellektuellen Selbstbildung und saß da mit roten Ohren im Hauptseminar. Das war morgens, samstagmorgens im Hauptgebäude der Johann Wolfgang Goethe-Universität und 10 Uhr samstagmorgens war zur damaligen Zeit recht früh für das studentische Milieu, aber ich habe versucht, da zu folgen, was nicht immer einfach war, aber es war eine Mischung aus philosophischer Debatte - vor allen Dingen ging es damals sehr stark um seine Nietzsche-Rezeption – und der aktuellen politischen Auseinandersetzung, die dort auch einmal zu einer sehr harten Zuspitzung dann geführt hat, wo er sich mit führenden SS-Leuten auseinandergesetzt hat.

Kolkmann: Sie sagten, Sie saßen da mit roten Ohren. Hatten Sie für Ihr späteres politisches Leben dort schon die ersten Aha-Erlebnisse?

Fischer: Am Anfang eines Philosophiestudiums versuchen Sie vor allen Dingen erst mal zu folgen, mitzukommen und durchzudringen. Das ändert sich dann im Laufe der Zeit. Aber die Auseinandersetzung um die Fragen der Legitimität etwa von Gewalt spielte damals schon eine sehr große Rolle. Es kam zu Uni-Besetzungen dann im Jahre 68. Die Frage, wie weit die Bundesrepublik sich in die falsche Richtung entwickelt oder nicht, all das führte dann sehr schnell zu einer Konfrontation zwischen meiner Generation und der etwas älteren (ich war damals 20 Jahre alt) sowie der Generation Habermas, die ich als die 45er-Generation bezeichnen würde.

Kolkmann: Die Studentenbewegung geriet ja aneinander mit Habermas, wenn man das so sagen kann. Es gab sein böses Wort des Linksfaschismus, gerichtet an Rudi Dutschke. Rückblickend gesehen, lag Habermas trotz des Fehlgriffs in der Wortwahl in seiner Kritik richtig?

Fischer: Ich würde nicht mal sagen, dass es ein Fehlgriff war. Ich war entsetzt damals, ich habe es nicht verstanden. Wie konnte er nur diejenigen, die gegen die Tradition des Nationalsozialismus – und das war ja damals in den späten 60er-Jahren noch ganz anders präsent, schlicht und einfach durch das Denken in weiten Teilen der damaligen Erwachsenengeneration, die ja zurückreichte in die Hitler-Zeit, in den Zweiten Weltkrieg, die Elterngeneration. Ich war damals sehr entsetzt, wie er das nur sagen konnte, aber auch aufgrund meiner eigenen Erfahrungen mit dem Umgang mit Gewalt muss ich im Nachhinein sagen, er hat da den Finger recht früh und völlig zu Recht auf den entscheidenden Punkt gelegt, er hatte Recht. In dem Moment, wo Sie anfangen, auch im theoretischen Gewande Gewalt zu verherrlichen und nicht mehr eine kritische Distanz zu geben und sich immer wieder zu hinterfragen und auf Distanz zur Gewalt zu gehen, da begeben Sie sich auf ein abschüssiges Gelände und kommen sehr schnell ins Rutschen, und das war, was Habermas damals dem SDS vorgeworfen hat und ich finde zu Recht vorgeworfen hat.

Kolkmann: Habermas hat sich ja weiterhin eingemischt, nicht nur in den 70er-Jahren, sondern bis heute ist er in der politischen Diskussion präsent. Wie hat er rückblickend von seinem 80. Geburtstag aus gesehen die politische Elite in Deutschland geprägt?

Fischer: Jürgen Habermas war nie nur ein Intellektueller im Elfenbeinturm. Er ist eine herausragende intellektuelle Figur seiner Generation weltweit, zu Recht als einer der ganz Großen genannt. Er hat aber auch einen Sinn, ein Gespür und fast könnte man sagen einen Instinkt für die jeweils aktuelle politische Gemengelage, in die er sich eingemischt hat und die er dann auch immer sehr treffend gekennzeichnet hat, und er hat das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland – denken Sie etwa nur an den von Dolf Sternberger übernommenen Begriff des Verfassungspatriotismus, denken Sie an die Historikerdebatte, denken Sie an einen Begriff der neuen Unübersichtlichkeit nach dem Zusammenbruch des bipolaren Systems, des Ende des Kalten Krieges, aber auch seine Diskussion, die er mit Kardinal Ratzinger, dem heutigen Papst, geführt hat um die Frage der Religion -, er hat ein Gespür für den Moment der intellektuell-politischen Kontroverse und in welche Richtung die Entwicklungen gehen und die Fähigkeit, sie dann auch intellektuell zu prägen.

Kolkmann: Was wären Sie als politischer Mensch ohne Habermas?

Fischer: Anders. Ich glaube, er war für mich, auch seine Bücher, die ich gelesen habe – ich habe nicht alles gelesen, aber die wichtigsten Schriften von ihm habe ich gelesen -, er war prägend in einem mehrfachen Sinne: als Lehrer ohne jeden Zweifel in Frankfurt, später aber auch als eine intellektuell-politische Orientierung. Insofern glaube ich gar nicht so sehr, dass ich das individuell auf mich beziehen kann, sondern die Republik wäre eine andere geworden ohne seine intellektuellen Beiträge, und die hat er eben immer auch in der direkten Kontroverse formuliert. Er war sich nie zu schade, tatsächlich die Auseinandersetzung, die demokratisch-politische Auseinandersetzung öffentlich zu suchen und wurde dafür ja teilweise auch heftig angegriffen. Er hat das durchgestanden und hat aus meiner Sicht zum Gelingen der Bundesrepublik Deutschland, aber auch zu ihrer Selbstvergegenwärtigung unglaublich viel beigetragen und davon bin ich Teil.

Kolkmann: Wenn Sie die aktuelle gesellschaftliche Diskussion angesichts der Weltwirtschaftskrise sehen, wie weit weg von Habermas'schen Ideen ist sie und wie steht das politische und ökonomische Establishment da? Tauber denn je?

Fischer: Wenn es nur das Establishment wäre. Ich meine, alle stehen da irgendwie etwas wie der Ochse vor dem Berge, auch die kritischen Kräfte, weil auf die Frage, was soll denn die Alternative sein, da verstummen die meisten oder fast alle. Insofern glaube ich, dass wir erst am Anfang einer intellektuellen Aufarbeitung und Diskussion sind. Das macht ein Gutteil die Orientierungslosigkeit aus. Das hängt damit zusammen, dass eben systemische Alternativen heute nicht mehr vorhanden sind. Kritik ist notwendig, bisweilen aber eben auch sehr einfach, wenn sie die Kraft zur Alternative nicht hat, und daran mangelt es im Moment.

Kolkmann: Joschka Fischer zum 80. Geburtstag des Philosophen Jürgen Habermas. Ich bedanke mich für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.

Fischer: Danke ebenso.