Eine "Ikone des politischen Populismus"

Lutz Hachmeister im Gespräch mit Ulrike Timm · 08.01.2012
Weil New-McCarthyism zurzeit ein großes Thema in den USA ist, es aber keinen abendfüllenden Film über den hemdsärmeligen Populisten gab, hat Lutz Hachmeister einen gedreht: "The real American Joe McCarthy" startet in den deutschen Kinos.
Ulrike Timm: McCarthy, der Name steht in den USA für eine ganze Ära, obwohl der republikanische Politiker Joe McCarthy von 1950 an gerade mal vier Jahre lang das innenpolitische Klima aktiv prägte. McCarthy, das steht für Kommunistenhatz, sein Name ist Synonym geworden für politische Verfolgung und Stigmatisierung von Andersdenkenden aus bloßem Verdacht heraus.

Wer von Joe McCarthy vor das Komitee für unamerikanische Aktivitäten gezerrt wurde, der hatte eigentlich schon verloren. Charlie Chaplin oder Thomas Mann traf der Vorwurf, das amerikanische System mit kommunistischem Gedankengut zu unterminieren, Arthur Miller schuf mit seinem Stück "Hexenjagd" den berühmtesten künstlerischen Kommentar zur Hysterie dieser Jahre, die Eheleute Ethel und Julius Rosenberg aber bezahlten als vermeintliche Spione Moskaus mit dem Leben. Sie wurden hingerichtet.

Der Spuk war nach wenigen Jahren vorbei, aber wer immer in den USA üble Hatz aus politischen Gründen wittert, der sagt: Das ist ja wie bei McCarthy! Der Soziologe, Kommunikationswissenschaftler und Filmemacher Lutz Hachmeister hat sich mit Joe McCarthys leben und Wirken in einem Dokumentarfilm befasst, ein Dokudrama, er hat fünf Jahre lang in Archiven recherchiert, Freunde, Gegner, Weggefährten akribisch befragt. Herr Hachmeister, ich grüße Sie!

Lutz Hachmeister: Guten Morgen!

Timm: Wieso eigentlich Interesse – über diesen Mann gibt es stapelweise Bücher und Berichte –, wieso hatten Sie das Bedürfnis, noch mal ganz solide von Grund auf zu recherchieren?

Hachmeister: Das ist ganz einfach: Es gibt über ihn eigentlich keinen abendfüllenden Film. Es gibt sehr solide Biografien amerikanischer Wissenschaftler über Josef McCarthy, mehr als 1.000 Seiten stark, aber der letzte Film, der über McCarthy gemacht wurde, war ein Fernsehspiel eines amerikanischen Networks aus den 1970er-Jahren, danach sieht er auch ein bisschen aus. Diese Idee, wirklich mal grundsätzlich dieses Leben noch mal zu erzählen, dieses ja sehr kurze Leben und spektakuläre politische Leben – das bot sich einfach an!

Timm: Der Film ist ja zum Teil ziemlich überraschend. Da sagt eines der Opfer von McCarthy den Satz: Eigentlich hat er gar nix gegen Kommunisten gehabt! Ja, wie und warum ist er dann in seine berühmte Rolle hineingewachsen?

Hachmeister: McCarthy musste wiedergewählt werden als Senator von Wisconsin – er hatte eigentlich kein Thema 1950, und er hat sich dann umgehört und politische Berater, Freunde gefragt: Was bietet sich denn an? Und die haben ihm dann gesagt: Communism is an issue, also, Kommunismus ist ein Thema. Man muss wissen, das ist die Zeit, wo China kommunistisch wird, also Mao übernimmt die Regierung – ein schwerer Schlag für die USA –, der Koreakonflikt eskaliert, Nordkorea greift Südkorea an; also, das ist schon eine harte Zeit politischer Konfrontation.

So ganz aus der Luft gegriffen war die Wahl dieses Themas für McCarthy nicht, aber er ist ein "latecomer" in diesem Thema – er ist viel zu spät. Richard Nixon hat viel früher in diesen Komitees gegen unamerikanische Umtriebe gewirkt, das zeigt der Film auch. Richard Nixon war das große Vorbild für Joe McCarthy.

Timm: Das heißt aber auch, der gefürchtete McCarthy – das war ja eine Ära der Angst, die er da ja auch mitgeprägt hat – wollte das eigentlich in erster Linie aus Karrieregründen. Kann man sagen, da wurde ein Angeber berühmt?

Hachmeister: Ja, ein Bauernsohn aus Wisconsin, der ja sehr verspätet sozusagen sein Abitur gemacht hat, der vorher Hühnerzüchter war und an Tankstellen gearbeitet hat, dann in überraschend kurzer Zeit sein Jurastudium absolviert hat, ohne – wie er auch immer geprotzt hat – ein einziges Buch zu Ende zu lesen, und der dann wirklich mit sehr hemdsärmeligen Methoden als Außenseiter und Kriegsheld in den amerikanischen Senat gewählt wird, das ist die Karriere eines Opportunisten und Aufsteigers, der aber eine große Begabung für Medienpolitik hat, also Fernsehpolitik.

Damals beginnen diese großen Live-Übertragungen des amerikanischen Schwarz-Weiß-Fernsehens, deren Opfer ja letztlich McCarthy auch wird – er wird sein eigenes Opfer in Hearings, die sich dann gegen ihn richten –, und das hatte er schon begriffen, wie man Journalisten einspannt, wie man ihnen Nachrichten gibt, Exklusivnachrichten. Ein bisschen – also, wenn man es mal vergleicht mit einem Politikertypus von heute, dann kommt Guttenberg dem schon ziemlich nahe.

Timm: Aber Guttenberg hat dann so viel doch nicht angerichtet. Herr Hachmeister, "The real American Joe McCarthy", das ist ja ein ganz schön provokanter Titel, besonders für Amerikaner, denn in den USA ruht McCarthy ja gut gestempelt in der Geschichtsschreibung. Ein Kommunistenhetzer und Hysteriker einer verblendeten und glücklicherweise historisch gut abgeschlossenen Periode – warum ist Joe McCarthy für Sie der wahre, der wirkliche Amerikaner, the real American?

Hachmeister: Wir greifen damit im Grunde eine Selbstbeschreibung auf. McCarthy und seine politischen Freunde haben immer gesagt, wir sind die wirklichen Amerikaner des Mittelwestens. Die Leute von der Ostküste, diese Eierköpfe, die sind im Grunde noch Europäer geblieben: Engländer, Juden, Deutsche – und auch mit dieser Entertainment-Industrie in Kalifornien, in Los Angeles, mit Hollywood haben wir nicht viel zu tun. Das wirkliche Amerika, das sind diese Staaten des Mittelwestens, Wisconsin zum Beispiel, Illinois.

Und das trägt sich eigentlich bis heute fort. Es gibt so was wie einen amerikanischen Nativismus, also, dass man Amerika, die wirklichen Freiheitswerte, auch die Werte dieser "pilgrim fathers", der Puritaner, die Amerika für die Europäer erobert haben, noch hochhält gegen so internationalistische Organisationen wie die UNO, auch gegen einen starken Staat, der die Steuern erhöht.

Deswegen ist das Thema für die USA eigentlich nicht abgeschlossen, diese ganzen Bewegungen mit der Tea Party, mit Sarah Palin, mit dem rechten Flügel, mit dem populistischen Flügel der Republikaner, das ist aktueller denn je. Wir haben das festgestellt, als wir den Film in Los Angeles jetzt vor Kurzem zusammen mit dem Goethe-Institut gezeigt haben, wie erhitzt da doch die Debatte auch um Vergleiche war. New-McCarthyism ist ein großes Thema in den USA zurzeit.

Timm: Das heißt, in gewisser Weise hat der Mann, der vier Jahre ja auch Angst geschürt hat – was ja noch was anderes ist, als einfach nur ein bisschen konservative Werte zu verteidigen –, in gewisser Weise hat er – so haben Sie es gesehen, auch Nachfolger und wirkt ins heutige Amerika hinein?

Hachmeister: Ja, Ann Coulter, eine der Bestsellerautorinnen auf der rechtskonservativen Seite, auf der populistischen Seite, hat vor zwei, drei Jahren ein großes Buch, ein viel verkauftes Buch jedenfalls geschrieben, das versucht, McCarthy komplett zu rehabilitieren. Sie sagt – womit sie übrigens nicht ganz unrecht hat –: Es gab natürlich kommunistische Spione in der Regierung, es gab einen Flügel der Demokraten, die das nicht ganz ernst genommen hat, und McCarthy hat uns zumindest aufgeweckt und uns dieser Gefahr bewusst gemacht.

Es gibt doch einen starken populistischen Flügel der Republikaner, die versucht, ihn wieder zu rehabilitieren, inwieweit das durchgreifende Folgen hat, ist zweifelhaft. Aber so ganz tot ist er nicht.

Timm: Wenn man McCarthy so deutet, wie Sie es tun, nach ihren Recherchen, als einen aufstrebenden Farmerssohn, der als Liebling der Presse prima mit dem Thema Kommunistenhatz aufsteigen konnte, verkleinert das die Person oder vergrößert das eher den Einfluss, wenn man, ja, dem Mann den Mythos nimmt und ihn quasi auf Originalgröße stutzt?

Hachmeister: Ich glaube, das ist ja die erste Aufgabe eines Biografen – egal, ob er ein Buch schreibt oder einen Film dreht –, dass er die realen Fakten trennt von den Mythen, die sich ergeben. Bei McCarthy ist das besonders erstaunlich, dass dieser Begriff McCarthyismus für politische Vorgänge benutzt wird, mit denen er gar nichts zu tun hatte. Also, er hat nie Bert Brecht verhört, er hatte nichts mit den "Hollywood ten" zu tun. Sein Name ist rückwirkend noch auf Verfolgung von Andersdenkenden angewandt worden, als er mit diesem Sujet noch gar nicht befasst war. Das ist ein historisch sehr erstaunlicher Vorgang. Ich kenne dafür eigentlich kein zweites Beispiel ...

Timm: ... und dann hat man es immer so prima auf dem Namen abgeladen, weil man einen Namen fürs Programm hatte, oder wie?

Hachmeister: Ja, das kann man so sagen, woran er ja selber nicht unschuldig ist. Er hat selber ein Buch über McCarthyism herausgegeben, also, er war ganz stolz, dass er so eine Ikone des amerikanischen politischen Populismus wurde. Aber man muss zugleich sagen, dass McCarthy ein Schicksal erlitten hat, das besonders grausam ist für einen solchen populistischen Aufsteiger.

Er hat sich zu Tode getrunken, er ist mit 48 Jahren gestorben an Leberzirrhose. Es wurde ein bisschen verbrämt von seinen politischen Freunden, aber er ist sehr elend gestorben. Der Senat hat ihn zensiert, er ist ein Opfer seiner eigenen Partei geworden, Eisenhower und Nixon wollten mit ihm nichts mehr zu tun haben – auch aufgrund seiner schädlichen außenpolitischen Wirkung, und dann hat er drei Jahre noch wie so ein Geist im Senat gesessen, von 1954 bis 57, und niemand hat ihm mehr zugehört. Die Journalisten haben den Senatssaal verlassen, wenn er geredet hat.

Es ist vielleicht auch eine gewisse Warnung, wenn man überhaupt "warnings from history" ernst nehmen will, dass Populismus auch in den USA eigentlich zu nichts führt. Dasselbe Schicksal würde übrigens Sarah Palin auch drohen; sie würde sich wahrscheinlich nicht zu Tode trinken, aber doch relativ vergessen – ist jetzt meine Prognose – aus dem politischen Leben verschwinden.

Timm: Wer weiß, vielleicht hat Ihr Film ja noch gute Wirkung! Lutz Hachmeister über eine Ikone des Populismus, die er noch mal ganz genau und gezielt recherchiert hat: Joe McCarthy, und er ist für ihn " The real American", der wahre, der wirkliche Amerikaner, mit allem, was dazugehört und was dahintersteht. Herr Hachmeister, ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Hachmeister: Bitte sehr!

Mehr zum Film auf dradio.de:
Vom Bauernsohn zum Kommunistenjäger - Lutz Hachmeister hat das Leben Joe McCarthys verfilmt, (Fazit, DKultur)

Linktipps:
Filmhomepage "The real American Joe McCarthy"