"Eine Grande Dame bin ich ja gar nicht"

Marie Marcks im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 24.08.2012
Marie Marcks gilt als die wichtigste deutsche Karikaturistin. Der Grundstein ihrer Liebe zum Zeichnen sei bereits in ihrem künstlerischen Elternhaus gelegt worden, so die Zeichnerin. Genützt habe ihr allerdings auch, dass sie immer von der Frauenbewegung "schwarz nachgedruckt" wurde.
Stephan Karkowsky: Ich will mal ein paar ihrer Zeichnungen nacherzählen, damit Sie das Werk von Marie Marcks vor Augen haben: Da steht also ein junges Paar voreinander, beide offenbar die Hosen runter, und in der Sprechblase lesen wir: Weist du, dass du schön bist? Nur, hier sagt es nicht der Mann zur Frau, sondern die Frau zum Mann, im Perspektiventausch der Geschlechterrollen.

Ein anderer Cartoon zeigt ein Spießbürgerpaar an einer Baustelle, unten im Dreck schuften anatolisch aussehende Männer. Der Spießbürger sagt: Die vergewaltigen unsere Arbeitsplätze und stehlen die deutschen Frauen! - Die dummen Sprüche der Ausländerfeinde mit einem Federstrich entlarvt!

Gezeichnet hat diese und Tausende anderer Karikaturen die gebürtige Berlinerin Marie Marcks. Und hier dürfen wir das überstrapazierte Wort von der Grande Dame mal verwenden, denn Faltmorgen wird sie 90 Jahre alt. Frau Marcks, guten Morgen!

Marie Marcks: Ja, guten Morgen! Bloß, diese Grande Dame, die kann ich gar nicht leiden, weil ...

Karkowsky: ... die können Sie nicht?

Marcks: Weil, einer schreibt vom andern ab, und so eine Grande Dame bin ich ja gar nicht, ja!

Karkowsky: Na ja, Sie sind in der Zeichnerinnenszene schon erst mal eine der ganz wenigen Frauen und eine der ...

Marcks: ... na ja, also, in der Tagespolitik bin ich wohl die Einzige, die Frauen, ja, schreiben oder zeichnen über Frauen oder Jugend und so, das sind halt die Sachen, die am verwandtesten sind, ja, wo jeder mitreden kann oder jeder seine eigene Erfahrung gemacht hat.

Karkowsky: Bei Ihnen war das doch auch so, Sie haben doch wahrscheinlich jahrzehntelang nur Chefs gehabt in den Redaktionen, keine Frauen, alles Männer. Haben die Sie eigentlich dazu gedrängt, mal lieber die Sozial- und Frauenthemen aufs Korn zu nehmen?

Marcks: Nein, nein. Es ist sozusagen von alleine gekommen. Beim Thema Frau, da wurde ich immer schwarz nachgedruckt von dieser Frauenbewegung, was mich anfangs geärgert hat, weil die da natürlich nie einen roten Heller gezahlt haben. Aber dadurch wurde ich bekannt.

Und das hat dann letztendlich mir auch genützt, dass ich immer schwarz nachgedruckt wurde von der Frauenbewegung, der ich ja nie angehört habe. Ja, ich habe immer meine Frauenbewegung alleine gemacht.

Karkowsky: Sie haben sich ja mal selbst als Privatfeministin bezeichnet, was ...

Marcks: ... habe ich das gemacht?

Karkowsky: Ja, was sicherlich auch daran liegt, dass Sie fünf Kinder haben von drei Männern und oft alleinerziehende Mutter waren. Das hat ja auch Ihre Zeichnungen erheblich geprägt, oder?

Marcks: Ja, natürlich. Denn ich hatte das ja sozusagen im Hausgebrauch. Ja, also, ich hatte ja Kinder in verschiedenen Altersgruppen, die Älteste war elf, als die Kleinsten geboren wurden. Und sie war in dem Alter, wo sie diese kleinen Geschwister noch ganz süß fand und mir sehr viel Arbeit abgenommen hat. Also, ich war nicht immer alleingelassen, das kann ich nicht sagen.

Karkowsky: Sie haben auch an anderer Stelle gesagt, es gab auch das Angebot, zum Beispiel eine Professur anzunehmen. Wäre denn Ihr Berufsleben ein anderes geworden, wenn Sie nicht meistens alleinerziehende Mutter gewesen wären?

Marcks: Ja, natürlich wäre das anders gelaufen. Aber es war so: Damals, also, das ist jetzt wirklich 20, 30 Jahre her, war es noch relativ einfach, sich eine Professur an Land zu ziehen.

Das war damals nicht allzu schwer. Und da wir aber gerade in Scheidung oder in Trennung lagen, mein letzter Mann und ich, habe ich gedacht - also, er war ja nun schon weg, ja -, und dann habe ich gedacht: Wenn der Vater nun schon weg ist, dann kann nicht die Mutter auch noch weg sein. Und deswegen habe ich dieses Angeln nach einer Professur aufgesteckt.

Karkowsky: Da ist in der Kunstmann-Reihe "Meister der komischen Kunst" ein, wie ich finde, sehr schöner Sammelband mit Ihren Zeichnungen erschienen. Da steht auf dem Umschlagrücken: "Marie Marcks hat wie keine andere dazu beigetragen, die häuslichen Heimlichkeiten zu öffentlichen Angelegenheiten werden zu lassen." - Waren Ihre Kinder eigentlich nie sauer, dass Ihre Zeichnungen diese kleinen Peinlichkeiten aus dem Familienalltag ausgeplaudert haben?

Marcks: Nein, ich habe sie eigentlich immer gefragt. Ich habe sie natürlich im Namen verändert, im Aussehen verändert. Aber einmal hat einer meiner Söhne da aufbegehrt und hat gesagt, du stellst uns bloß, jeder weiß doch, dass wir das sind. Also, das war ein einziges Mal. Und das stimmte ja natürlich auch etwas. Sicher wussten die Leute oder die, die mich näher kannten, dass ich eben das alles im Hause hatte!

Karkowsky: Wir können mal ein Beispiel verraten: Zwei Kinder klopfen in einer Ihrer Karikaturen an die Badezimmertür, drinnen duscht gerade der Papa und die Kinder fragen: Dürfen wir "Schweinchen Dick" ansehen? Und Papa antwortet: Meinetwegen kommt rein, aber ab heute sagen wir Penis dazu, nicht wahr?

Da haben wahrscheinlich viele gelacht und gedacht, ja, Kindermund tut Weisheit kund, das gäbe es bei uns zu Hause auch! Aber wenn man da tiefer bohrt, dann ist bei Ihnen ja auch immer ein Stückchen Sozialkritik dabei, oder?

Marcks: Ja, natürlich. Aber dazu muss ich etwas sagen: Ich habe damals für die "Süddeutsche" in der Tagespolitik gearbeitet. Und da kam natürlich auch ab und zu mal das Thema Frau oder Mann und Frau, ganz selten, ja, also mit Paragraf 218 und so weiter, kam schon drin vor.

Und die "Süddeutsche", ja, die hatte ja immer wieder einen anderen Chef vom Dienst. Und wenn das ... Ich will das nicht verallgemeinern, aber die Gefahr, wenn es ein Katholik war, dann war er immer sehr viel vorsichtiger, was Sexualität betraf. Und die "Süddeutsche", die berühmte "Süddeutsche" hat meine Schrift nachgemacht und hat statt Penis Folgendes reingeschrieben in meine Spruchblase: Meinetwegen kommt rein, aber woher habt ihr den albernen Ausdruck her? - Damit war der Witz natürlich weg!

Aber ich habe es erst gesehen, als es gedruckt war! Und so was macht eben die honorige "Süddeutsche Zeitung", oder hat es gemacht damals!

Karkowsky: Und Sie haben sich beschwert?

Marcks: Natürlich, aber zu spät, da war es gedruckt!

Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" Marie Marcks, die satirische Zeichnerin, die morgen 90 Jahre alt wird. Frau Marcks, lassen Sie uns noch mal an die Anfänge zurückgehen: Sie sind in den 20er-Jahren in Berlin aufgewachsen, die ja allgemein immer die Goldenen Zwanziger genannt werden. Sie sind im Krieg früh Mutter geworden und jetzt leben Sie schon ganz lange in Heidelberg. Wie fing das eigentlich an mit Ihrer Liebe zum Zeichnen, wer hat Sie da geprägt?

Marcks: Mein Elternhaus. Also, ich hatte das Glück, in einem künstlerischen Elternhaus aufwachsen zu können. Da war also zunächst einmal mein Vater, Architekt, der aber ein wunderbarer Zeichner war. Also, er konnte aus der Lamäng die schönsten Sachen ... Also, wie ich Kind war, musste er dann immer für mich, was weiß ich, Pferde zeichnen oder Schlachten oder, irgendwas hat er immer gemacht.

Meine Mutter hatte eine private Kunstschule, unterrichtete, und da durfte ich als Kind immer mal so mitkritzeln und war dann natürlich ganz stolz. Mein Onkel, mein Lieblingsonkel Gerhard Marcks, der Bildhauer, mit dem ich eine sehr, sehr innige Verbindung verband. Der hat mich natürlich auch geprägt.

Ich habe als Halbwüchsige, habe ich öfter Modell stehen müssen, wenn er da an seinen Plastiken gearbeitet hat. Und dann hat er mir immer irgendwas, na, was weiß ich, von Hölderlin erzählt, oder eben - und der hatte ja auch viel Humor -, fragt er mich, hast du gehört, wie der Fink gepfiffen hat?

Weinest du dessentwegen, weil du musst die Treppe fegen. Also, der Fink, ja. So Sachen machte er. Und das war ein Vorbild in der Kunst und ein Vorbild auch im Humor und in der ... Ich ... Ja, so war das eben!

Karkowsky: Gerhard Marcks ist ja auch verantwortlich dafür, dass man Sie heute noch nackt bewundern kann in einem Garten eines Museums in Washington, richtig?

Marcks: Ja, ja, aber so ganz genau weiß ich das nicht. Also, ...

Karkowsky: ... da steht eine Skulptur ...

Marcks: ... angeblich die Göttin von Berlin ist es, ja. Aber das kann ich nicht beweisen, aber ich bilde mir ein, dass es so ist. Aber diese Plastik steht irgendwo in Amerika.

Karkowsky: Im Hirshhorn-Museum in Washington, D.C. Dieses Ironisch-Kritische in Ihren Zeichnungen, war das in Ihrem Elternhaus eigentlich die vorherrschende Haltung, auch zum Beispiel was die Haltung gegenüber der Hitler-Diktatur angeht?

Marcks: Na ja, also, zum Beispiel mein Vater ... Wie Berlin schon kräftig ausgebombt war, aber unsere Wohnung noch nicht, da hat er gebetet: Komm Herr Hitler, sei unser Gast und siehe, was du angerichtet hast. Und meine Mutter sagte dann, Dietrich, das Telefon wird abgehört. Es hat ihn aber nicht gestört, das hat er ... nicht jedes Mal gebetet, aber ab und zu mal. Das hat mich natürlich auch geprägt, ist doch klar!

Karkowsky: Und seit einiger Zeit beschäftigen Sie sich auch zeichnerisch mit dem Alter. Da gibt es diese Zeichnung, wo die Enkel ins Haus stürmen, alle mit leeren Geschenkverpackungen in der Hand, und fragen: Großmutter, hast du was zu vererben? Ist das denn eigentlich geregelt, was mit Ihrem Nachlass mal geschehen soll, mit den ...

Marcks: ... na ja, das ist alles in der Schwebe. Natürlich möchte ich gerne, dass mein Werk, ja, es ist ja nun mal ein Werk, beisammenbleibt, aber das ist nicht einfach. Es ist alles in der Schwebe.

Karkowsky: Und dürfen wir fragen, wie Sie morgen, am 25. August, feiern wollen? Oder gibt es das demnächst als Zeichnung nachgeliefert?

Marcks: Nein, nein. Das wird ganz im Familienkreis sein, ja. Also, die Familie ist ziemlich groß. Und dann habe ich, in dieser Straße, in der ich wohne, habe ich ja eine ganze Reihe von Anwohnern, die freundlich und nett sind, und die habe ich auch noch eingeladen. Also, es ist ziemlich privat, das Ganze.

Karkowsky: Frau Marcks, wir wünschen von hier aus alles Gute!

Marcks: Danke!

Karkowsky: Sie hörten Marie Marcks, die Meisterin der satirischen Zeichnung, die morgen 90 Jahre alt wird. Vielen Dank für das Gespräch!

Marcks: Ja!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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