Eine gegen die Welt

29.08.2008
Die Figur der Antigone gehört zu den am häufigsten bearbeiteten Figuren der griechischen Mythologie. Jetzt ist der Antigone-Stoff Vorlage für ein Hörbuch geworden - in Jean Anouilhs Version aus dem Jahre 1942. Leider wird der Text relativ fantasielos gesprochen statt spannend mit Klängen und Musik untermalt, sodass der Hörer nicht gebannt wird von der Geschichte.
Es beginnt mit Schlachtenlärm, mit Schwertgeklirr und Maschinengedröhn, denn die Geschichte von Antigone spielt zwar nach dem Kampf der Sieben gegen Theben, wurde aber von Anouilh im zweiten Weltkrieg geschrieben und 1944 in Paris uraufgeführt, nur wenige Monate vor der Befreiung der Stadt von der deutschen Besatzung.

Nach dem Tod von Antigones Vater Ödipus erschlugen sich seine Söhne Eteokles und Polyneikes im Streit um die Macht gegenseitig. Antigones Onkel Kreon entschied als neuer König, nur Eteokles ordentlich bestatten zu lassen, während Polyneikes, der seine Heimat verraten habe, auf freiem Feld liegen gelassen werden sollte.

Antigone aber will den Bruder nach den ewigen Sittengesetzen der Götter beerdigen und wendet sich gegen das durch ihren Onkel vertretene weltliche, politische Gesetz des Staates.

Bei Anouilh beginnt es nicht wie bei Sophokles mit dem dramatisch packenden Dialog zwischen Antigone und ihrer Schwester über die Bestattung des Bruders, sondern viel undramatischer und gefälliger. Anstelle des antiken Chores führt ein Sprecher die Figuren ein:

"Diese Leute werden euch jetzt die Geschichte der Antigone spielen. Antigone ist die kleine Magere, die da drüben sitzt und schweigt. Starr blickt sie vor sich hin und denkt. Sie denkt, dass sie nun gleich Antigone sein wird, dass sie plötzlich nicht mehr das schmächtige, schwarze, verschlossene Mädchen ist, das keiner in der Familie ernst nimmt, sondern dass sie sich allein gegen die Welt stellen wird."

Auch die Figur einer Amme hat Anouilh hinzu erfunden. Insgesamt hat er den alten Mythos sprachlich in seine Zeit geholt und den Figuren fast boulevardeske, in jedem Fall unkompliziert wirkungssichere Konturen gegeben. So klingt es, wenn Antigone nachts vom Versuch zurückkommt, Polyneikes zu bestatten, und die ahnungslose Amme ihr Vorhaltungen macht:

Amme: "Es war noch Nacht! Stockfinstere Nacht! Und da soll ich glauben, dass du nur spazieren gegangen bist, du Lügnerin! Wo kommst du her?"

Antigone: " Ja, es war noch Nacht. Nur ich glaubte als einzige, es sei schon Morgen. Es ist wunderbar, Amme. Heute war ich die erste, die an den Tag glaubte."

Amme: "Tu nur wieder recht überspannt. Ich kenne das schon. Ich war ja auch einmal jung und gewiss nicht leicht zu erziehen, aber so starrköpfig wie du war ich nicht. Woher kommst du, du schlechtes Mädchen?"


Anouilhs "Antigone" wird heutzutage eher selten gespielt. Dabei stand das Stück bis in die Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts öfter auf deutschen Spielplänen als die wuchtige, existentiell aufrührende Version von Sophokles.

Die Rezeption von Anouilhs Stück als eines über den Widerstand war nicht nur wegen seines Autors, der während der deutschen Besatzung alles andere als ein Widerständler war, ein Missverständnis. Denn Anouilh hat auch einen langen Dialog-Streit für Kreon und Antigone geschrieben, aus dem Kreon unkritisiert und ungebeugt als nihilistischer Praktiker hervorgeht:

Kreon: "Gott weiß, dass es mich noch nie in meinem Leben nach Macht gelüstet hat."

Antigone: "Dann hättest Du eben nein sagen sollen!"

Kreon: "Ich hätte es wohl gekonnt. Aber ich wäre mir vorgekommen wie ein Arbeiter, der sich weigert, sein Tagwerk zu verrichten. Das schien mir unehrenhaft. Ich sagte ja."

Antigone: "Gut, so ist das deine Sache. Ich, ich habe nicht ja gesagt! Was gehen mich deine Politik, deine Notwendigkeiten und die ganzen armseligen Geschichten an? Ich kann noch nein sagen zu allem, was mir missfällt."


Anouilhs Antigone vermag keine wirkliche, tiefere Begründung für ihre Tat zu finden - außer einer allgemeinen Verweigerungshaltung. So handelt sie aus einem diffusen Gefühl des Aufbegehrens heraus:

"Ihr seid mir alle widerlich mit eurem Glück, eurer Lebensauffassung. Gemein seid ihr. Wie Hunde, die geifernd ablecken, was sie auf ihrem Weg finden. Ein bescheidenes Alltagsglück und nur nicht zu anspruchsvoll sein! Ich, ich will alles, sofort und vollkommen – oder ich will nichts."

Dieses Hörspiel ist mit Sorgfalt und Solidität gemacht worden. Was ihm fehlt, sind Kraft und Ideen, die Anouilhs Text, der ohne die Körperlichkeit des Theaterspiels keine rechte Sinnlichkeit besitzt und auch keine Spannung zu entfalten vermag, aus der sprachlichen Gefälligkeit in die Heftigkeit seines existenziellen Konflikts reißt. Man wird nicht gebannt von der Geschichte.

Leider illustriert auch noch das frimfram collective die existenziellen Dispute mit einer besänftigenden Instrumentalmusik, die mehr Hintergrund-Untermalung für die Dialoge ist statt Kommentar, Kontrast oder Verstärkung. Niemand erwartet von den Machern eines Hörbuchs mit Anouilhs "Antigone" ein Hör- und Klang-Experiment, doch der Text sollte nicht nur gesprochen, sondern auch so interpretiert werden, dass er spannend und sinnlich erfahrbar wird.

Rezensiert von Hartmut Krug

Antigone
Hörspiel nach dem Theaterstück von Jean Anouilh
Inszeniert von Johannes Steck und Lutz Schäfer
Aus dem Französischen von Franz Geiger
LangenMüller 2008, Spieldauer ca. 105 Minuten
Zwei CDs, 12,90 Euro