Eine Frage von Leben und Tod

Reinhard Daniel Pregla im Gespräch mit Ulrike Timm · 18.07.2011
Der Herzchirurg Reinhard Pregla ist dafür, dass jeder Einwohner in Deutschland gefragt wird, ob er seine Organe nach einem möglichen Hirntod spenden möchte oder nicht. Das Thema werde derzeit zu stark "aus unserem gesellschaftlichen Alltag verdrängt", so Pregla.
Ulrike Timm: Rund 12.000 schwer kranken Menschen in Deutschland könnte geholfen werden, wenn sie ein neues Herz, eine neue Leber, eine neue Bauchspeicheldrüse bekämen, von einem Unfallopfer etwa. Aber weil niemand so gern über sein eigenes Lebensende nachdenkt und die Organspende derzeit der ausdrücklichen Zustimmung des einzelnen Spenders vor seinem Tod bedarf, denkt der Bundestag derzeit über einen fraktionsübergreifenden Antrag nach, die sogenannte Entscheidungslösung. Das heißt, jeder soll einmal in seinem Leben ausdrücklich davon Kenntnis geben, ob er seine Organe denn spenden würde, wenn es zum Äußersten käme. Man erhofft sich mehr Spenderorgane für schwer kranke Menschen und muss sich zugleich mit der ethischen Frage befassen, wann denn ein Mensch wirklich gestorben ist, wie viel Leben noch in einem Menschen denkbar, vorstellbar ist, dessen Hirn irreversibel geschädigt ist, dessen Blut aber noch pulsiert.

Schwierige Fragen von Leben und Tod, über die wir gleich mehrere Meinungen einholen hier im "Radiofeuilleton", heute die des Herzchirurgen Reinhard Pregla, der an verschiedenster Stelle immer wieder für Organspende geworben hat. Schönen guten Tag, Herr Pregla!

Reinhard Daniel Pregla: Guten Tag!

Timm: Ich nehme an, so wie Sie mir jetzt gegenübersitzen, könnten Sie Ihren Organspendeausweis sofort zücken?

Pregla: Ja, in der Tat!

Timm: Was versprechen Sie sich denn von einer sogenannten Entscheidungslösung konkret?

Pregla: Also, Sie haben das sehr schön beschrieben schon. Es ist so, dass, wenn man fragt, eigentlich eine generelle Bereitschaft dazu da ist, anderen Menschen zu helfen, auch in einer Situation, worum es hier geht, dann zuzustimmen, ein Organ nach dem Tod zur Spende freizugeben. Das Problem ist aber, dass die Thematik so aus unserem gesellschaftlichen Alltag verdrängt ist, weil es eben schwierig ist, sich mit dem eigenen Ende auseinanderzusetzen, dass es in diesem Prozess nicht zu einer Willenserklärung kommt, die im Moment noch Voraussetzung für die Durchführung einer Organspende ist. Und das wäre der entscheidende, verändernde Punkt, der erreicht werden kann, wenn eine solche Entscheidungslösung praktizierbar durchgeführt wird. Das heißt, jeder bekommt einmal in seinem Leben die Chance, überhaupt darüber nachzudenken und die Entscheidung zu dokumentieren. Und dann wird sich diese generelle Bereitschaft der Menschen auch ausdrücken in einer hohen Anzahl von Menschen, die zustimmt, dass eine Organspende durchgeführt werden kann.

Timm: Das heißt, jetzt ganz klar gesprochen, Sie hoffen dann auch auf mehr Organe, die Sie transplantieren können?

Pregla: Ja, und ich hoffe vor allen Dingen auch auf ein Bewusstsein, ein breites Bewusstsein unter unseren Menschen, dass wir nicht Individuen sind, die für sich selbst leben, sondern dass wir wie eine große Familie letztlich zusammengehören zumindest in den Fragen, wo es um alles geht, und dort wieder zusammenstehen müssen. Also, dass die Menschen wieder näher zusammenrücken und wissen, ich kann mich auf die Menschen um mich herum auch verlassen. Das heißt, ich habe ein Recht darauf, zu hoffen, dass mir oder meinem Kind in einer solchen Situation geholfen wird, und deswegen habe ich genau dieselbe Bereitschaft in mir.

Timm: Und ist das für viele Menschen – verstehbar – ein total angstbesetztes Thema: Wer garantiert mir, dass da wirklich niemand was übersieht, bevor er mir das Herz entnimmt? Und auch manchen Ärzten fällt es, haben wir erfahren, schwer, diese genaue Linie zwischen Leben und Tod zu ziehen. Die Regel ist: Bei einem hirntoten Menschen dürfen Organe entnommen werden, wenn er das erlaubt. Aber selbst bei Medizinern ist dieses Kriterium offenbar umstritten, so sagt uns der Kardiologe Paolo Bavastro vor ein paar Tagen im "Radiofeuilleton" dies:

Paolo Bavastro: Der Hirntot ist nicht der Tot des Menschen. Ein hirntoter Mensch – deshalb ist der Begriff schon eine, wenn man das juristisch formulieren will, eine arglistige Täuschung –, ein Mensch in Hirnversagen ist ein Mensch, dessen Gehirn einen erheblichen Schaden hat. Es ist ein schwerstkranker, sterbender Mensch, aber noch kein Toter. Sonst könnten wir auch keine lebensfähigen Organe entnehmen, wir brauchen lebendige Organe aus einem noch lebenden Organismus.

Timm: So weit der Kardiologe Paolo Bavastro. – Reinhard Pregla, ich habe gehört, Sie sehen das anders. Wie denn?

Pregla: Also, ich denke, die Krux liegt darin, dass es nicht darum geht, einen Menschen als tot zu definieren, sondern es geht um die Persönlichkeit. Und die Persönlichkeit hört auf zu existieren, wenn das Hirn irreversibel abgestorben ist. Es geht also nicht um ein schwerstbeschädigtes Gehirn, sondern es gibt eigentlich Konsens unter allen Medizinern, dass, wenn ein Gehirn als hirntot definiert werden kann – nach ganz strengen Kriterien, also Nulllinie im EKG, keine Durchblutung mehr des Gehirns über sehr lange Zeit, Apnoe-Test, da gibt es ja sehr viele Dinge, die erfüllt werden müssen –, dass dann man davon ausgehen kann, dass der Mensch niemals wieder als die Persönlichkeit existieren kann, oder überhaupt als Persönlichkeit existieren kann, obwohl viele Organe oder vielleicht auch alle anderen Zellen außer dem Hirn des Körpers noch lebendig sind.

Aber das ist genau der Punkt: Wir sterben nicht auf einmal. Das ist ein verbreiteter Irrtum. Es ist also nicht so, dass das Herz aufhört zu schlagen, der Mensch aufhört zu atmen, nein, ganz im Gegenteil, und das weiß man eigentlich auch in der Allgemeinheit: dass bestimmte Zellen – Hautzellen, Haare et cetera – weiterleben für eine bestimmte Zeit, beziehungsweise bei einem Hirntoten vielleicht sogar Organe über viele Stunden oder sogar Tage. Wobei das nicht zu verwechseln ist mit einem Komapatienten, der manchmal über Jahre als Mensch – nur eben nicht als wacher Mensch – leben kann und eventuell wieder aufwachen kann. Das ist eine vollständig andere Situation.

Timm: Aber es stimmt ja rein sprachlich schon, dass man doch lebende Organe aus einem toten Körper entnehmen würde, und vom Denken her ist das schon ein Widerspruch in sich. Kann man den letztlich überhaupt auflösen?

Pregla: Ich denke, dass das kein Widerspruch ist, weil als solche diese Aussage auch von niemandem getroffen wird. Es werden keine lebendigen Organe aus einem toten Körper entnommen, es werden lebendige Organe aus einem hirntoten Menschen entnommen. Und das ist genau die Grenzlinie, die die Medizin auch die Pflicht hat zu ziehen. Und ich bitte, dass man sich immer wieder vor Augen führt: Die aktuelle Situation ist die, dass die wenigsten Menschen Organspender, erklärte Organspender sind, und wir haben immer wieder Patienten auf der Intensivstation, die leider hirntot diagnostiziert werden müssen. Das heißt, auch für diese Menschen gilt: Von denen sind nur ganz wenige Organspender. Und wenn ein solcher hirntoter Mensch nicht Organspender ist, dann werden seine Maschinen, an denen der Körper noch hängt, abgestellt. Und es handelt sich nicht um Sterbehilfe!

Das heißt, es ist ein grundsätzlicher Fehler, die Hirntotdiskussion in die Organspendendiskussion hineinzunehmen, weil viel mehr von den Fragen nach dem Hirntot Menschen betroffen sind, die gar keine Organspender sind. Und natürlich ist es für den Arzt das denkbar Wichtigste, zu wissen, dass er bei einem Menschen Organe entnimmt, der wirklich, wirklich hirntot ist. Und wenn die Hirntotdiagnostik verbessert werden könnte, dann kann das jeder nur unterstützen, aber es hat eben nichts mit der Entscheidung zur Organspende zu tun.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit dem Herzchirurgen Reinhard Pregla über ethische Fragen der Organspende. Nun ist es ja eine ethische Frage an jeden Einzelnen von uns, drei Viertel aller Befragten würden, wenn es hart auf hart käme, dankbar sein für einen Spendeorgan, das weiß man. 15 Prozent der Menschen wären potenzielle Spender, weil sie heute einen solchen Ausweis bei sich tragen. Trotzdem ist die Vorstellung natürlich gruselig, dass man womöglich einen Hirntot auch mal übersieht, denn so leicht ist der ja gar nicht zu diagnostizieren?

Pregla: Nein, also das möchte ich ganz vehement dementieren! Die Hirntotdiagnostik ist eine ganz erfahrene und sichere Diagnostik. Das sind Kriterien, die über viele Jahre praktiziert werden, und gerade kürzlich ist das noch einmal alles überdacht und revidiert worden, auch in internationalen Gremien. Und es gibt entgegen anders lautenden Behauptungen keine neuen Erkenntnisse zur Hirntotdiagnostik. Ein Hirn, was über Minuten oder Stunden nicht mehr durchblutet ist, kann nicht wieder zum Leben erweckt werden. Ein Hirn, was über lange Zeit eine Nulllinie im EEG hat, beziehungsweise ein Mensch, der als solcher hirntot diagnostiziert wurde nach Apnoe-Test et cetera, wird nie wieder als Persönlichkeit existieren. Und wenn nicht dann Maßnahmen ergriffen werden, und zwar aggressive, umfangreiche, medikamentöse Maßnahmen, um den Körper zu stabilisieren, dann stirbt der Mensch auch in seiner Gesamtheit innerhalb kurzer Zeit.

Es ist sogar oft der Fall, dass, wenn ein Organspender als solcher identifiziert und die Organspende genehmigt wurde, entsprechend stabilisiert wird, bis zum Eintreffen der Organ entnehmenden Teams der Mensch in seiner Gesamtheit verstorben ist und dann das Herz nicht mehr entnommen werden kann, weil auch das Herz seine Funktion eingestellt hat.

Timm: Womöglich bringt aber genau die Frage, die Sie ärgert, nämlich die nach der Verknüpfung von Organspendebereitschaft und dem Hirntot als Lebensende, ja auch jetzt viele Menschen so ins Grübeln, dass sie letztlich bewusst sagen, ja, oder eben auch klar begründet, nein. Wäre doch nicht das Schlechteste?

Pregla: Also, das auf jeden Fall, es gibt dazu eine Studie und nichts steigert nachhaltiger die Bereitschaft zur Organspende als das Gespräch darüber, auch mit allen seinen Schwierigkeiten. Deswegen bin ich sehr glücklich, dass wir heute miteinander darüber reden können.

Timm: Im "Radiofeuilleton" zu Gast war der Herzchirurg Reinhard Pregla und wir sprachen über ethische Fragen der Organspende, wann ist das Leben wirklich zu Ende? – Ich danke Ihnen für Ihren Besuch im Studio!

Pregla: Ja, danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.