Eine Feier des erotischen Begehrens

19.10.2010
Pierre de Ronsard (1524-1585) ist der bedeutendste französische Renaissance-Dichter, Mitglied der damals maßgeblichen Dichterschule "Pléiade" (Siebengestirn) und beteiligt an der einflussreichen Verteidigung der französischen Sprache (gegenüber dem Lateinischen) durch seinen Kollegen du Bellay. Die Tradition der antiken und italienischen Dichtung verwebt Ronsard höchst geschickt zu einer eigenständigen, erotisch-körperlichen, emotional vielseitigen "modernen" Liebeslyrik.
"Amoren für Marie" beginnen mit einer Elegie des Dichters "an sein Buch". Erst einmal in die Welt entlassen, stünde ihm ein schlimmes Schicksal bevor, warnt er. Ronsard wählt diesen überraschenden Einstieg, um spielerisch zu rechtfertigen, dass er auf seinen ersten Lyrikband, die "Amoren für Cassandre", erneut Liebesgedichte folgen lässt – allerdings an eine andere Frau.
Die damals gültige Tradition verlangte, ein Dichter habe sein Leben lang nur eine einzige Frau anzubeten. Ronsard nun erklärt entschieden, man müsse Schönheit, Liebe und das erotischem Begehren - einschließlich der körperlichen Reize der Frau - im Leben wie in der Dichtung feiern, wo und wann immer man sie finde.

Der Dichter singt das Loblied der Unbeständigkeit: "Beständigkeit ist was für alte Leute/ Dumm der, der nicht an hundert Orten liebt." Sehr konkret beschreibt Ronsard, wie er mit Marie zusammenliegt, und er bittet sie: "Gib Küsse mir: erst einen/ Dann küss mich hundert Mal". Und er spielt auf die Metapher vom Orgasmus als dem "kleinen Tod" an, wenn er schreibt: "Ich lieb das süße Ringen/ Von diesem Liebesspiel/ (...) Der Tag ist mein Genuß/ Wo ich dran sterben muß!"

Dann wieder leidet er unter der Sprödigkeit der Angebeteten. Sie hat ihn eines anderen wegen verlassen, doch er liebt sie immer noch. Den Arzt, der die Erkrankte mehrmals täglich besucht, um ihre entblößte Brust zu sehen und zu "betatschen", verspottet er.

Ergreifend sind seine Klagen über den Tod der Geliebten. Da geht es freilich nicht mehr um "seine", Ronsards Marie, sondern um Marie de Clèves, die früh verstorbene Geliebte Heinrichs III. von Frankreich - der Monarch hatte die Gedichte beim Dichter in Auftrag gegeben.

Ronsard verwebt seine eigenen Erlebnisse und Gefühle mit denen anderer und mit Elementen der dominanten literarischen Tradition, die genau vorgab, wie über Liebe zu reden war, zu einer kunstvollen, ästhetisch reizvollen, zuweilen witzigen, ironischen, immer verspielten, mal zart erotischen, mal derben Lyrik, die auch heute noch berührt und vergnügt.

Denn zwar hat sich unsere Auffassung von der Liebe in manchem verändert, aber Verliebtsein oder Eifersucht fühlen sich immer noch ganz ähnlich an wie vor 500 Jahren – das hebt die moderne Übersetzung durch Georg Holzer hervor. Manchmal geht darin zwar die Vieldeutigkeit poetischer Wortgebilde des Originals verloren, aber Atmosphäre und Emotionen werden sehr gut wiedergegeben: Die Übersetzung liest sich sehr gut. Und wer möchte, kann in dieser Ausgabe ja auch den daneben stehenden französischen Text zu Rate ziehen.

Besprochen von Gertrud Lehnert

Pierre de Ronsard: Amoren für Marie. Le Second Livre des Amours. Das zweite Buch der Amoren mit den Sonetten und Madrigalen für Astrée
Französisch-Deutsch. Übersetzt von Georg Holzer. Herausgegeben und kommentiert von Carolin Fischer
Elfenbein Verlag, Berlin 2010
280 Seiten, 24 Euro