Eine Entdeckungsreise in die Welt des Unbewussten

06.08.2007
Das Buch "Gestatten, mein Name ist Ich" von Timothy D. Wilson unternimmt eine Entdeckungsreise in die Welt des Unbewussten. Auf dem Boden neuer Erkenntnisse geht der Autor der Intelligenz des Unbewussten nach und bricht eine Lanze für das immer wieder zititete "Bauchgefühl".
Das Unbewusste im Sinne Sigmund Freuds war spektakulär, attraktiv, hinterlistig und munitioniert seit Sophokles’ "König Ödipus" große Literatur - aber es war ziemlich düster. Freud sah im Unbewussten ein System verdrängter Bewusstseinsinhalte, ein Reich unaufgeklärter, vor allem sexueller Triebe. Tiefenpsychologen arbeiten bis heute mit der Freudschen Theorie.

Anders der amerikanische Sozialpsychologe Timothy D. Wilson. Er entwickelt in Gestatten, meine Name ist Ich ein Konzept des Unbewussten - er nennt es das "adaptive Unbewusste" -, das ohne Verdrängung funktioniert. Für Wilson spielen sich viele Vorgänge im Geist/Gehirn außerhalb des Bewusstseins ab, weil das schlicht "die effizientere Lösung" ist. Auch auf das adaptive Unbewusste haben wir allerdings (wie aufs Freudsche) keinen direkten Zugriff. Wilson führt vor, dass die klassische Innenschau auf der Couch weniger zur Selbsterkenntnis verhilft als die Beobachtung unserer Handlungen in und unserer Reaktionen auf die Umwelt.

Das erste Kapitel von Gestatten, mein Name ist Ich heißt zwar "Freuds Genie, Freuds Kurzsichtigkeit", aber Timothy Wilson meidet die theoretische Kampfzone. Als Sozialpsychologe, der sich mit den Auswirkungen sozialer Vorgänge auf Denken, Fühlen und Handeln des Einzelnen beschäftigt, polemisiert er kurz gegen die jahrzehntelange wissenschaftliche Dominanz der Psychoanalyse - bevor er sich jedoch ernstlich mit Freud anlegt, schlüpft er lieber an Freud vorbei und fragt: "Gibt es nicht einfachere Erklärungen für die unbewussten Phänomene, die er erörtert hat?"

Tatsächlich denkt sich Wilson das adaptive Unbewusste als praktische Instanz ohne unheimliche Abgründe. Es erlaube uns, mit den 11 Millionen Informationsbits umzugehen, die das Sinnensystem pro Sekunde aufnehmen kann, während das Bewusstsein parallel nur 40 Informationsbits präzise verarbeitet. Das adaptive Unbewusste sondiert nach Wilson die Welt, alarmiert, bereitet komplexe Handlungen vor. Es ermöglicht dem Kleinkind, mühelos die Muttersprache zu erlernen. Es ordnet, interpretiert und urteilt, ehe das Bewusstsein überhaupt als Herr im eigenen Haus auftreten kann. Es selektiert, aber es macht auch Meinung. Experimente beweisen, dass auch Entscheidungen, die in die Zuständigkeit des adaptiven Unbewussten fallen, beim Hauskauf dem Gebrauch langer Pro- und Contra-Listen oft überlegen sind.

Entsprechend geht Wilson davon aus, "dass die menschliche Persönlichkeit zwei Sitze hat: im adaptiven Unbewussten und in den bewussten Deutungen und Beschreibungen des Selbst." Die erkenntnisfördernde Pointe ist nun, dass beide Instanzen emotionale und kognitive Anteile haben, relativ unabhängig agieren und in Konflikte geraten können. Das Bewusstsein, das die vermeintliche Giftschlange als Holzstock erkennt, ringt etwa mit dem Fluchtreflex, den das adaptive Unbewusste nicht intentional ausgelöst hat.

Der Hauptteil des Buches erzählt unter den Überschriften "Erkennen, wer wir sind", "… warum wir reagieren", "…wie wir fühlen" und "… wie wir fühlen werden", was die Psychologie heute über beide Instanzen und ihre Wechselwirkung weiß. Es erklärt, wie Probanden in Experimenten mit ihrem Unbewussten bekannt werden, wie populär unsere Irrtümer über uns selbst sind, wie sie sich aufklären lassen. Laut Wilson kann man Gefühle, Eigenschaften und Einstellungen im adaptiven Unbewussten ändern, indem man sein Verhalten ändert: "Tu Gutes, sei gut" - der richtigen Tat folge die gewünschte Justierung im Unbewusstsein.

Gestatten, meine Name ist Ich berichtet witzig und anekdotenreich über Selbsterkenntnis aus sozialpsychologischer Sicht und gibt dem Bewusstsein am Ende den Rat, vor allem eine gute, schlüssige Selbst-Erzählung zu konstruieren. Das adaptive Unbewusste, das Freudianer höchstens als Light-Version des großen alten Unbewusstseins akzeptieren dürften, erscheint als freundlicher-pfiffiger, inkognito agierender Mittäter des Selbst.

Da es dem Ego nicht zugänglich ist, rät Wilson ernsthaft: "Wir können viel über uns lernen, indem wir Berichte über kontrollierte psychologische Studien lesen". Der Pendo Verlag, der das Werk verlegt, führt neben der Rubrik "Sachbuch" auch "Lebenswissen". Wilson überschreitet manchmal die Gattungsgrenzen, er wird Ratgeber - so für den Umgang mit Bauchgefühlen: "Das Kunststück besteht darin, ein fundiertes Bauchgefühl zu entwickeln und dieses dann nicht zu eingehend zu analysieren." Wilsons Buch macht Spaß. Zu eingehend sollte man einige Passagen aber nicht analysieren.

Rezensiert von Arno Orzessek

Timothy D. Wilson: Gestatten, mein Name ist Ich
Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober
Pendo Verlag 2007
331 Seiten, 19,90 Euro.