"Eine echte Herausforderung"

Nedim Gürsel im Gespräch mit Katrin Heise · 16.04.2012
Der in Frankreich lebende türkische Schriftsteller Nedim Gürsel ist in seiner Heimat einer der am meisten gelesenen Autoren. Mit "Allahs Töchter" zog er sich allerdings den Ärger vieler Moslems zu, die sich durch die Darstellung des Propheten Mohammed verletzt fühlten. Jetzt erscheint das Buch auf Deutsch.
Katrin Heise: Der Schriftsteller Nedim Gürsel gilt neben Yasar Kemal und Orhan Pamuk zu den wichtigsten türkischen Autoren. Mit seinem Roman "Allahs Töchter", der jetzt auf Deutsch erscheint, provozierte er 2008 die türkische Religionsbehörde und wurde angeklagt. Das Gericht sprach ihn frei, er ist gerade mehrere Monate als Gastprofessor an der Berliner Freien Universität gewesen und kurz vor seiner Abreise wieder zurück nach Paris konnte ich ihn treffen. Ich grüße Sie ganz herzlich, Herr Gürsel!

Erzählt wird uns die Geschichte einer religiösen Kindheit, ein kleiner Junge wird von seinem Großvater in den Islam eingeführt. Wir erfahren von Lat, Uzza und Manat, die aus Mekka berichten, das sind die Töchter Allahs. Diese Töchter sind zumindest hierzulande, in Deutschland, kaum bekannt, wer waren diese Töchter, welche Rolle spielen sie im Koran?

Nedim Gürsel: Ja, dieser Roman erzählt von einer muslimischen Kindheit. Die drei von Ihnen genannten Namen Lat, Uzza, Manat sind die Namen der drei Göttinnen der Stämme in der vorislamischen Zeit. Ich verleihe ihnen die Stimme zurück, sie erzählen ihre drei Versionen von der Herankunft des Islam zu den Zeiten des Propheten Mohammed.

Heise: Sie sagen, Sie verleihen ihnen die Stimme zurück, denn der Islam ist die Religion des einen Gottes. Was bedeutet es, dass die drei Töchter weichen mussten, zu Götzen erklärt wurden?

Gürsel: Es handelt sich in der Tat um eine polytheistische Gesellschaft vor dem Islam, in diesem Stamm der Quraysch wurden mehrere Gottheiten verehrt, es gab Allah bereits, aber er schwebte fern in den Himmeln. So verspürte er das Bedürfnis, Vorläufer zu entsenden, diese Töchter Allahs, Banat Allah, wie das auf Arabisch heißt, und durch sie wurde dann der Monotheismus angekündigt. Sie wurden damals noch in Mekka verehrt, aber mit dem Einzug des Islam wurden ihre Standbilder zerbrochen und der Islam führte dann die Herrschaft des Monotheismus ein.

Heise: Wenn wir in Deutschland von den Töchtern Allahs sprechen, dann meinen wir damit meistens die unterdrückten Musliminnen. Ein bisschen habe ich Ihr Buch auch so gelesen. Wollten Sie mit den Töchtern Allahs, also dann auch mit der Geschichte von Lat, Uzza und Manat, sich auch allgemein der Rolle der Frauen in islamischen Ländern annehmen, sie aufgreifen?

Gürsel: Es gibt ja auch ein Drama in meinen Augen im Leben des Propheten Mohammed, nämlich, dass er keine männlichen Nachkommen hatte. Er hatte vier Töchter mit seiner Frau Chadidscha, aber keinen männlichen Nachkommen zu haben war für ihn in dieser Stammesgesellschaft etwas Erniedrigendes, etwas Schlimmes. Daran litt der Prophet und dieses Leiden des Propheten habe ich auch in meine literarische Gestalt eingewoben, das Problem der männlichen Nachkommen. Und das wird verflochten mit dem Thema der Stellung der Frau im Islam. Wobei man sagen muss, in der vorislamischen Zeit war die Stellung der Frau noch schlechter.

Heise: Der kleine Junge, den ich erwähnt habe, der eigentlich die Hauptperson in dem Buch ist, der in den Islam eingeführt wird, dieser kleine Junge staunt über Heldensagen, über Wunder, er ist verwirrt von rätselhaften Vorgängen. Er ängstigt sich aber auch bei den Opfergeschichten, bei den Höllenqualen, die ihm geschildert werden. Der Verlag schreibt, das sei Ihre eigene Kindheit, die Sie uns da erzählen. Was ist denn aus der Faszination, aus der Angst dieses Kindes geworden bei Ihnen?

Gürsel: Mein Verleger hat recht, dieser Roman ist in der Tat mindestens zum Teil ein autobiografisches Buch, was die Kindheit, was den kleinen Jungen angeht. Heute würde ich mich als einen Agnostiker bezeichnen. Ich erkenne immer noch diesen Bann der Worte, aber ich sage, das Dasein Gottes ist etwas, was meine Urteilskraft übersteigt. Es könnte sein, dass es Gott gibt, es kann sein, dass es Gott nicht gibt, so bin ich eben zum Agnostiker geworden. Bis zum Alter von 50 Jahren war ich hingegen erklärter Materialist und Marxist, aber mit dem Voranschreiten der Jahre stelle ich mir diese metaphysischen Fragen und das Buch behandelt eigentlich als Gegenstand diesen Glauben. Es befragt den Glauben und zugleich beschreibt es den Verlust des Glaubens.

Heise: Der Roman "Allahs Töchter" erscheint heute in deutscher Übersetzung, Sie hören in Deutschlandradio Kultur ein Gespräch mit dem Autor Nedim Gürsel. Herr Gürsel, Ihr Roman kam ja 2008 in der Türkei heraus, er fand sehr viele Leser, aber auch heftige Kritiker. Sie wurden angeklagt, die Gefühle der Gläubigen verletzt zu haben, das Gericht hat Sie freigesprochen. Hatten Sie damit nicht eigentlich auch gerechnet oder rechnen müssen, als Sie den Propheten Mohammed zu einer Romanfigur gemacht haben?

Gürsel: Ich muss sagen, ich war doch überrascht über diesen Prozess, denn in einer säkularen Republik, wie es die Türkei ist, kann es das Verbrechen der Gotteslästerung nicht geben. Wir haben doch das Recht, uns kritische Fragen über die Religion zu stellen, wenn wir in einer Demokratie leben. In einer Theokratie ist so etwas nicht möglich. Selbstverständlich: Den Propheten Mohammed zu einer Gestalt in einem Roman zu machen stellt heute schon eine echte Herausforderung dar; ich war übrigens der erste Autor, der in der türkischen Literatur dieses Wagnis auf sich genommen hat, Mohammed zur Hauptgestalt eines Romans zu machen. Und in meiner Kindheit war dies auch angelegt. Denn es kreisen so viele Legenden um die Gestalt des Propheten, sie haben meine Kindheit mit geprägt, und ich war stets fasziniert und gebannt durch diesen Schatz an Erzählungen. Wenn ich aber freigesprochen worden bin, so bedeutet das, dass die Türkei immer noch ein laizistischer Staat ist, auch wenn es gewisse fanatische Kreise gibt, die mich zum Ziel erklärt haben, was für mich auch einige schwierige Augenblicke mit sich brachte, denn ich bin in der Tat bedroht worden. Letztlich aber ist das Buch ein Roman, aus der Einbildungskraft entsprungen, und muss als solcher genommen werden. Es ist kein theologisches Traktat, es ist ein Roman mit dem Titel "Die Töchter Allahs".

Heise: Das klingt ja sehr versöhnt mit der Türkei heute. Sie sagten damals, ein Land, das seine Schriftsteller mit Gefängnisstrafe bedroht, passe nicht in die EU. Das Gericht, wie gesagt, hat Sie freigesprochen. Die Türkei spielt ja international momentan eine immer wichtigere Rolle gerade auch als Vermittler zu islamischen Ländern. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Gürsel: Die Türkei bleibt weiterhin ein Beitrittskandidat bei der EU. Seit dem Oktober 2005 laufen diese Beitrittsverhandlungen, auch wenn sie jetzt nicht weitergeführt werden. Ich glaube jedoch, dass die Türkei dieses Kapitel mittlerweile abgeschlossen hat und die Seite umgedreht hat. Ich bedaure das, denn wenn es Fortschritte in der Demokratisierung der Türkei in den letzten zehn Jahren gegeben hat, so war es gerade dank dieser Aussicht auf eine Mitgliedschaft in der EU.

Heute versucht die Türkei, eine andere Rolle zu spielen, sie strebt eine Vorrangstellung im Raum der arabischen Völker an, sie möchte eine Art Führungsrolle übernehmen. Das ist für sich genommen auch zu begrüßen, denn die Türkei ist ja eine Regionalmacht, sie ist auf dem Rang 17 der Volkswirtschaften, und ich bedaure es aber dennoch, denn ich glaube an die Werte, auf denen Europa begründet ist. Ich bleibe also ein überzeugter Anhänger eines Beitrittes meines Heimatlandes zur Europäischen Union, auch wenn Europa im Augenblick eine schwere wirtschaftliche Krise durchlebt.

Heise: Das sagt Nedim Gürsel, sein Roman "Allahs Töchter" erscheint heute in deutscher Übersetzung. Vielen Dank, Herr Gürsel, für Ihren Besuch!

Gürsel: Vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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