Eine Documenta ohne Architekten

Von Adolf Stock · 22.07.2012
Architekten waren viele Jahre auf der Documenta vertreten. Dieses Jahr sind sie außen vor geblieben. Documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev bindet lieber Sozial- und Naturwissenschaftler ein. Und das ganz bewusst.
Auf der Documenta 11 gab es eine Traumstadt aus Pappmaschee. Fünf Jahre später wurde die Architekturzeitschrift ARCH+ gebeten, über die Documenta nachzudenken, und Künstler, Architekten und Städtebauer aus Rio de Janeiro sollten in einem Documenta urban Labor ihre Erfahrungen mit den Favelas, den trostlosen Gettos der Armen, auf die Stadt Kassel übertragen. Alles ein bisschen weit hergeholt. Doch was können Architekten auf der Documenta tun? Nichts, glaubt die diesjährige Documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev:

"Ich merke, dass die Kunstwelt sehr vom architektonischen Modell und von der Hinwendung zur Architektur dominiert war. An vielen Documenta-Ausstellungen waren Architekten beteiligt, und in den 80er-Jahren begann man weltweit mit dem Bau so vieler Museen für zeitgenössische Kunst, und es schien so, dass der Name des Architekten wichtiger war als die Kunst im Inneren des Museums. Oft haben sich die Architekten keine Gedanken über die Kunst gemacht, die später in den von ihnen geschaffenen Räumen gezeigt werden sollte. Für mich ist diese Art von Star-Architektur ganz weit weg von der Möglichkeit, Räume für grundlegende Erkenntnis zu eröffnen."

Eigentlich hat die Verbindung zwischen Kunst und Architektur bei der Documenta eine lange Tradition. Gründer Arnold Bode wollte von Anfang an neben der Documenta eine Documenta urbana. Sein Wunsch sollte erst 1982 in Erfüllung gehen. Damals haben berühmte Architekten wie der Österreicher Otto Steidle, der Niederländer Herman Hertzberger oder das Münchner Büro Hilmer und Sattler eine kleine Siedlung am Stadtrand gebaut. Das war Lucius Burckhardt - der damals in Kassel Promenadologie, also Spaziergangswissenschaft lehrte - entschieden zu wenig. Ihm eilte ein avantgardistischer Ruf voraus. In den 50er-Jahren hatte er gemeinsam mit Max Frisch die Nachkriegsarchitektur der Schweiz attackiert.

Jetzt nahm er Arnold Bode beim Wort und brachte Künstler, Urbanisten und Architekten zusammen, die sich mit den reichlich vorhandenen Problemzonen in der Kasseler Innenstadt beschäftigen sollten.

Carolyn Christov-Bakargiev geht nun einen ähnlichen Weg. Auch sie sammelt Weggenossen jenseits der Kunst. Im Vorfeld der Documenta sind 100 Notizhefte erschienen, die es jetzt auch als Buch zu kaufen gibt:

"Ein erster einfacher Zusammenhang ist, dass viele Künstler, die an der Documenta teilnehmen, gleichzeitig Autoren oder Co-Autoren von einigen der Notebooks sind, zusammen mit Philosophen, Schriftstellern, Denkern, sodass diese Notebooks auch etwas Geheimnisvolles haben, weil es Künstler gibt, die Autoren sind, die Autoren der Notebooks sind und die an der Ausstellung teilnehmen."

Ein Dialog soll entstehen, an dessen Ende der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft nicht mehr so wichtig ist, aber sie habe nicht das Gefühl, sagt Carolyn Christov-Bakargiev, dass sie gerade jetzt die Beziehung zu Architekten weiterverfolgen müsse.

Man darf das nicht missverstehen. Carolyn Christov-Bakargiev interessiert sich durchaus für urbane Räume. 1955 lag Kassel in Trümmern. Die erste Documenta war Begleitprogramm einer Bundesgartenschau.

Paul Bode, der jüngere Bruder des Documenta-Gründers, gehörte zu den Architekten, die den Wiederaufbau in Angriff nahmen. Das ist lange her, und so findet die diesjährige Documenta auch in den Ruinen des Wiederaufbaus statt, in verlassenen Ballsälen oder einem heruntergekommenen Filmpalast, der einst Premierenkino war, bevor Cinemaxx und Co. nach Kassel kamen. Ein kleiner Beleg dafür, dass Zerstörung und Wiederaufbau nicht linear verlaufen.

Carolyn Christov-Bakargiev: "Ich stimme Ihnen zu, dass man bisher Zerstörung und Wiederaufbau als zwei aufeinanderfolgende Momente gesehen hat - wie Vor-dem-Krieg, der Krieg, Nach-dem-Krieg - aber heute, im Tempo des digitalen Zeitalters und angesichts der Art und Weise, wie die Medien arbeiten und wie imaginäre Systeme entstehen und verbreitet werden, ist es schwierig, sie als klar definierte Momente in einer Abfolge zu sehen.

Oft befindet man sich mitten in einem Krieg und gleichzeitig nach dem Krieg, wie zum Beispiel in Afghanistan. Und das gilt auch für die Finanzsysteme, die Geschwindigkeit der Computer in den Banken- und Finanzsystemen ist so hoch, dass wir nicht einmal wissen, wie oft pro Tag Zerstörung und Wiederaufbau erfolgen. Ihre Rechner machen das ja völlig selbstständig. Es ist also ein anderer historischer Moment, und es ist ein anderer technologischer Moment, und es ist eine andere Gesellschaft."

Zerstörung und Wiederaufbau finden stets gleichzeitig statt. Auch das will die Documenta zeigen. Carolyn Christov-Bakargiev achtet die Arte Povera, eine Kunst, die manchmal aus Abfall und Resten besteht. Kassel übt diesmal Bodenhaftung. Die spektakulären Bauten der Stararchitekten, die vielen Museen, die weltweit aus dem Boden schießen, sind von einem ganz anderen Stern, sie wollen immer nur Fortschritt sein.

Weitere Informationen:

documenta 13
Spaziergangswissenschaft
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