Eine Charta für ein neues Europa

Von Otto Langels · 19.11.2010
Am 19. November 1990 kamen die Regierungschefs der 34 KSZE-Mitgliedsländer in Paris zusammen, um eine Charta für ein neues Europa zu unterzeichnen. Die Staaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erklärten darin das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung des Kontinents für beendet und versprachen, ein neues Europa der Demokratie, des Friedens und der Einheit aufzubauen.
Am Rande des KSZE-Gipfels verpflichteten sich die Militärbündnisse NATO und Warschauer Pakt, ihre konventionellen Waffensysteme umfassend zu reduzieren.

"40 Jahre haben wir Stabilität ohne Freiheit in Europa gehabt. Jetzt wollen wir Freiheit in Stabilität", …

… erklärte Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterand am 19. November 1990 zur Eröffnung des KSZE-Gipfels in Paris.

Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa war 15 Jahre zuvor ins Leben gerufen worden, als die Staats- und Regierungschefs von 33 europäischen Staaten sowie der USA und Kanadas in Helsinki eine Schlussakte unterzeichnet hatten. Darin verpflichteten sie sich, Streitfälle friedlich zu regeln, die Menschenrechte zu wahren, die Grenzen anderer Staaten zu respektieren und sich nicht in deren innere Angelegenheiten einzumischen. Befürchtungen, dass damit die undemokratischen Strukturen in den osteuropäischen Ländern und die Teilung Europas zementiert würden, bewahrheiteten sich nicht. Im Gegenteil, Bürgerbewegungen in der Sowjetunion, Polen, der DDR und der Tschechoslowakei beriefen sich auf die Schlussakte von Helsinki. Die KSZE trug mittelbar zu den politischen Umwälzungen Ende der 80er-Jahre in Osteuropa bei.

So konnte US-Präsident George Bush im November 1990 in Paris verkünden:
"Der Kalte Krieg ist zu Ende", sagte US-Präsident George Bush heute früh und gab damit in amerikanischer Kürze seine Beurteilung des KSZE-Gipfels ab.

Die KSZE stand nach dem Fall der Berliner Mauer ganz im Zeichen eines neuen Europa. Anstelle eines blockübergreifenden Sicherheitsbedürfnisses sollten nunmehr gemeinsame Werte die Mitgliedsstaaten verbinden. In der Charta von Paris, zu der sich die USA und Kanada sowie alle europäischen Länder - mit Ausnahme Albaniens -, bekannten, heißt es:

"Nun ist die Zeit gekommen, in der sich die jahrzehntelang gehegten Hoffnungen und Erwartungen unserer Völker erfüllen: das unerschütterliche Bekenntnis zu einer auf Menschenrechten und Grundfreiheiten beruhenden Demokratie, Wohlstand durch wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit und gleiche Sicherheit für alle unsere Länder."

Die Charta von Paris konkretisierte den eher unverbindlichen Text der KSZE-Schlussakte von Helsinki. Nun war nicht mehr von Empfehlungen, sondern von Verpflichtungen die Rede, zum Beispiel nationale Minderheiten zu schützen und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken.

Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterand warnte allerdings vor zu hohen Erwartungen:

"Die klassische militärische Bedrohung hat sich enorm verringert, aber sie ist nicht verschwunden. Die despotischen Regime sind zwar untergegangen, doch die Demokratie, die sich aus ihren Ruinen erhebt, ist noch zerbrechlich. Überall wurde zwar die Freiheit ausgerufen, aber die alten Denkgewohnheiten bestehen fort. Der friedliche Verlauf der Revolutionen darf nicht den Blick verstellen auf die Probleme und neuen Risiken, die noch vor uns liegen."

Als eindrucksvollen Beleg, dass das Zeitalter der Konfrontation und die Teilung Europas überwunden seien, werteten die KSZE-Staaten die deutsche Einheit. Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte dazu:

"Jetzt in Paris wurde in großer Übereinstimmung die deutsche Einheit als das Zeichen des Fortschritts in Richtung auf eine dauerhafte und gerechte europäische Friedensordnung begrüßt. Die Vereinigung Deutschlands ist ein sehr starker Impuls für die Einigung Europas im Rahmen der EG und der KSZE."

Am Rande des Pariser Treffens verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten der NATO und des Warschauer Pakts zu weitreichenden Abrüstungsmaßnahmen und zur wechselseitigen Kontrolle ihrer Waffensysteme.

Nahezu alle Teilnehmer betrachteten den KSZE-Gipfel als Meilenstein der Politik.

Heute ist die KSZE, die sich 1995 in OSZE umbenannte, mit 56 Mitgliedsstaaten die weltgrößte regionale Sicherheitsorganisation, ihr Radius reicht von den USA und Kanada über ganz Europa bis in den Fernen Osten Russlands. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist in zahlreichen Ländern präsent, um Wahlen zu beobachten, Grenzen zu sichern, Konflikte zu schlichten, Polizisten auszubilden, Menschenhandel und Terrorismus zu bekämpfen.

Allerdings gelang es der Organisation nicht, den Ausbruch militärischer Auseinandersetzungen zu verhindern. Die Kriege in Ex-Jugoslawien und im Kaukasus offenbarten die Ohnmacht der OSZE und die begrenzte Gültigkeit der Charta von Paris.