Eine Bresche für den Sonntag

Von Günter Hellmich, Landeskorrespondent Berlin · 01.12.2009
Advent, Advent, kein Lichtlein brennt ... ! heißt es vom nächsten Jahre an in den Shoppingpalästen der Hauptstadt. Vermutlich lässt man in korrekter Auslegung des Karlsruher Urteils wenigstens an einem Sonntag vor dem Christfest bei KaDeWe und Co. die Glastüren offen. Damit nicht alle, die gern zum Weihnachtseinkauf in die deutsche Metropole gekommen wären, nach New York ausweichen müssen.
Für die Berliner Wirtschaft beklagt jedenfalls die Industrie- und Handelskammer den Verlust einer wichtigen Attraktion, einen "Rückschlag für die Shoppingmetropole". Damit ist für sie auch klar, dass die Verfassungsrichter "realitätsfremd" entschieden haben , ihr Urteil entspreche nicht der heutigen Lebenswelt.

Nein, nein, liebe Freunde der ungebremsten Umsatzmöglichkeiten, die Karlsruher Verfassungshüter sind absolut nicht von gestern, sondern haben auf der Höhe der Zeit entschieden, vom Sonntag zu retten, was noch zu retten ist.

Dabei wird über die in religiösen Traditionen wurzelnden Interessen der Kirchen am freien Sonntag hinaus unterstrichen, dass die gemeinsame Freizeit eine für die Gesellschaft wie für jeden Einzelnen wichtige Funktion hat: Ruhe, Besinnung, Erholung, gemeinsame Unternehmungen mit Familie oder Freunden. Auch wer nicht daran glaubt, dass man dem Vorbild des lieben Gottes zu folgen hat und am siebten Tage der Schöpfung ruhen muss, sieht seine Sonntagsruhe nun grundgesetzlich geschützt. Indem die Karlsruher Richter festhalten, dass nicht nur die Religionsfreiheit, sondern auch andere Grundrechtsgüter wie beispielsweise der Schutz von Ehe und Familie oder Gesundheit den freien Sonntag verlangen, setzen sie einen klaren Akzent gegen die fortschreitende Ökonomisierung des Alltags. Zumal sehr deutlich gemacht wird, dass das Gericht nicht nur die Ladenschlusszeiten im Auge hatte, sondern dass diesen eine Schlüsselfunktion für die generell geschützte Arbeitsruhe am Sonntag zukommt.

In Zeiten von Arbeitszeitkonten und fortschreitenden Flexibilisierungsansprüchen an Arbeitnehmer setzt das heutige Urteil deutliche Grenzen, indem es den Schutz der sonntäglichen Arbeitsruhe ganz allgemein unterstreicht und wirtschaftliche Interessen für nachrangig erklärt. Das mag zwar manchem Unternehmer lebensfremd erscheinen, aber dennoch ist dieses Urteil eine wichtige Entscheidung für die Hierarchie in unserem Wertesystem. Eine Festlegung, die weit über die Frage hinausgeht, ob der Berliner Einzelhandel sein Weihnachtsgeschäft ohne den Umsatz der Adventssonntage halten kann. Wobei noch der Hinweis erlaubt sein muss, dass die sonstigen Öffnungszeiten bei Weitem nicht ausgeschöpft werden.