Einbruch in eine Idylle

07.08.2009
Die "Neue Zürcher Zeitung" nannte Andrew Sean Greer einmal einen "hoffnungslosen Romantiker". Der amerikanische Schriftsteller, Jahrgang 1970, wurde 2004 über Nacht zum literarischen Shooting-Star in den USA, - mit seinem Roman "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli", - 2005 auch in Deutschland ein Besteller. Die Kritiker überschlugen sich. John Updike verglich Greer mit literarischen Legenden wie Proust und Nabokov.
Vier Jahre sind vergangen, und nun ist ein neuer Greer-Roman erschienen - "Geschichte einer Ehe". Wir schreiben das Jahr 1953 und versetzen uns an die blaue Pazifikküste Kaliforniens in die Stadt San Francisco.

Dort lernen wir ein glückliches junges Paar kennen, Pearl und Holland, er Handelsvertreter, sie Hausfrau und Mutter. Beide sind Ende 20 - Reihenhaus, Kind und Hund. In diese Idylle bricht ein Besucher ein, ein alter Freund des Ehemanns. Der "alte Freund" entpuppt sich als ehemaliger Liebhaber und Lebenspartner des Ehemannes.

Erlebt beziehungsweise erzählt wird das von der Ehefrau, der Ich-Erzählerin, die nicht wusste, dass ihr Mann auch Männer liebt oder liebte. Der Plot ergibt sich also aus der Frage: Wird sie ihren Ehemann an den wieder aufgetauchten Ex-Lover verlieren?

Bevor es zu einer Entscheidung kommt, lernen sich die drei Menschen besser kennen. Dabei begreifen sie, dass sie eines gemeinsam haben: sie sind Außenseiter der Gesellschaft, -einmal die beiden Männer, der schwule Weiße und der bi-sexuelle Schwarze, die sich beide während des Zweiten Weltkrieges in einer psychiatrischen Anstalt kennen gelernt haben: der eine war im Einsatz durchgedreht, der andere Kriegsdienstverweigerer. Und die Ehefrau, weil sie schwarz ist und weil sie eine Frau ist.

Eine Frau könne es sich nicht leisten, so lässt Greer sie sagen, ihre Sehnsüchte zu benennen, nicht einmal, sie zu kennen.

Der Roman hat sprachlich zwei Seiten: auf der einen Seite viele Dialoge und lakonisch hin getupfte Alltagsbeschreibungen: als sei die Welt, wie es im Text heißt, schon immer verzaubert gewesen, nur habe es ihm niemand gesagt; mit liebevoller Ironie leicht und schwebend zusammengefügt mit "Traumklebstoff".

Die andere Seite des Romans dagegen kommt massiv und direkt daher mit großen Sinnsätzen wie in Stein gemeißelt: "Schönheit ist eine Linse, die verzerrt." oder: "Wir sind zur Unzeit geboren." "Geschichte einer Ehe" ist ein politischer Roman: die USA 1953: Korea-Krieg, Rassismus, Antisemitismus, Kommunistenhatz. Am 19. Juni 1953 wird das Ehepaar Rosenberg wegen vermeintlicher Atom-Spionage auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.

Nichtsdestotrotz ist "Geschichte einer Ehe" ein ruhiger, ein heiter getragener Roman, ein menschenfreundlicher, ein optimistischer Roman. Wie selten das ist! Wie beim Subjektivismus Marcel Prousts steht der Mensch im Vordergrund, auf der Suche nach seiner Identität. Wie beim Symbolismus Baudelaires gehen Musikalität und Moralismus Hand in Hand. Aber "Geschichte einer Ehe" ist zu allererst ein amerikanischer Roman, oder besser: kalifornischer Roman mit der traurig-heiteren Melancholie eines John Steinbeck.

Besprochen von Lutz Bunk

Andrew Sean Greer: Geschichte einer Ehe
S. Fischer Verlag 2009, 256 Seiten, 19,95 Euro