Einblicke in die gesperrte Zone

Rezensiert von Karin Hartewig · 07.06.2009
Die Zentrale der Staatssicherheit der DDR an der Normannenstraße in Berlin war nur ein Teil eines ganzen Geheimviertels - ein abgeriegelter Bereich, den nur betreten durfte, wer zur Stasi gehörte. Christian Halbrock hat mit dem Buch "Stasi-Stadt - Die MfS-Zentrale in Berlin Lichtenberg" einen Führer durch das Areal vorgelegt.
Der historische Spaziergang führt den Hauptstadtouristen in einer guten Stunde durch die trostlos graue Stadtlandschaft im Carrée zwischen Frankfurter Allee, Rusche-, Bornitz- und Alfredstraße, deren Mittelachse die Normannenstraße bildet. Dort lag zu DDR-Zeiten die Zentrale der Staatssicherheit.

In vier Jahrzehnten dehnte sie sich zu einem übermächtigen Ensemble von Gebäuden aus und mutierte zum streng bewachten exterritorialen Raum. Wie Kafkas Schloss oder wie ein unheimliches Ufo senkte sich die gesperrte Zone über die Stadt.

"Der knapp zwei Quadratkilometer große Komplex zerschnitt ein historisch gewachsenes Wohngebiet [...]. Ihm fielen ab 1950 mehrere Straßen und zahlreiche Gebäude zum Opfer, darunter Wohnbauten von Bruno Taut und eine Kirche. Schätzungsweise 5000 bis 7000 MfS-Mitarbeiter arbeiteten nach dem Stand Mitte der achtziger Jahre im gesperrten Territorium."

Angefangen hatte alles 1950 in den Räumen des Lichtenberger Finanzamtes in der Normannenstraße 22. Im selben Gebäude saß bereits die sowjetische Geheimpolizei. Das benachbarte Fernmeldeamt in der Dottistraße war von strategischer Bedeutung. Ein naher Keller und das alte Gefängnis in der Magdalenenstraße dienten den Spezialisten der Gewalt als Hafträume.

Bereits in den 50er Jahren vergrößerte sich die Staatssicherheit. Im gemäßigten sowjetischen Zuckerbäckerstil entstand 1956 als Teil der Vorzeige- und Schaumeile Stalinallee einer der ersten Erweiterungsbauten: das L-förmige Haus 7. Es wurde in Rekordzeit hochgezogen.

In den Jahren 1961 und 1962 wurde das "Objekt Z" gebaut, ein Zwischenbau, der die Lücke zum alten Finanzamt schloss. Dort zog Erich Mielke mit seinem Stab ein.

Noch bildete der MfS-Komplex kein geschlossenes Ensemble. Und so wurde der großzügig gestaltete, verglaste Eingangsbereich zur Achillesverse. Seit 1975 verdeckte deshalb ein improvisierter Sichtschutz aus hässlichen Betonformsteinen Zufahrt und Eingang – bis die Hochhäuser der Auslandsspionage an der Ruschestraße den Innenhof endgültig gegen unerwünschte Blicke von außen abschirmten.

Für die schnelle Expansion der Stasi in den 70er Jahren wurden ganze Straßenzüge dem Erdboden gleichgemacht und idyllische Gartenkolonien eingeebnet. Bald verzeichnete kein Stadtplan Ost-Berlins mehr die Helmut(h)- und die Müllerstraße.

Auch die Neuapostolische Kirche versank in Schutt und Asche. Denn Kirchtürme waren potentielle Aussichtstürme. Sie stellten mithin ein Sicherheitsrisiko dar.

"Das Ministerium, für das die oberste Geheimhaltungsstufe galt, war bestrebt, unbeobachtet von außen in seinem Sperrbezirk agieren zu können."

In die Straßen rund um die Stasi-Zentrale zogen neue Mieter ein. Häuserweise wurde die Magdalenenstraße von den Wachmannschaften des Gefängnisses und ihren Familien übernommen: zuerst von den Russen, dann von den Deutschen. Die Neubauwohnungen in den Plattenbauten an der Frankfurter Allee vergab man später ausschließlich an die Mitarbeiter des Familienbetriebs der besonderen Art: Inzwischen arbeiteten nicht nur die Väter, sondern auch die Söhne und Töchter bei der Stasi.

Und heute?

20 Jahre nach dem Ende der DDR ist das Areal der Stasi-Zentrale und das angrenzende Wohngebiet noch immer ein unwirtlich kalter Stadtraum, den man gerne wieder verlässt.

Christian Halbrock: Stasi-Stadt - Die MfS-Zentrale in Berlin Lichtenberg
Ch. Links Verlag, Berlin