Einblick in alltägliche Exil-Schicksale

16.07.2009
In ihrem Buch "Reise ohne Wiederkehr? Leben im Exil 1933 bis 1945" zeichnet die Historikern Corinna R. Unger neben dem Schicksal bekannter Exilanten auch den Lebensweg unbekannter Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus nach.
Viele flohen 1933, weil sie um ihr Leben bangten. Andere gingen schon vorher weg. Sie ahnten, was da heraufdämmerte. Den größten Teil hatte die Hitlerbande – aus rassischen und politischen Gründen - regelrecht fortgejagt. Corinna Unger erinnert an diese Menschen. Ihr Buch wolle nicht nur die berühmten Fälle zeichnen, sondern auch Einblick geben in die gewöhnlichen, alltäglichen Exilschicksale, denn sie seien die typischeren. "Reise ohne Wiederkehr?" versucht zumindest, in diese Richtung zu gehen.

Manche Fotos in dem Buch, einige sind weitgehend unbekannt, machen die Kümmernis der Betroffenen anschaulich. Darauf Schlangen vor Ämtern, ein wartendes Paar am Kai, Passdokumente, Gesichter, ernste Augen. Corinna Unger gibt ein instruktives, thematisch gegliedertes Bild über die wesentlichen Exilgeschehnisse. Eine Geschichte des Exils, sagt sie, sei eine Geschichte von persönlichen Schicksalen. Allgemein bekannt seien die Exilbiografien der großen Namen: Thomas Mann, Albert Einstein, Bert Brecht, die in Autobiografien über ihre Erfahrungen berichtet haben und deren Briefwechsel, Tagebücher und sonstige Zeugnisse veröffentlicht sind. Viel komplizierter sei es indes, das Schicksal der nichtprominenten Personen zu rekonstruieren.

Freilich, nahezu unübersehbar ist die Fülle dessen, was die Exilforschung schon geleistet hat. Dickleibige Sammelbände, Dokumentationen, ja ganze Buchfolgen existieren. Wozu also noch dieses Buch "Reise ohne Wiederkehr?" Ohne Umschweife: Das Buch ist ungeheuer wichtig. Jeder, der mehr wissen will über die Wege deutscher Exilanten, sollte es zur Hand nehmen. Denn es führt ein, fasst zusammen, bündelt die Schicksale. Es ordnet den Stoff anders und neu als gemeinhin üblich und entfaltet ihn so sachlich und objektiv es geht. Dabei ist Corinna Unger immer auf Seiten der Betroffenen, verliert die ursächlichen Zusammenhänge nicht aus dem Blick.

Bekanntlich gelang vielen die Flucht nicht. Einer der erschütternsten Fälle, den die Autorin beschreibt: der des Philosophen Walter Benjamin. In einem Brief schrieb er:

"Die völlige Ungewissheit über das, was der nächste Tag, was die nächste Stunde bringt, beherrscht seit vielen Wochen meine Existenz. Ich bin verurteilt, jede Zeitung wie eine an mich ergangene Zustellung zu lesen und aus jeder Radiosendung die Stimme des Unglücksboten herauszuhören."

Im französischen Exil schwebte Walter Benjamin ständig in Gefahr, an die Gestapo ausgeliefert zu werden. Um einer erzwungenen Rückkehr zu entgehen, nahm er sich am 26. September 1940 in einem Hotelzimmer das Leben. Er war 48 Jahre alt.

Viele solcher einprägsamen Geschehnisse und Porträts sind in dem Buch nachzulesen. Aufschlussreich nicht minder der kaum bekannte Fall des Ehepaars Hertha und Erich Nathorff. Ein Foto zeigt die Gesichter dieser beiden mutigen Deutschen jüdischer Herkunft. Unsäglich schwer für sie, nicht nur die Schranken der deutschen Behörden zu überwinden, sondern genauso die der Bürokratien in den Einreiseländern. In New York untergekommen, nahm Hertha eine Stelle als Haushälterin und Pflegerin an, um ihrem Manne zu ermöglichen, sich nach US-amerikanischen Normen zu schulen und als Arzt niederzulassen - so die Autorin, deren Buch das Motiv der Rolle der Frauen im Exil wie ein roter Faden durchzieht. Liebevoll, ihre Bewunderung kaum zurückhaltend, porträtiert sie Persönlichkeiten wie Anna Seghers, Hannah Arendt, Erika Mann, Vicki Baum und andere.

"Als Haushaltshilfen, Näherinnen und Kindermädchen wurden viele Frauen zu den Haupternährerinnen ihrer Familien. Etliche Männer gerieten durch die Auflösung der überkommenen Geschlechterordnung in eine Identitätskrise, die durch den beruflichen Statusverlust verschärft wurde."

Nicht unerwähnt bleiben die Verfolgungen von Exilanten durch die McCarthy-Tribunale in den USA in den 40er-Jahren. Die US-Dienste bespitzelten Verdächtige und versuchten, Geständnisse zu erpressen. Brecht, Gerhard und Hanns Eisler, Chaplin, Einstein und andere Prominente

"gerieten ins Visier der Antikommunisten und wurden vom Federal Bureau of Intelligence (FBI) bespitzelt – so auch Erika Mann, die deshalb 1952 die USA verließ."

Die stalinistische Verfolgungs- und Mordpolitik gegenüber kommunistischen Flüchtlingen aus Deutschland streift die Autorin zumindest. - Nur ein Bruchteil der Exilanten kehrte nach der Niederschlagung des deutschen Faschismus in die Heimat zurück. Von den Rückkehrern gingen viele in die Sowjetische Besatzungszone und nahmen Schlüsselpositionen in Kultur, Wissenschaft und Politik ein. - Ein Thema, das Corinna Unger nicht anspricht: Bei den meisten Deutschen im Lande waren diese Leute kaum gelitten. Im Gegenteil. Auf einen Verfolgten des Regimes kamen 70 Nazis, wie es der Sänger Ernst Busch einmal formulierte. Hass schlug ihnen wiederum entgegen.

Besprochen von Stefan Amzoll

Corinna R. Unger: Reise ohne Wiederkehr? Leben im Exil 1933 bis 1945
Primus Verlag, Darmstadt 2009
141 Seiten, 16,90 Euro