"Ein Zeichen der Schwäche"

Wenchao Li im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 04.04.2011
Der in Hannover tätige chinesische Professor Wenchao Li kritisiert die Inhaftierung des prominenten Künstlers Ai Weiwei. Er verteidigt aber die Ausstellung deutscher Kunst in Peking als "Bildungserlebnis" für die Bevölkerung - und den Außenminister.
Klaus Pokatzky: Das P.E.N.-Zentrum Deutschland und die Berliner Akademie der Künste haben heute gegen die Festnahme des chinesischen Künstlers Ai Weiwei protestiert, und das hat auch heute Bundesaußenminister Guido Westerwelle getan. Und dann hat Guido Westerwelle noch gesagt, dass er sich, als er letzte Woche in Peking war, "mit aller gebotenen Deutlichkeit" für die Meinungsfreiheit und die Menschenwürde eingesetzt hat.

Wenchao Li gehörte zur deutschen Delegation, er ist seit dem letzten Jahr Inhaber der neugeschaffenen Leibniz-Stiftungsprofessuran der Leibniz Universität Hannover. Guten Tag, Herr Li!

Wenchao Li: Guten Tag, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Herr Li, hat sich Guido Westerwelle wirklich mit aller gebotenen Deutlichkeit für Meinungsfreiheit und Menschenwürde eingesetzt in China?

Li: Gut, ich bin nicht Diplomat und insofern kann ich nicht beurteilen, was gebotene Deutlichkeit heißt.

Pokatzky: Dann sage ich, Gott sei Dank sind Sie kein Diplomat, und ich frage Sie dann einfach, hat er sich mit Deutlichkeit für Meinungsfreiheit und Menschenwürde eingesetzt?

Li: Ich habe die zwei öffentlichen Ansprachen von Herrn Außenminister mit großer Begierde und mit großem Interesse mitverfolgt. Das war die Ansprache am 1. April und am 2. April. Ich würde sagen, es sind zwei gute Ansprachen, und es sind ein paar Punkte, die mir auch in sehr guter Erinnerung geblieben sind.

Pokatzky: Welche sind das?

Li: Ich würde sagen, drei Punkte: Kunst der Freiheit und Freiheit der Kunst, das wäre Punkt eins. Punkt zwei: Kunst, Macht und Propaganda. Da hat der Herr Außenminister eindeutig gesagt, Kunst im Dienste der Macht ist Propaganda. Und dann hat er auch die Grundideen der deutschen Aufklärung oder der europäischen Aufklärung in gebotener Kürze dargestellt. Mir scheint natürlich oder mir ist nicht sicher, ob die Übersetzung so pointiert rübergekommen war, das ist nicht mein Eindruck, das muss ich auch ganz offen sagen. Insofern kann ich nicht beurteilen, ob die Botschaft, die durchaus in diesen zwei Reden vorhanden war, ob diese Botschaft in der Tat bei der chinesischen Seite, in der chinesischen Öffentlichkeit angekommen ist.

Pokatzky: Aber wie auch immer übersetzt wurde, Freiheit der Kunst – was die Freiheit des Künstlers angeht, nämlich die Freiheit des Künstlers Ai Weiwei, da haben wir ja nun gesehen, wie die chinesische Regierung reagiert hat. Hat Sie die Nachricht von der Verhaftung Ai Weiweis überrascht?

Li: Überrascht nicht. Ich bin etwas enttäuscht. Ich gehe davon aus, dass diese Nachricht stimmt, auch wenn ich den Hintergrund und den Umstand nicht genauer kenne.

Pokatzky: Herr Li, wenn das jetzt hier gemacht wird, und zwar ja kurz nachdem der Außenminister weg ist – das Flugzeug ist vielleicht gerade in der Luft und schon wird Ai Weiwei festgesetzt, als er versucht, China zu verlassen –, ist das jetzt ein Zeichen von Stärke, weil vielleicht doch der eine oder andere die Signale unseres Bundesaußenministers verstanden hat, oder ist das vielleicht eher doch ein Zeichen für Unsicherheit, für Nervosität eines Regimes, das ja jetzt auch gerade vielleicht die Umbrüche in der arabischen Welt mit großer Besorgnis beobachtet?

Li: Das ist eindeutig ein Zeichen der Unsicherheit und ein Zeichen der Schwäche. Und ich habe mich an verschiedener Stelle auch dazu geäußert, dass ich mir von der chinesischen Regierung oder von China in solchen ähnlichen Fällen mehr Gelassenheit, mehr Toleranz, ja mehr Souveränität gewünscht hätte.

Pokatzky: Trägt denn jetzt, wenn unser Bundesaußenminister eine solche Ausstellung deutscher Museen in China eröffnet und er dann ja doch auch deutliche Worte an die chinesischen Machthaber richtet, trägt das zur Verunsicherung oder trägt das vielleicht zur Souveränität bei? Oder hat das zwei Gesichter?

Li: Das sind zwei Gesichter. Ich würde die Ausstellung von diesem Ereignis etwas unterscheiden, denn die Ausstellung ist doch ein gutes Ergebnis von jahrelanger Zusammenarbeit zwischen drei Museen in Deutschland und dem chinesischen Partner. Ich habe mir die Ausstellung angeschaut und die Ausstellung gefällt mir.

Pokatzky: Ist das auch ein Zeichen für eine Öffnung des Regimes, wird damit ein Dialog in Gang gesetzt vielleicht?

Li: Ich würde sagen, für die chinesische Seite … was heißt chinesische Seite, für die chinesischen Kollegen, für das Museum in Peking steht diese Ausstellung für Offenheit und für Kooperationen mit Deutschland und vor allem mit den drei deutschen Museen.

Pokatzky: Und die Reden, die nun deutsche Politiker bei einer solchen Gelegenheit halten, meinen Sie, dass die stärker noch sein könnten, oder sind sie ausreichend?

Li: Ich würde sagen, die Erwartungen sind unterschiedlich. Ich könnte mir ganz gut vorstellen, das ist auch meine Erfahrung, dass die chinesischen Besucher, dass die chinesische Seite eine andere Erwartung von solchen Kooperationsprojekten haben als die deutsche Öffentlichkeit und deutsche Kulturpolitiker.

Pokatzky: Und welche? Welche Erwartung haben die Chinesen da?

Li: Die chinesische Seite, wie gesagt, ich könnte mir gut vorstellen, dass das Museum als Hauptpartner dieser Ausstellung, auf der chinesischen Seite in dieser Ausstellung ein Zeichen der Offenheit, ein Ergebnis der guten Zusammenarbeit sehen wird. Das wird auch schon hier in Peking deutlich. Und die chinesischen Besucher, das kann ich mir auch vorstellen, schon am 1., am Nachmittag des 2. April standen die Besucher schon Schlange und die Besucher werden diese Ausstellung dieser zum Teil einzigartigen Kunstwerke sehr genießen.

Pokatzky: Das heißt, das ist sozusagen jetzt, was die Bevölkerung angeht, eine Abstimmung mit den Füßen. Aber wie passt das dann damit zusammen, dass dann gleichzeitig einer der bekanntesten Gegenwartskünstler Chinas verhaftet wird? Setzt sich da eine stärkere Fraktion durch?

Li: Eine Opposition?

Pokatzky: Nein, eine stärkere Fraktion innerhalb der Regierung, der regierenden Kommunisten, denen vielleicht diese Ausstellung ja auch schon wieder zu weit geht, wenn sie Dialogmöglichkeiten eröffnet.

Li: Gut, das kann ich nicht beurteilen. Was ich beurteilen kann oder sehen kann, war die positive Reaktion der normalen Besucher, der Kunstinteressierten. Und die chinesischen Intellektuellen, die Besucher, die Familien, die Kinder, die sind neugierige Besucher und die sind immer interessiert an europäischer Kultur und in diesem Fall europäischer Kunst.

Pokatzky: China selber hat ja keine Aufklärung erlebt, so wie wir sie in Europa erlebt haben. Was können die Menschen, die da jetzt hingehen, da vielleicht doch lernen für ihre Zukunft? Was können die Kinder, die vielleicht in 30 Jahren dann auch selber eine tragende Rolle in diesem kommunistischen Kapitalistenland spielen werden, was können die vielleicht von der Ausstellung lernen?

Li: Die werden das sicherlich als ein Bildungserlebnis sehen und die werden sehr gute Informationen, sehr guten Eindruck von der Ausstellung mit nach Hause nehmen. Und was die Botschaft in dieser Ausstellung, in diesen Bildern, zum Beispiel die Emanzipation und die individuelle Freiheit, die individuelle Würde, die kritische Öffentlichkeit und die Neugier an wissenschaftlichen Entdeckungen … Und diese Ideen sind in den Bildern durchaus vorhanden. Die werden natürlich langfristig wirken und nicht unbedingt von heute auf morgen. Was die Aufklärung betrifft, da scheint mir, dass der Begriff in diesem Zusammenhang mehrschichtig gebraucht worden ist. Ich bin nicht Kunsthistoriker, insofern weiß ich nicht, ob es so was wie eine Kunst der Aufklärung überhaupt gegeben hat, und es ist auch fraglich, wie Sie sagten, ob es in der chinesischen Tradition so was wie Aufklärung gegeben hat.

Pokatzky: Wird diese Ausstellung eine positive Entwicklung haben, wird sie positive Konsequenzen haben?

Li: Auf jeden Fall, auf jeden Fall. Stellen Sie sich vor, es sind neugierige Menschen, es sind neugierige Menschen, es sind Menschen, die etwas erleben wollen, die sich bilden wollen, und die gehen nach Peking und sehen dort Originale vor sich!

Pokatzky: Und wie lange wird Ai Weiwei noch inhaftiert sein?

Li: Da bin ich überfragt.

Pokatzky: Sagt Wenchao Li, der Inhaber der Leibniz-Stiftungsprofessur an der Leibniz Universität Hannover, der gerade aus China zurückgekehrt ist. Er gehörte zur Delegation des Bundesaußenministers. Vielen Dank und tschüss nach Hannover!

Li: Danke und auf Wiederhören!

Protestbrief des deutschen P.E.N.-Zentrums zur Verhaftung von Ai Weiwei
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