"Ein Wohlfühl-Vorsitzender"

13.11.2010
Die EKD-Synode hat Nikolaus Schneider zum neuen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt. "Er versucht, alle ins Boot zu nehmen", sagt Anne Francoise Weber, die das Treffen für Deutschlandradio Kultur beobachtet hat.
Kirsten Dietrich: Einmal im Jahr tagt die Synode der Evangelische Kirche in Deutschland, EKD, das Kirchenparlament also. Zumindest auf dem Papier ist das das ranghöchste Gremium der EKD. Dass jeder Gläubige ganz unabhängig von seiner tatsächlichen Ausbildung und Arbeit vor Gott auch Priester sei und damit in Glaubensfragen hoch kompetent und entscheidungsfähig, das war eine der Grundansichten Martin Luthers. In fast 500 Jahren Tradition haben die Protestanten deshalb immer wieder die Wichtigkeit ihrer Synoden, ihrer Kirchenparlamente betont.

In der Praxis sieht es meist ein bisschen anders aus, auch heute. Die Synoden sind wichtig – noch wichtiger in der Öffentlichkeit ist, wer den Rat der EKD führt, also wenn man es mit der Politik vergleicht, die tatsächliche Regierung der Kirche. An diesem Dienstag hat die Synode der Evangelische Kirche in Deutschland ihren neuen Ratsvorsitzenden gewählt. Eine Aufgabe, bei der das Gremium Routine hat, denn vor genau einem Jahr stand der gleiche Punkt auf der Tagesordnung. Doch die damalige Ratsvorsitzende Margot Käßmann trat nur drei Monate später wieder zurück – nach einer alkoholisierten Autofahrt.

In der letzten Woche also traf sich die EKD-Synode in Hannover, um mal wieder einen neuen Ratsvorsitzenden zu wählen. Einen allerdings, den die Delegierten schon gut kennen, denn Nikolaus Schneider hat das Amt vertretungshalber schon seit Käßmanns Rücktritt übernommen. Meine Kollegin Anne Francoise Weber hat die Synode für Deutschlandradio Kultur beobachtet. Frau Weber, mit welcher Stimmung wurde Nikolaus Schneider gewählt – mit Resignation, Aufbruch oder sogar Begeisterung?

Anne Francoise Weber: Eigentlich nichts von alledem. Vielleicht kann man ja am ehesten sagen mit Erleichterung. Erleichterung, dass es so ein gutes Wahlergebnis gab, Erleichterung, dass da jetzt wieder wirklich ein Gewählter an der Spitze steht, und auch Erleichterung, dass es Nikolaus Schneider ist, weil er, wie die Präses der Synode, Katrin Göring-Eckardt, sagte, er uns gut tut, also man sich bei diesem Menschen, glaube ich, in guten Händen fühlt.

Dietrich: Dieser Wohlfühl-Ratsvorsitzende, in welche Richtung kann er dann die evangelische Kirche führen, wofür steht er?

Weber: Also er ist ein Wohlfühl-Vorsitzender insofern, als er versucht, alle ins Boot zu nehmen und da nicht so sehr die Konfrontation sucht, er ist aber trotzdem auch jemand, der für klare Positionen steht, der sich wirklich auch politisch äußert, der zu ethischen Fragen Stellung nehmen will und dann aber doch auch wieder jemand, der ganz tief in seiner Frömmigkeit verwurzelt ist, der sich an die kleinen Leute wenden will und der, wie er sagt, verständlich und lebensnah von Gott reden will. Wir können uns das ja mal anhören:

Nikolaus Schneider: Das Vertrauen in Gott, das unser Herz fest macht, das ist so wichtig in diesen Zeiten, wo ganz viele Dinge sich verändern, wo wir mit Brüchen zurechtkommen müssen, mit völlig neuen Vorstellungen davon, was wir für unser Leben wichtig ist, wo Kommunikation anders wird, wo unsere Mobilität noch ganz anders herausgefordert wird – da braucht man ein festes Herz, und das schenkt uns Gott. Und das ist aus dem Glauben heraus möglich. Und dann wird der Kopf klar und dann kann man auch damit zurechtkommen, dann kann man mit Niederlagen zurechtkommen, und dann wird man in den Siegen nicht abheben. Das ist mir ganz wichtig.

Dietrich: Margot Käßmann war zu kurz im Amt, um Impulse innerhalb der Kirche zu setzen. Ihr Amtsvorgänger, Wolfgang Huber, tat das umso intensiver. Er verordnete seiner Kirche eine Reform, wollte sie mit Managementmaßnahmen fit machen für sinkende Mitgliederzahlen und sinkende Steuereinnahmen. Von Taufquoten war da die Rede, von Kompetenzen und Leuchtfeuern und ganz generell vom Pfarrer als Manager. Wir haben gerade den neu gewählten Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider gehört, was wird unter ihm aus diesem Reformprozess werden? Das ist ja so ganz und gar nicht seine Sprache.

Weber: Nein, seine Sprache ist das bestimmt nicht, er redet wirklich anders, aber seine Themen müssen es ja nun im Grunde bleiben, denn die Mitgliederzahlen werden auch unter seiner Ägide wahrscheinlich weiter sinken, und auch mit den Kirchensteuern sieht das nicht so gut aus. Es ist schon interessant: Er hat den Vorsitz der Steuerungsgruppe für den Reformprozess der Präses der Synode, Katrin Göring-Eckardt, überlassen, und das nicht nur aus pragmatischen Gründen oder wegen irgendeiner Arbeitsüberlastung, sondern eben auch, weil er diese Reformen nicht als Ratsvorsitzender von oben diktieren will. Dazu hat er gesagt:

Schneider: Keine Landeskirche wird daran vorbeikommen, sich zu verändern, das gilt für die großen wie für die kleinen. Und die Frage ist, mit welcher Haltung nehmen wir diesen Prozess an. Und ich werde mich dafür einsetzen, werde dafür werben, dass wir die Chancen dieses Prozesses sehen, sie nicht von den Bedrohungen her zu sehen, sondern von den Möglichkeiten, die in diesem Prozess stehen. Darum werde ich mich bemühen und einladen, werben, überzeugen und auch an die Basis bringen.

Weber: Ja, so richtig viel ist ja damit ja noch nicht über den Inhalt des Reformprozesses gesagt. Ein Schwerpunkt soll in nächster Zeit – das hat Katrin Göring-Eckardt verraten – die Kirche auf dem Land sein und eben auch den Pfarrern und Pfarrerinnen wieder Lust auf Land zu machen. Und es soll auch darum gehen, mehr Theologie zu wagen, also leichter und ja, spontaner über den eigenen Glauben Auskunft zu geben. Und das scheint mir ja nun doch auch etwas zu sein, was Schneider liegt. Schwerpunktthema des nächsten Jahres für die EKD ist dann übrigens auch die Taufe, und die Synode will sich nächstes Jahr der Mission widmen. Also das ist alles doch ziemlich kirchliches Kerngeschäft, und da geht es ein bisschen weniger um Qualitätsmanagement.

Dietrich: Wenn ich mir die Beschlüsse der Synode anschaue, also zum Beispiel gegen längere Laufzeiten für Atomkraftwerke, gegen eine Vertiefung der Elbe, gegen Entsolidarisierung im Gesundheitswesen, für eine andere Klimapolitik – das klingt ein bisschen so, als seien aber auch die politischen Themen in die Kirche zurückgekehrt. In den letzten Jahren, da ging es vor allem um Internes oder zum Beispiel auch bei Kirchentagen, als einem anderen Schwerpunkt von evangelischem Leben, um Spiritualität – das klingt jetzt doch wieder auch wie ein politisches Signal von der Synode.

Weber: Ja, also ich denke, das ist so, und tatsächlich ist auch Nikolaus Schneider jemand, der politische Positionen einnimmt, der sich auch in seinem Bericht vor der Synode sehr klar geäußert hat zu gerade diesen Themen, auch zu Afghanistan. Das Schwerpunktthema der Synode war ja auch die Bildung, und da gab es eben dann auch einen Beschluss, in dem ganz klar mehr Gerechtigkeit gefordert wurde, zum Beispiel beitragsfreie Kindergartenplätze und solche Dinge.

Was die Suche nach Spiritualität angeht, glaube ich, ist sowieso die Synode eigentlich nicht der Ort. Das ist wirklich eher, ja, wie Sie sagten, auf dem Kirchentag, das ist eher so das Kirchenvolk ein bisschen am Rande. Und bei der Synode, das sind Leute, die schon wirklich fest in ihrem Glauben stehen und sich an ihrem Gesangbuch festhalten und daraus aber dann auch die Kraft schöpfen und wirklich auch politische Positionen beziehen wollen.

Dietrich: Manchmal sind ja aber auch die Debatten vielsagend, die nicht geführt werden. Diese Synode hat nicht debattiert über die Zukunft des Diakonischen Werkes, obwohl dessen Präsident vor Kurzem zurückgetreten ist, unter anderem, weil einer seiner Mitarbeiter gleichzeitig bei einer Beraterfirma arbeitete, die wiederum Aufträge von der Diakonie übernommen hat.

Weber: Ja, also das hat wirklich viele verwundert, sogar Mitglieder des Rates, dass es da keine Diskussion, nicht mal Nachfragen gab zum Gericht des Diakonischen Werkes. Es gab dann so die Vermutung, möglicherweise gibt es Mitglieder der Synode, die sich so intensiv mit diesem Thema beschäftigen, weil sie in irgendwelchen Arbeitskreisen drin sind, dass sie das jetzt vor dem Plenum gar nicht mehr ansprechen wollen, und dass die anderen sagen, das ist so komplex, das ist so undurchschaubar, da wollen wir jetzt mal gar nicht dieses Fass aufmachen.

Trotzdem ist das natürlich kein gutes Zeichen für die innerkirchliche Demokratie, und es ist eigentlich auch kein gutes Zeichen für die Bedeutung der Diakonie. Also wenn die Synodalen da nicht nachfragen und nicht wissen wollen, was in diesem großen Betrieb eigentlich vor sich geht, dann fragt man sich auch so ein bisschen, wie das mit der Fusion ausgehen soll. Denn das steht ja in den nächsten Jahren bevor, dass also Diakonie und Evangelischer Entwicklungsdienst und Brot für die Welt alle unter einem Dach zusammengeführt werden sollen.

Dietrich: Das ist vielleicht ja auch kein so ganz gutes Zeichen für die Diskussionskultur bei der Synode. Dabei war genau das der Wunsch der Vorsitzenden des Kirchenparlaments, Katrin Göring-Eckardt, im Hauptberuf ja immerhin grüne Bundestagsabgeordnete und Bundestagsvizepräsidentin, diese Diskussionskultur zu fördern. Ist das gescheitert damit?

Weber: Also ich habe jedenfalls bei den Debatten der Synode, bei den öffentlichen Sitzungen nicht viel Diskussionen gehört. Ein schönes Beispiel war ein Wortbeitrag von Günther Beckstein, CSU-Politiker, der so sagte, ja, er wisse ja schon, wie die Mehrheitsverhältnisse sind beim Thema Atomenergie, er wolle jetzt noch mal betonen, er würde nicht für diesen Abschluss gegen Atomenergie stimmen, aber ja, das sollte jetzt noch mal gesagt sein, so ungefähr. Und so ging es dann auch aus, es war eine überzeugende Mehrheit eben gegen die Atomenergie, und ein paar Wackere um Günther Beckstein haben gegen diesen Beschluss gestimmt, aber da war wirklich nicht viel Debatte.

Debatte gab es wohl, aber eben nicht öffentlich, sondern in den Korridoren um den Stellvertreter von Nikolaus Schneider, da muss es ein ziemliches Gerangel gegeben haben. Aber ob man das nun als wirklich öffentliche Debattenkultur bezeichnen kann, das sei dahingestellt. Das Ergebnis muss man dann doch erwähnen, das ist Jochen Bohl, der sächsische Landesbischof ist also Stellvertreter von Nikolaus Schneider geworden, und ja, er in seiner Person bindet eben ein die Lutheraner und die ostdeutschen Landeskirchen, also da ging es wirklich um so ein bisschen Postengeschacher.

Dietrich: Die Erwartungen an den Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, die immer wieder geäußert wurden, was sind die – von Harmonie, Wogen zu glätten, die der Rücktritt von Margot Käßmann aufgeworfen hat, Wunden zu heilen vielleicht sogar, die in der Kirche geschlagen wurden? Finden Sie das den richtigen Impuls für die Zukunft der evangelischen Kirche?

Weber: Ja, also wenn wir bei dem Bild der Wogen bleiben, dann kann man vielleicht schon sagen, es ist nicht schlecht, wenn da einer das Steuer fest in der Hand hat, denn neue Stürme werden sicherlich kommen durch die Gesellschaft, vielleicht gibt es ja auch noch mal irgendwelche Enthüllungen mit diversen Missbrauch- oder sonstigen Skandalen. Man muss, glaube ich, wirklich hoffen, dass jetzt vor lauter Bestreben nach Harmonie und Heimatgeben und so weiter nicht die inhaltliche Diskussion auf der Strecke bleibt.

Ich denke, Schneider ist jemand, der diese Diskussion eigentlich vorantreiben will, gerade auch bei der Präimplantationsdiagnostik hat er gesagt, das muss noch mal neu diskutiert werden, man kann da keine einfachen Entscheidungen fällen. Er hat sich damit unterschieden von der Position des Rates bisher, der einfach diese Präimplantationsdiagnostik rundum abgelehnt hat. Und ja, also er sagt, wir müssen die Debatte neu eröffnen. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen, wenn die Kirche dann eben doch wirklich eine gewichtige Stimme ist in solchen ethischen Diskussionen.

Auch wichtig finde ich, wie jetzt wohl dieses Reformationsjubiläum 2017 gefeiert wird, das scheint ja noch ganz schön weit weg zu sein, ist aber in aller Munde bei der EKD. Und da ist ja nun doch die Frage, wird dann nur darüber geredet, wie das die Protestanten gerne tun, damit sprechen sie aber wahrscheinlich niemanden so richtig an, wird nur selbstzufrieden gefeiert, das wäre auch nicht so ganz der Rolle der Kirche gerecht, die sie jetzt noch in der Gesellschaft haben kann, also ja, gibt es da eine Öffnung in die Gesellschaft, versucht man da irgendwie zu sagen, das macht den Protestantismus aus, aber das können wir auch weitergeben, oder bleibt das Ganze irgendwie eine Randerscheinung in der bundesdeutschen Gesellschaft? Das bleibt abzuwarten.

Dietrich: Eindrücke von der Synode der Evangelische Kirche in Deutschland, von Anne Francoise Weber.
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