Ein Urteil mit Beigeschmack

Von Peter Lange, Chefredakteur Deutschlandradio Kultur · 06.02.2013
Nach dem Verdikt des Fakultätsrats über ihre Doktorarbeit ist Annette Schavans Glaubwürdigkeit dahin, ein Rücktritt wohl unausweichlich. Doch auch die Universität Düsseldorf hätte eigene Versäumnisse und Schwächen deutlicher benennen müssen, kommentiert Peter Lange.
Um eines vorwegzuschicken: Kein Minister braucht für seine politische Leitungsfunktion eine Hochschulausbildung oder gar einen Doktortitel, nicht einmal der Ressortchef für Wissenschaft und Bildung. Dass es ohne geht, hat dereinst Johannes Rau in Nordrhein-Westfalen vorgemacht. Und auch eine Annette Schavan wäre als Ministerin ohne Hochschulabschluss denkbar.

Aber darum geht es nicht. Es geht um ihre Glaubwürdigkeit, um ihre Reputation – und die ist nach dem Verdikt des Fakultätsrats über ihre Doktorarbeit dahin. So wie die Dinge im digitalmedialen Zeitalter typischerweise laufen, wird der Druck der Öffentlichkeit in den nächsten Tagen derart steigen, dass ein Rücktritt unausweichlich ist. Da ist der Kernvorwurf an Annette Schavan, den Doktortitel nicht wissenschaftlich redlich erworben zu haben. Dazu gesellt sich das nicht zu löschende Bild von kaum verhohlener Häme, als der Rücktritt des Kabinettskollegen zu Guttenberg anstand.

Das fällt ihr jetzt auf die Füße, und alles zusammen wird dazu führen, dass die Ministerin wohl nicht zu halten sein wird, so ungelegen Angela Merkel der Abgang ihrer vermutlich engsten Vertrauten in der CDU auch kommen mag. Eine Kabinettsumbildung ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl ist per se mit Risiken verbunden, bei dem fragilen Gleichgewicht des Schreckens in dieser Koalition zumal. Nur das Gegenteil wäre eben noch schlimmer: eine monatelange Hängepartie und Schavans fragwürdige Doktorarbeit als Wahlkampfthema.

Aber so klar die Sache im Moment zu sein scheint, es bleibt ein großes Unbehagen. Ist es in Ordnung, wenn jemand aufgrund einer 30 Jahre zurückliegenden Geschichte derart zur Unperson gemacht wird? Wir reden hier schließlich nicht von einem Verbrechen. Und viele tatsächliche Rechtsbrüche würden nach so langer Zeit wegen Verjährung auch gar nicht mehr verfolgt. Daran gemessen ist es unverhältnismäßig, mit welcher medialen Wucht Leute wegen vergleichsweise geringfügiger Verfehlungen an den Pranger gestellt und unmöglich gemacht werden. Denn der Rufschaden in solchen Fällen ist irreversibel. Wenn ein Verwaltungsgericht dereinst zu dem Schluss käme, dass der Doktortitel zu Unrecht aberkannt worden sei – es würde Annette Schavan nicht mehr helfen.

Die Universität Düsseldorf hätte es vermutlich in der Hand gehabt, die Schwere der Tat in eine angemessene Relation zu bringen. Zum Beispiel, wenn sie damalige eigene Versäumnisse und Schwächen deutlicher benannt hätte, als sie es in der gestrigen Erklärung getan hat. Da ist nur von Defiziten in Einzelfällen die Rede, womit es sich die Uni zu einfach macht. Keine Rede ist von einer thematischen und wissenschaftlichen Überforderung der Doktorandin; von der Betreuung einer im Kern philosophischen Arbeit durch einen fachfremden Erziehungswissenschaftler; keine Rede auch von den Gutachtern, welche sich womöglich die Arbeit etwas leicht gemacht haben. Und auch nicht von dem notorischen und schleichenden Verlust wissenschaftlicher Standards.

Womöglich alles systembedingte und zu leicht genommene Nebenwirkungen des an sich begrüßenswerten bildungspolitischen Aufbruchs in der Ägide des Wissenschaftsministers Johannes Rau. Aber sollte sich herausstellen, dass Schavan keineswegs ein Einzelfall ist, dann wäre es an der Zeit, dass sich auch die Hochschulen ehrlich machten.
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