"Ein umfassendes Dokument der Klarstellung"

Heiner Bielefeldt im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 24.04.2009
Das Institut für Menschenrechte hat auf die Bedeutung des Abschlussdokuments der Anti-Rassismus-Konferenz in Genf hingewiesen. Künftig könnten sich alle Organisationen auf den erzielten Konsens beziehen, sagte Institutsdirektor Heiner Bielefeld. Zugleich kritisierte er den Boykott der Konferenz durch die Bundesregierung. Dieser treffe nicht Leute wie Ahmadinedschad, sondern die UNO-Menschenrechtspolitik insgesamt.
Birgit Kolkmann: War es richtig, dass die USA, Deutschland und sieben weitere Staaten die Anti-Rassismus-Konferenz der Vereinten Nationen in Genf boykottiert haben? Die Meinungen darüber gehen durchaus auseinander. Es sei falsch, dem iranischen Präsidenten Gelegenheit für seine anti-israelischen Hetztiraden gegeben zu haben, ohne auf offener Bühne zu widersprechen. Andere wie der Zentralrat der Juden in Deutschland meinen, das sei genau der richtige Weg gewesen. Ungeachtet des Boykotts hat die Konferenz ihre Abschlusserklärung gegen alle Formen von Rassismus, Diskriminierung und Intoleranz verabschiedet, und zwar einstimmig. Gestern ging diese umstrittene Konferenz zu Ende. Heiner Bielefeldt ist Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Ihn begrüße ich jetzt in der "Ortszeit". Schönen guten Morgen!

Heiner Bielefeldt: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr Bielefeld, was hat diese Konferenz gebracht, außer viel Aufmerksamkeit für Ahmadinedschad?

Bielefeldt: Sie hat ein ganz anständiges Abschlussdokument erbracht, auf das man sich auch in Zukunft wird beziehen können, und das ist das Wichtige. Hier geht es nicht nur um Texte, sondern um Texte, auf die sich zivilgesellschaftliche Organisationen, antirassistische Organisationen, Menschen beziehen können, weil da der Konsens und die Autorität der Weltgemeinschaft hintersteht. In dieser Abschlusserklärung wird zum Beispiel noch einmal ganz klar gesagt, der Holocaust darf niemals vergessen werden. Es wird Antisemitismus verurteilt, es werden andere Formen von Rassismus verurteilt, also etwa an der Hautfarbe orientierte Form des Rassismus, der Kolonialismus, Sklavenhandel, auch zeitgenössische Formen der Sklaverei, Diskriminierung von Minderheiten, von Flüchtlingen, von Sinti und Roma, also ein umfassendes Dokument erst einmal der Klarstellung und aber auch ein Dokument, mit dem die Staaten sich zu Maßnahmen verpflichten, sich jedenfalls im Prinzip verständigen, dass bestimmte Maßnahmen ergriffen werden sollen, wie zum Beispiel auch Stärkung der internationalen Konventionen, die es da gibt, Ratifizierung der Konvention, sofern das noch nicht geschehen ist, gegen Rassismus, oder auch für die Rechte von Wanderarbeitnehmern. Also ein anständiges Abschlussdokument, das hat die Konferenz immerhin erbracht und das finde ich gar nicht so wenig.

Kolkmann: Es ist auch völkerrechtlich allerdings nicht bindend, dieses Abschlussdokument, und es wurde auch ja mit angenommen von Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen durchaus noch gang und gebe sind zum Beispiel Iran, Angola, Sudan. Also doch nur heiße Luft?

Bielefeldt: In der Tat ist es nicht ein bindendes Dokument. Wir haben aber Beispiele dafür, dass nicht völkerrechtlich bindende Dokumente doch manchmal eine Symbolwirkung entfalten, die größer ist sogar als die völkerrechtlichen Verträge. Vielleicht ist es auch gut, beides sozusagen zusammen zu sehen. Mit völkerrechtlichen verbindlichen Verträgen gegen Rassismus, die es ja gibt, da gehen auch ganz konkrete Überwachungsmechanismen einher, da kann man dann auch Völkerrechtsbruch identifizieren. Aber ab und zu muss über diese eher technischen Verfahren hinaus der Konsens der Weltgemeinschaft noch einmal mobilisiert werden.

Sie haben natürlich Recht, dass da auch Staaten mitgesprochen haben, die nicht nur in der Praxis selber massiven Rassismus in ihren eigenen Ländern dulden oder gar ermutigen, sondern die auch im Grunde die antirassistische Agenda durch ihre Hasstiraden konterkariert haben.

Umso wichtiger war es, dass dann auf der Konferenz selber auch klare Kante gezeigt wurde, dass europäische Delegierte den Raum verlassen haben, ist übrigens mehrmals passiert auf der Konferenz, insbesondere bei Ahmadinedschad, dass auch der Generalsekretär der UNO klargestellt hat, dies ist ein Missbrauch der Völkergemeinschaft, völlig inakzeptabel. Das muss dann klargestellt werden auf der Konferenz.

Kolkmann: Sind diese Demonstrationen von kritischen Staaten durchaus ein Fortschritt gegenüber dem, was in Durban vor acht Jahren noch gang und gäbe war? Auch da gab es ja schon Boykott?

Bielefeldt: Ja. Es gab keinen Vorfeld-Boykott. Das ist der große Unterschied. Zunächst waren alle Staaten da, auch die USA, auch Israel waren da, mit durchaus skeptischer Erwartungshaltung, auch begründeter Skepsis, will ich durchaus sagen, und dann hat man demonstrativ nicht nur den Raum verlassen, sondern die Konferenz verlassen, damals die USA und Israel. Die europäischen Staaten sind alle dabei gewesen und haben auch an diesem Schlussdokument damals in Durban 2001 weiter mitverhandelt und zum Beispiel dafür gesorgt, dass die Referenz zum Holocaust drin ist, die jetzt übrigens in dem neuen Dokument noch einmal wiederholt worden ist.

Diese neue Konferenz jetzt, die Genfer Konferenz, Durban-Review-Konferenz, wie sie ja heißt, weil sie sich bezieht auf diese 2001 stattgefundene Konferenz, hatte nun zum Ziel, vor allem auch eine Zwischenbilanz zu ziehen: Was ist denn dabei herausgekommen? Welche der Selbstverpflichtungen sind eingelöst worden? Die Staaten waren ja insbesondere aufgefordert, nationale Aktionspläne vorzulegen, was sie innenpolitisch zu tun gedenken im Kampf gegen Rassismus, dies klarzustellen. All das wollte man sich anschauen, um festzustellen: Wo sind denn weitere Defizite, wie kann man weiter vorangehen? Durch manches Getöse ist das dann sicherlich insgesamt etwas zu kurz gekommen, vor allem auch in der Berichterstattung.

Kolkmann: Kommen wir noch mal zur Rolle Deutschlands: nicht teilgenommen an dieser Konferenz. Es war das erste Mal, dass Deutschland an einer solchen internationalen Konferenz nicht teilgenommen hat. Da gibt es ja eine ganze Menge Kritik auch daran, dass man gesagt hat, Deutschland hätte dort Kante zeigen sollen - ich zitiere Sie mal von eben -, hinfahren und direkt auf den iranischen Präsidenten zum Beispiel antworten.

Bielefeldt: Ja, in der Tat sehe ich das genauso. Es war sehr eindrucksvoll zu beobachten, wie Norwegen reagiert hat. Norwegen ist nun kein EU-Staat; das war jetzt sozusagen eine europäische Stimme außerhalb der EU. Der norwegische Außenminister konnte unmittelbar nach Ahmadinedschad reden und hat einfach klargestellt, völlig scharf und sachlich, dass Ahmadinedschad sich aus dem Konsens der Völkergemeinschaft, auch aus dem Konsens, wie es schon so im Entwurf des Abschlussdokumentes erklärt war, herauskatapultiert hat mit seinen Hassreden. Es war klar: Meinungsfreiheit ist wichtig. Hassreden dürfen niemals sein, und das war eine Hassrede. Das hat der norwegische Außenminister klargestellt.

Es ist in der Berichterstattung manchmal der Eindruck erweckt worden, als hätte die UNO Ahmadinedschad eingeladen, gar als Ehrengast zu sprechen. Wichtig ist: Die UNO kann das gar nicht verhindern, dass er spricht. Umso wichtiger war es für die UNO, dass andere sprechen, dass andere sozusagen auch den Widerspruch artikulieren, und wenn die EU keinen einzigen hochrangigen Vertreter, also etwa im Range eines Außenministers oder gar Präsidenten, Ministerpräsidenten schickt, dann ist in dem ersten Teil der Konferenz tatsächlich auch gar keine Möglichkeit, den Widerspruch zu artikulieren.

Der norwegische Außenminister hat so ein Stück weit die Ehre Europas auch wiederhergestellt in dieser Frage und ein Stück weit auch die Ehre der UN noch einmal verteidigt. Das war wichtig, aber dafür muss man dabei sein.

Ein solcher Vorab-Boykott ist dann wirkungslos und trifft letzten Endes die Falschen, trifft nämlich nicht Ahmadinedschad, der es verdient hat, dass man ihn boykottiert, sondern trifft die UNO-Menschenrechtspolitik insgesamt.