Ein Spiel der Perspektiven und Rollen

Von Ulrike Gondorf · 28.08.2013
Die spartenübergreifende Zusammenarbeit von Theater und bildender Kunst prägt das Konzept von Ruhrtriennale-Intendant Heiner Goebbels. Eines der neuen Projekte in diesem Jahr: die Gestaltung des Außenraums der Bochumer Jahrhunderthalle durch den international renommierten Lichtkünstler Mischa Kuball.
Mischa Kuball sitzt ganz hoch oben: groß, graumeliertes Haar, dunkel gerahmte Brille, eine schwarze Jacke, die sich bestimmt schon in vielen Beleuchtungsproben bei Wind und Wetter bewährt hat: wasserdicht, mit zahllosen Taschen. Der Künstler überprüft, was man sieht von der hohen Treppe aus, die er vor die Bochumer Jahrhunderthalle gestellt hat.

"Man überwindet neun Höhenmeter und man schaut auf die Dinge. Alles, was sich unten bewegt, ist entsprechend kleiner. "

"Wenn man ganz oben ist, kann man über das Dach der Jahrhunderthalle hinwegschauen sieht, dann auf den blinkenden Wasserturm, der auch Teil meines künstlerischen Projekts ist."

Die Treppe ist das zentrale Element dieser neuen Installation. Man kann über die Industrielandschaft schauen, deren Landmarken Kuball mit Lichtakzenten betont hat. Man kann die Zuschauer beobachten, die hier draußen oder im Foyer hinter der langen Glasfront flanieren werden. Man wird aber auch selbst zum Akteur, der wiederum im Fokus der anderen ist, die auf diese Bühne hinaufschauen. Denn Kuball lässt Punktscheinwerfer darüber streifen, die für Sekunden einzelne aus der Masse herausholen in ihren Lichtkreis. Die Tribüne ist der Dreh und Angelpunkt eines Spiels mit Perspektiven und Rollen.

"In der Setzung werden sich die Menschen unterschiedlich bewegen, manche werden ausweichen, sich anders wahrnehmen, sie werden Schatten werfen, sie sehen jemand anders deutlicher durch das Licht, vielleicht tritt man ins Gespräch, wie werden sehen."

Seit 30 Jahren macht Mischa Kuball, der 1959 in Düsseldorf geboren ist, Installationen und Interventionen im öffentlichen Raum. Er hat damit auch international große Beachtung gefunden. In New York, Sao Paulo und Venedig waren Arbeiten von ihm zu sehen, ebenso wie in der Berliner Nationalgalerie oder der Hamburger Kunsthalle. Seine Installationen haben den Künstler schon an so unterschiedliche Schauplätze wie eine kleine alte Synagoge im Rheinland, ein verfallendes Stadtviertel in Montevideo oder leerstehende Wohnungen in Leipzig geführt. Seine nächste Arbeit plant er für das vom Erdbeben zerstörte Christchurch in Neuseeland. Am Anfang steht für ihn immer die konkrete Situation an einem Ort.

"Ich mach etwas als Künstler, reagiere auf Räume, und wenn man mich fragt, was meinst du damit, würd' ich sagen: auf soziopolitische und psychologische und architektonische Elemente hin."

Von Anfang an war dabei das Licht das wichtigste Medium in Kuballs künstlerischer Arbeit. Wenn er einen Gegenstand, einen Ort beleuchtet, dann bewirkt das Erhellung und Aufklärung auch im übertragenen Sinne. Kuball holt Verdrängtes und Vergessenes aus der Vergangenheit. So hat er immer wieder Spuren der Nazi-Verbrechen und des politischen Größenwahn dieser Zeit herausgearbeitet.

Ebenso weist er kritisch auf aktuelle Fragen hin: die Zerstörung von urbanem Raum und gewachsenen sozialen Milieus, Mietwucher, Gentrifizierung, die Einschränkung der Teilhabe am öffentlichen Leben. Die Räume, die er verändert, laden ein zur Aktivität.

"Das hat sehr mit dem alten griechischen Verständnis von Polis zu tun, zugleich durch die aktuellen Ereignisse - Tahrirplatz, Tacsinplatz - wir lernen, dass diese Plätze polit. Aufladung bekommen."

Mit der Installation "Agora/Arena" in Bochum stellt Mischa Kuball schon im Titel die Frage nach Aktivität und Partizipation. "Agora" war das Forum im antiken Athen, auf dem jeder Bürger in politischen Angelegenheiten mitdiskutieren und mitentscheiden konnte. Beim Aufbau mit den Technikern der Ruhrtriennale wird schnell klar, dass dieser Gedanke für Mischa Kuball nicht nur als künstlerische Intention des Werks wichtig ist, sondern auch die praktische Arbeit bestimmt. Respekt, Freundlichkeit, Kollegialität, Teamgeist herrschen auf der Baustelle.

Mischa Kuball möchte seine Arbeit nicht als politische Kunst festgelegt sehen, er macht aber keinen Hehl daraus, dass er eine direkte Verbindungslinie zwischen seinen künstlerischen Statements und seinem persönlichen Engagement sieht. Als Student gehörte er zur Hausbesetzerszene.

"Für mich war das Besetzen von Räumen und diese Räume vorm Verfall oder der Zerstörung oder Investorensucht und Geldgier zu schützen, das war mein Anliegen."

Diese Lebensumstände haben ihn auch zur Entscheidung für das immaterielle Medium Licht geführt - und für eine zeitlich begrenzte Existenz seiner Werke.

"Ich war nicht im Besitz von Produktionsmitteln, weil ich in besetzten Häusern keine Technik anhäufen konnte, ohne Gefahr zu laufen, durch ne Räumung wieder bei Null anzufangen. Das hat mich ins performative Agieren rein versetzt und ich hab immer damit gelebt, dass das, was ich tue, zu 99 Prozent wieder verschwindet."

Dass solche Kunst nicht marktgängig ist, scheint Mischa Kuball ganz recht zu sein. Er ist seit einigen Jahren Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Hier kann er mit seinen Studierenden in einem Experimentallabor Projekte entwickeln. Der gegenwärtige Kunstmarkt mit seinen wahnwitzigen Preisexplosionen nötigt ihm nur ein Achselzucken ab.

"Ich glaube, dass der Markt überbewertet ist, dass die Ökonomie überbewertet wird. Ich finde gute Kunst, schlechte Kunst, teure Kunst . - notwendige Kunst find' ich eigentlich spannender."

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