Ein Skeptiker entdeckt die Alternativmedizin

11.10.2010
Klägliche Pinkelversuche und übergewichtige Gurus: Der britische Erfolgsautor Tim Parks erzählt seine eigene Krankengeschichte und schildert humorvoll seine Odyssee zwischen Schulmedizin und fernöstlicher Heilkunde.
Schier unerträgliche Schmerzen in Bauch, Kreuz und Beckenboden: Tim Parks, der in Italien lebende, britische Erfolgsschriftsteller war am Ende. Kein Arzt konnte ihm helfen, die Untersuchungen seiner Organe, der Prostata vor allem, ergaben keinen Befund. Selbst der Verdacht auf Krebs bestätigte sich nicht. Eine diffuse Diagnose lautete: Prostatitis, die operativ zu behandeln wäre, allerdings ohne Aussicht auf Linderung der Beschwerden.

Trotz einer demütig verzweifelten Odyssee durch Krankenhäuser, medikamentöse Therapien und unterschiedlichste Diäten war keine Besserung in Sicht. Die Schmerzen blieben, und es sah so aus, als hätte der Patient sich auf ein lebenslanges chronisches Leiden einzustellen.

Da begegnete ihm im Internet ein Buch, das die Symptome seiner Krankheit besser beschrieb, als er es selbst vermochte. Es riet zu einer höchst simplen Maßnahme: Still sitzen und atmen. War das nicht gleichbedeutend mit fernöstlicher Meditation? Die erfüllte den geborenen Zweifler mit tiefstem Misstrauen. Stolz darauf, vernünftig zu sein, skeptisch, modern und westlich geprägt, hatte er sich bisher über Alternativmedizin nur lustig gemacht.

Weil er nichts zu verlieren hatte, unterzog er sich nun den vorgeschlagenen Entspannungsübungen – er saß still und atmete –, und er besuchte sogar mehrfach klösterliche "Schweigeretreats" in Indien. Die für den Schriftsteller schwierigste Herausforderung: Er lernte in der Meditation, ohne Worte und Begriffe auszukommen. Was zunächst ohne Wirkung blieb, bescherte ihm im Lauf der Zeit eine wundersame Veränderung seines Zustands.

Urinproben, Harnwegskalamitäten, Impotenz – Tim Parks, der seine Figuren in 15 Romanen harten existentiellen Krisen ausgesetzt hat, erzählt seine eigene Geschichte als eine Irrfahrt, als die verzweifelte Suche eines Ertrinkenden nach der rettenden Nussschale. Dabei macht er vor keiner Intimität Halt. Dass diese Einblicke, obwohl mitunter etwas zu ausführlich, kein bisschen peinlich sind, verdankt sich der Erzählperspektive und seinem gewohnt lockeren Erzählstil.

Inmitten häuslicher Toilettenbesuche mischt er munter Velasquez-Exegesen, konsultiert Thomas Hardys Romane in Sachen Blasenbeschwerden und Thomas Bernhard als Sachverständigen für unselige Krankheitssymptome schlechthin. Egal, ob er seine kläglichen Pinkelversuche beschreibt, die Donuts-Sucht eines dicklichen Arztes, der Koryphäe unter den italienischen Urologen, oder seine fortgesetzte Jagd nach Erfolg als Schriftsteller – er führt glanzvoll, mit Ironie und trockenem Humor, durch seine Leidensgeschichte. Daneben zeichnet er hinreißend komische Porträts wie das eines übergewichtigen Gurus, der ihm trotz allem zu helfen versteht.

Man muss nicht an derselben Krankheit leiden wie Tim Parks, um das Buch als Gewinn zu erleben. Viel mehr als ein Gesundheitsratgeber ist es eine der wenigen Anleitungen zur Selbsthilfe, die neben dem Trost, dass es anderen ähnlich oder schlechter geht, jede Menge Lesespaß bereithält.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Tim Parks: Die Kunst stillzusitzen. Ein Skeptiker auf der Suche nach Gesundheit und Heilung
Aus dem Englischen von Ulrike Becker
Antje Kunstmann Verlag, München 2010
368 Seiten, 24,90 Euro