Ein Schwein kann doch nicht einfach verschwinden

Von Jochanan Shelliem · 16.09.2007
Der Astrophysiker Stephen Hawking, der sein neues Buch "Der geheime Schlüssel zum Universum" gemeinsam mit seiner Tochter Lucy geschrieben hat, hat sich viel vorgenommen: Er will nicht nur die Geschichte von Geburt und Tod des Alls erzählen, sondern die gesamte Materie in einen spannenden Plot einhüllen. In jedem steckt ein Genie, so die Botschaft, die verschmitzt zwischen den Zeilen steht.
Stephen Hawking hat ein Buch geschrieben. Wie in seinen bisherigen Bestseller hat der kreative Astrophysiker auch diese Geschichte deduktiv entwickelt. Erst werden die Voraussetzungen dargestellt, dann kommt die Argumentation. Erste Voraussetzung in dem Roman ist Georg, der Held. George hat ein Schwein.

Rufus Beck liest Hawking: "Ein Schwein kann doch nicht einfach verschwinden, dachte George, als er vor dem gähnend leeren Schweinestall stand und bis in den hintersten Winkel spähte."

George ist ein Junge, circa zehn, neugierig und ein wenig eitel. Ein echter Junge eben auf dem Weg in die Pubertät. George ist aber auch das peinlich berührte Kind ökobewegter Eltern, die um der Zukunft unseres Planeten willen auf Licht und Strom und Telefon verzichten und ihrem Sohn seinen sehnlichsten Wunsch - den nach einem eigenen Computer - verwehren. Dafür schenkt ihm die Großmama zu Weihnachten das Schwein.

"Ja, als er nun die Situation zum zweiten Mal betrachtete, war sie nicht etwa besser geworden, sondern sogar noch schlimmer. Er bemerkte nämlich, dass die Tür an der Seite des Schweinestalls offen stand, was bedeutete, dass jemand sie nicht ordentlich zugemacht hatte. Und dieser Jemand war sehr wahrscheinlich er."

"Der geheime Schlüssel zum Universum" - so heißt das Buch, das in 23 Ländern zeitgleich erscheint und nicht allein davon erzählen will, was Stephen Hawking weiß. Der Astrophysiker, dessen altersloses lachendes Jungengesicht auf seinem schmächtig verkrümmten Körper im Elektrorollstuhl heute mehr als 20 Millionen Menschen auf der Welt für den klügsten Kopf auf Rädern halten, Stephen Hawking, der das Buch gemeinsam mit seiner Tochter Lucy schrieb, hat sich viel vorgenommen, auch wenn er nur noch per Computerstimme mit der Außenwelt kommunizieren kann.

Stephen Hawking: "Can you hear me?"

Er will nicht nur die Geschichte von Geburt und Tod des Alls erzählen, einschließlich der von ihm selbst entdeckten Vergänglichkeit der Schwarzen Löcher, sondern die gesamte Materie in einen spannenden Plot einhüllen. All dies soll Menschen ab neun Jahren, so die Verlagsreklame, die derzeit Amok läuft in 23 Ländern, so einleuchtend vermittelt werden wie die Sendung mit der Maus.

In jedem steckt ein Genie, so die Botschaft, die verschmitzt zwischen den Zeilen steht, an denen neben Stephen Hawking, seiner Tochter Lucy auch der französische Mathematiker und Filmberater Christophe Galfard herumgewerkelt hat. Man muss nur neugierig sein und sich etwas zutrauen.

"Wieder wurde es dunkel im Zimmer. Und wieder schoss der kleine glänzende Lichtstrahl aus Cosmos' Bildschirm in die Mitte des Zimmers, verharrte dort eine Sekunde und begann dann etwas zu zeichnen. Nur war es diesmal kein Fenster, das er aus dem Nichts schuf. Diesmal zeichnete er etwas anderes. Er zog eine Linie vom Boden nach oben, dann waagrecht nach links und dann wieder hinunter bis zum Boden."
"'Schau nur', sagte George, als er erkannte, was es war. 'Cosmos hat einen Tür gezeichnet!'"

Wie der Droide R2D2 seinen Herrn und Helden Luke Skywalker sicher durch den Krieg der Sterne führt, so hilft der Laptop Cosmos Annie und George bei ihrem Gang durch das All. Hawking bedient sich überall, um seinen Plot zu würzen. Ach ja, Annie ist die Tochter der frisch eingezogenen Nachbarn, durch deren Garten sich das Schwein von George geschnüffelt hat. Auch Cosmos ist ein wenig eingebildet und hält sich selbst für den geheimen Schlüssel zum Universum.

"'Und was tun wir jetzt!', brüllte George. 'Nichts', kreischte Annie. 'Wir können gar nichts tun. Nur aufpassen, das wir nicht zerquetscht werden. Ich werde Comos rufen, dass er uns zurückholt.'"

Weil Annie George beweisen will, dass sie nicht flunkert, wenn sie von Planeten und Kometen und dem Mond und Sternen spricht, tut sie, was alle Kinder tun, wenn es ihnen um's Überzeugen geht: sie nimmt ihn an die Hand und zeigt ihm das neue unbekannte, aufregende Fundstück in ihrer Welt. Nur, dass sich dieses nicht im Wald sondern im Weltraum findet. Und Cosmos, der Computer den Raketenstart, die Landung und das Shuttle durch seinen glänzenden Leitstrahl ersetzt.

Und weil Annie George beweisen will, dass all ihre Geschichten über das Weltall nicht gelogen sind, nimmt sie ihn auf einen Ausflug mit. Dem Verlag - ich muss wohl sagen, den Verlagen - geht es dabei um ein gigantisches Geschäft. Schließlich erscheint dieser Roman nicht nur in 23 Sprachen zur selben Zeit, begleitet werden die Bücherstapel von einer Vielzahl inszenierter Lesungen auf CD, in Deutschland liest der seit Harry Potter begehrte Rufus Beck - Und das nicht schlecht.

"Der Komet raste unglaublich schnell durch die Asteroiden. Ein zweiter großer Steinbrocken schlug unmittelbar vor ihnen auf, sodass kleinere Bröckchen auf ihre Helme und Raumanzüge spritzten. Durch das Funkgerät in seinem Helm hörte George Annie schreien. Doch plötzlich verstummte der Schrei, brach einfach ab, als würde jemand das Radio ausschalten."
Die Kinder streifen durch den Weltraum, geraten in Gefahr, erleben Abenteuer, wie Emil, seine Kusine Pony Hütchen und die Detektive 1929 in der Großstadt Berlin oder Mogli in Rudyard Kiplings Dschungelbuch.

Hawking: "Can you hear me?"

Am Ende gibt es action und starke Frauen kommen ins Spiel und auch der ökobewegte, ständig mit dem Megaphon auf dem Weg zur nächsten Kundgebung radelnde Vater von George spricht nun mit seinem Sohn. Da wird dem Rezensenten richtig warm ums Herz und er ist ganz verblüfft, dass so vielen Verfassern, neben Lucy Hawking sollen diverse Assistenten an dem Text beteiligt gewesen sein, ein gutes Buch entstanden ist, eines ohne erhobenen Zeigefinger, besser, flotter und vergnüglicher als Sophies Welt.


Lucy und Stephen Hawking: Der geheime Schlüssel zum Universum
cbj, 255 Seiten, 14,95 Euro

Hörbuch:
Lucy und Stephen Hawking: Der geheime Schlüssel zum Universum
Inszeniert und gelesen von Rufus Beck.
Random House, 4 CD - gekürzte Lesung, Länge circa 300 Minuten, 19,95 Euro.
Empfohlen ab 9 Jahren.