"Ein schmerzhafter, aber notwendiger Prozess"

Christian Weisner im Gespräch · 24.04.2010
Für Christian Weisner von der Organisation "Wir sind Kirche" steht die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche noch am Anfang. Weisner befürchtet, dass das Bewusstsein im Vatikan selber noch gar nicht so weit sei. Daher brauche der Papst neue Berater.
Moderator: Herr Weisner, noch vor einer Woche haben Sie in der NDR-Sendung "Panorama" über Walter Mixa gesagt, zu einem Rücktritt wird er sich wohl nicht bewegen lassen, nun ist es doch dazu gekommen - hat Sie das überrascht?

Weisner: Dass es jetzt dann doch so schnell gegangen ist, das hat mich schon überrascht, denn auch als Erzbischof Zollitsch und Erzbischof Marx Mixa eine gewisse Auszeit erbeten hatten oder ihn darum gebeten hatten, da hatte ich ja noch formuliert, ja hoffentlich wird Bischof Mixa diesem Wunsch doch bald folgen. Dass es dann doch so schnell ging, hatte ich nicht gedacht.

Moderator: Zollitsch und Marx haben ja diese Forderung gestellt, und diese Forderung hat es ja in der bundesdeutschen Kirchengeschichte so vorher noch nicht gegeben. Die "Süddeutsche Zeitung" beschrieb dieses Vorgehen sogar als eine Verzweiflungstat der beiden Bischöfe. Sehen Sie das auch so?

Weisner: Wir sind in der katholischen Kirche hier in Deutschland, aber auch weltweit in der römisch-katholischen Kirche in einer ganz, ganz schwierigen Situation, und da ist natürlich das Zeichen, was Bischof Mixa die letzten Wochen gegeben hat, dass er sich gegenüber Opfern verunglimpfend dargestellt hat, den Opfern keinen Glauben geschenkt hat und dass dann natürlich nachher noch diese finanziellen Ungereimtheiten dazukamen und sich so lange an seinem Stuhl festgehalten hat, das war ein ganz irritierendes Zeichen, was die Glaubwürdigkeitsbemühungen der anderen Bischöfe doch sehr verzögert hat.

Und das Dritte, das wird jetzt in diesem Fall immer vergessen: Die deutschen Soldaten und Soldatinnen in Afghanistan, ihre Angehörigen hier, sind in einer ganz, ganz schwierigen Lage. Und wenn da ein Militärbischof mit seinen eigenen Ungereimtheiten beschäftigt ist und nicht diesen Soldaten, Soldatinnen und Familien beistehen kann, dann ist es auch eine ganz schwierige Situation. Auch da ist zu hoffen, dass da jetzt möglichst schnell ein neuer Weg gefunden wird, dass die Kirche auch diese schwierige Aufgabe begleiten kann, mit einem neuen Militärbischof.

Moderator: Es gibt eine Umfrage, laut der jeder vierte Katholik in Deutschland überlege, aus der Kirche auszutreten. Was denken Sie denn, ist der Rücktritt von Walter Mixa dazu angetan, weiteren Schaden von der katholischen Kirche abzuwenden, oder ja, liegt das Kind nicht vielleicht doch schon im Brunnen?

Weisner: Es ist im Augenblick wirklich nicht absehbar, was noch alles zutage tritt, auch in anderen Diözesen, auch noch in anderen Orden. Wir sind ja noch mitten eigentlich - um mal mit Erdbebensprache zu sprechen - noch mitten in den Aufräumarbeiten, dass wir wirklich nach verschütteten Opfern suchen, suchen müssen, weiter den Opfern zuhören müssen, ihnen Glauben schenken müssen. Wir sind noch lange nicht dabei, wieder neue Kirchengebäude, neue Strukturen wiederaufzubauen.

Was wirklich kommt, das wissen wir, denke ich, alle noch nicht. Ich kann sehr gut verstehen, wenn Menschen jetzt sagen, dieser katholischen Kirche, so wie sie sich jetzt die Kirchenhierarchie darstellt, der möchte ich nicht meine Kirchensteuer geben. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Andererseits, wir von der Kirchenvolksbewegung sagen, lieber auftreten als austreten, aber das heißt auch, dass sich wirklich etwas an der Kirchenspitze bewegen muss. Hier in Deutschland und auch in Rom.

Moderator: Stichwort Rom: In Irland und den USA wurden ja bereits vor einiger Zeit eine ganze Reihe von Missbrauchsfällen in kirchlichen Einrichtungen aufgedeckt, und es scheint immer mehr so, als handele es sich da eben um ein globales Problem. Wäre der Papst jetzt nicht vielleicht ganz gut beraten, es eben auch als ein solches zu adressieren, statt immer nur einzelne Kongregationen aus einzelnen Ländern nach Rom zu zitieren?

Weisner: So ist es. Wahrscheinlich weiß Papst Benedikt und der vormalige auch Kardinal Joseph Ratzinger, der ja seit 2001 ganz offiziell mit diesen weltweiten Skandalen befasst ist, wahrscheinlich weiß Papst Benedikt viel, viel mehr über die sexuellen Skandale in der römisch-katholischen Kirche, als wir uns überhaupt vorstellen können. Er hat bisher immer versucht, mal hier sich zu entschuldigen, dort einen Brief an die katholische Kirche in Irland zu schreiben - da fehlt wirklich eine Adressierung an die weltweite Kirche.

Ich befürchte, dass aber das Bewusstsein im Vatikan selber noch gar nicht so weit ist. Wenn ich daran denke, was Kardinal Sodano, der immerhin jetzt der oberste Kardinal in Rom ist, im Augenblick, der die Wahl des nächsten Papstes auch zu organisieren hat, dass der letztlich doch Ostersonntag dem Papst in den Rücken gefallen ist, als er ihm eine Ergebenheitsadresse ergeben hat und auch wieder von diesem Geschwätz gesprochen hat, die Medien, und damit abgetan hat.

Ich glaube, in der römischen Kurie muss sich dringend etwas ändern. Also der Papst braucht neue Berater, er müsste auch wirklich durchsetzen, dass sein Stil, den er doch jetzt betreibt, auch wirklich in der ganzen römischen Kurie und von den anderen Kardinälen und Bischöfen auch nachvollzogen wird.

Ich habe die Befürchtung, dass Papst Benedikt dieses ganze Problem doch zu spät, vielleicht nicht konsequent genug angegangen ist, und wie gesagt zu wenig Unterstützung findet in der anderen Kirchenleitung. Ich denke, wir sind wirklich noch am Anfang einer kopernikanischen Wende.

Wir brauchen eine Missbrauchsdebatte, die muss weitergeführt werden, brauchen eine Debatte des Zölibats, auch wegen des Priestermangels, und wir brauchen wirklich eine Debatte der Sexuallehre der katholischen Kirche. Man kann nur hoffen, dass Papst Benedikt wirklich dieses auf den Weg bringt. Er wird es wahrscheinlich gar nicht vollenden können.

Moderator: Wie groß ist der Zorn der Basis auf die katholische Kirche?

Weisner: Der Zorn ist im Augenblick wirklich, denke ich, sehr, sehr groß. Da kommt natürlich ein Groll hervor, der bei den Opfern selber erst mal jahre-, jahrzehntelang aufgestaut ist. Das wird jetzt erst einmal ausgesprochen.

Bei unserem Telefonnotruf von "Wir sind Kirche", den wir seit dem Jahr 2002 betreiben, haben 400 Opfer angerufen, die erst mal sich ihre Not von der Seele geredet haben, und man hört ja, dass die Hotline der Deutschen Bischofskonferenz, die es seit dem 30. März gibt, dass die jetzt auch überlastet ist und sehr, sehr, sehr viele Anrufe bekommt. Und ich denke, es wird noch weitergehen, da ist noch viel zu tun. Ich habe fast den Eindruck, als ob wir im Augenblick eine Aufarbeitung haben, so wie sie im Grunde ja auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schuldaufarbeitung notwendig war, wie sie auch nach 1989, der deutschen Vereinigung war.

Es dauert anscheinend immer sehr viel länger, dass man erst da drüber sprechen kann. Ich habe eigentlich den Eindruck, als ob wir in einer Art, ja, kirchlichen Psychoanalyse sind, wo wir die Vergangenheit aufarbeiten. Ein schmerzhafter Prozess, aber ein notwendiger Prozess.

Moderator: In seinem Rücktrittsgesuch hat Walter Mixa ja Folgendes geschrieben: Alle, zu denen ich ungerecht gewesen sein mag, und alle, denen ich Kummer bereitet habe, bitte ich heute noch einmal um Verzeihung. Wie sieht es denn jetzt eigentlich mit einer persönlichen Entschuldigung aus, sollte so was denn nicht eigentlich zum christlichen Grundverständnis gehören?

Weisner: Das ist sicher auch eines der positiven Elemente unserer christlichen Kultur, das Sakrament der Versöhnung, was also nicht nur im Beichtstuhl stattfinden muss. Aber wichtig ist, erst mal zu sagen, dass sich nicht ein Bischof entschuldigen kann, sondern er muss um Verzeihung bitten und er muss auch deutlich sagen, um was es geht. Und es geht um mehr als Kummer. Es geht wirklich um ganz massive psychische, physische und sexuelle Gewalt.

Und man sieht jetzt, der Papst hat sich auf der kleinen Insel Malta wohl wieder mit acht Opfern getroffen. Es wäre sicher gut, wenn auch Bischof Mixa und andere Bischöfe sich mit den Opfern treffen würden, mit den Opfern, die sie selber zu Opfern gemacht haben, aber auch mit den Opfern in ihrer Verantwortung in ihrer Diözese.

Ich glaube, dann würden diese Bischöfe insgesamt auch viel sensibler für das Problem. Und wenn ich noch mal einen Gedanken weiterführen darf: Ich glaube, wir müssen insgesamt in der Kirche viel mehr noch auch in anderen Bereichen die Sicht der Opfer entdecken. Und Jesus ist nicht einer gewesen, der mit dem König oder mit dem Statthalter zu Tisch gesessen hat, sondern der mit den Ausgegrenzten, mit den Zöllnern getafelt hat. "Hochzeit zu Kanaan", das waren nicht die grandiosen Hochzeiten. K

irche muss mit den Opfern, auch mit den Opfern jetzt von Armut in Deutschland, mit den Opfern von Kriegsminen weltweit, mit den Opfern der Flüchtlinge weltweit, auch diese Opfer viel mehr in den Blick kriegen und nicht auf Macht und Herrschaftspaläste schauen.

Moderator: Schönen Dank, Herr Weisner, für das Gespräch!