Ein Reptil als Erzähler

30.10.2008
José Eduordo Agualusas Roman "Das Lachen des Geckos" weist zwei Besonderheiten auf: ein fast menschlich klingendes Lachen und den Umstand, ein in dieser Gestalt wiedergeborenes Wesen zu sein, das über eine fast 100-jährige Vergangenheit als Mensch verfügt. Einerseits erinnert sich dieses Wesen an Schlüsselszenen seines Daseins als Mensch, andererseits versetzt er sich aber auch in Gespräche mit Figuren aus der Roman-Gegenwart.
Gibt es noch so etwas wie eine Magie des Erzählens? Jene schwer zu definierende Mischung aus ungewöhnlicher Phantasie, der Verführungskraft einer geschliffenen Sprache und einem Symbolismus, der nicht in dekorativen Bildern schwelgt, sondern fest in einer spannungsvoll erzählten Wirklichkeit wurzelt?

Skeptiker müssen da voller Bedenken den Kopf wiegen, denn in der Tat sind solche Kombinationen nicht jedem Produkt der "Massenware" Literatur zuzuschreiben. In diesem kleinen, poetisch verdichteten Roman aber sind alle diese Elemente mit solcher Souveränität eingesetzt, dass man mit freudiger Verblüffung nur von einem großen Roman sprechen mag.

Der Umstand, dass in diesem Roman ein Gecko der Ich-Erzähler ist, mag nicht allzu sehr verwundern, denn die Literatur ist voll von "sprechenden" Tieren. Eher stellt sich die Frage, warum es nicht längst mehr erzählende Geckos gibt. Denn Agualusa führt das Reptil, das in manchen Weltgegenden zu den ganz normalen Hausbewohnern zählt, als geradezu idealtypischen Erzähler ein.

Mühelos an Wänden und Decken sich fortbewegend oder verharrend, ist so ein Gecko möglicher Zeuge praktisch jeder Szene im Haus. Agualusas Exemplar weist zwei Besonderheiten auf: ein fast menschlich klingendes Lachen und den Umstand, ein in dieser Gestalt wiedergeborenes Wesen zu sein, das über eine fast 100-jährige Vergangenheit als Mensch verfügt. Vor allem die zweite Eigenschaft ist wichtig für den Roman.

Denn in Traumsequenzen des Geckos, die mehrmals im Text auftauchen, erinnert sich dieses Wesen einerseits an Schlüsselszenen seines Daseins als Mensch, versetzt sich aber auch – in erträumter menschlicher Gestalt – in Gespräche mit den Figuren aus der Roman-Gegenwart. Dieses Spiel zwischen Beobachtetem und Geträumtem, zwischen Wirklichkeit und Un-Wirklichkeit, macht den etwas diffusen, leicht verrätselten Zauber dieses Romans aus.

Es ist ein Spiel, das in der eigentlichen Romanhandlung seine Entsprechung hat. Denn Félix Ventura, menschlicher Hausherr im Reich des Geckos, gibt als Berufsbezeichnung "Genealoge" an. Nach Wunsch fabriziert er seinen Kunden einen Stammbaum, eine Ahnentafel. Es geht bei diesen Wünschen nicht unbedingt um spektakuläre Vertuschungen, sondern um die Sehnsucht einer sich herausbildenden bourgeoisen Mittelschicht, ihre Herkunft ein wenig zu veredeln, zu polieren. Aber da das Geschehen sich in der angolanischen Hauptstadt Luanda vollzieht, ist es unter Umständen mit solchen Harmlosigkeiten nicht getan.

Tatsächlich legt einer dieser Kunden einen auffälligen Drang an den Tag, seine neu gewonnene Identität nachträglich zu beglaubigen. Seinem vermeintlichen Vater errichtet er einen Grabstein, auf den Spuren der neuen Mutter reist er um die halbe Welt. Aus diesem rätselhaften Eifer seiner Figur entwickelt der Autor einen handfesten politischen Thriller, der die bewegte jüngere Geschichte Angolas von der späten Kolonialzeit über die Unabhängigkeit, die Herrschaft der aus Moskau gesteuerten Kommunisten, den jahrelangen Bürgerkrieg bis hin zur Gegenwart einblendet.

Rezensiert von Gregor Ziolkowski

José Eduardo Agualusa: Das Lachen des Geckos
Roman. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler,
A1 Verlag, München 2008, 181 Seiten, 17,80 Euro.