"Ein reiner Erpressungsversuch"

Christian Lammert im Gespräch mit Julius Stucke · 04.10.2013
Die Haushaltslage in den USA habe nichts mit der Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama zu tun, sagt Christian Lammert. Dass die Republikanische Partei trotzdem beides miteinander verknüpfe, hielten 80 Prozent der US-Amerikaner für die falsche Strategie, so der Berliner Amerikanist.
Julius Stucke: Über was ein US-Präsident so alles verhandeln muss! Atomstreit mit dem Iran zum Beispiel: Da telefoniert er mit Präsident Rohani in Teheran, kurze Zeit später kommt dann Israels Premier Netanjahu ins Weiße Haus zu Besuch, um Obama zu erinnern, dass er doch bitte schön hart bleiben soll gegenüber dem Iran. Das wäre mir alles nichts! Immer sitzt er zwischen den Stühlen! Aber eines toppt das alles: Die Verhandlungen mit den Republikanern vor der eigenen Haustür! Die haben ihm die Pistole auf die Brust gesetzt, entweder du überlegst es dir mit deiner Gesundheitsreform oder wir blockieren den Haushalt! Und genauso kam es dann ja auch am Dienstag, Blockade, nichts geht mehr, und auch Obama geht keinen Schritt auf die Republikaner zu. Heute beginnt Beitrag als MP3-Audio Tag vier des Government-Shut-down und es gibt keine wirkliche Aussicht auf Besserung!

Manch einer hierzulande denkt mittlerweile in Anlehnung an "Asterix und Obelix": Die spinnen, die Amis! Darüber spreche ich mit Christian Lammert, Professor am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerika-Studien der FU Berlin. Guten Morgen, Herr Lammert!

Christian Lammert: Guten Morgen, Herr Stucke!

Stucke: Herr Lammert, Republikaner und Demokraten, keiner bewegt sich auch nur einen Zentimeter. Sind das alles einfach nur Dickköpfe?

Lammert: Nein, das sind nicht Dickköpfe, hier sind auch ganz klare politische Ideologien und auch politische Interessen, die hinter diesem Konflikt stehen. Es geht ja auch um die Verbindung zwischen Obamas Gesundheitsreform und dem Haushalt momentan, es geht aber auch um die Bilanz der Obama-Administration insgesamt. Und es geht um einen radikalen Flügel innerhalb der Republikanischen Partei, das sind so 40 bis 50 Abgeordnete, die eigentlich auch, obwohl es irrational erscheint, eigentlich rational agieren, weil die aus Wahlkreisen kommen, in denen Obama bei der letzten Wahl deutlich verloren hat, aus Wahlkreisen, die Obama nicht akzeptieren als Präsidenten. Und deswegen machen diese Abgeordneten, die der Tea Party nahestehen, jetzt eine Politik im Kongress gegen die Administration.

Stucke: Aber das wirkt auf uns eben doch trotzdem etwas wie, die spinnen, die Amis! Da kann eine kleine Gruppe, die Sie gerade beschrieben haben, das ganze Land lahmlegen!

"Ähnliche Konstellation schon Mitte der 90er-Jahre"
Lammert: Das ist richtig, aber das ist eigentlich kein neues Phänomen in den USA. Wir hatten ja eine ähnliche Konstellation schon Mitte der 90er-Jahre. Der amerikanische Historiker und Sozialwissenschaftler Richard Hofstadter hat in den 60er-Jahren mal einen Artikel geschrieben über die Paranoia der amerikanischen Gesellschaft. Also, es wird dann immer solche Feindbilder aufgebaut, sei es in der McCarthy-Ära der Kommunismus, sei es nach 9/11 der Islam, oder jetzt ist es für manche in den USA die Obama-Administration, die Amerika in den Abgrund treibt. Und das hat dann manchmal schon Züge von Irrationalität, die aus europäischer Perspektive nur schwer zu verstehen sind.

Stucke: Aber in der amerikanischen Geschichte liegen sie begründet, da gehört das einfach dazu?

Lammert: Ein wenig. Das ist eine Fraktion oder ein ideologisches Fragment, aus dem auch sich diese Tea Party speist, die wir in Europa eigentlich gar nicht kennen. Das ist eine ganz starke individualistische Tradition, die vom Einzelnen aus denkt, die nach Solidarität höchstens auf kommunaler, lokaler Ebene fragt, die die Eigenverantwortung ganz sicher steht, die ganz misstrauisch ist gegenüber Regierung und gegenüber den Politikern in Washington. Und diese Leute sind momentan, sehen sie sich auch bedroht unter den Bedingungen von veränderten gesellschaftlichen Kontexten in den USA. Wenn man sich die Entwicklung anguckt, in den nächsten Jahrzehnten wird die weiße Bevölkerung eine Minderheit sein in den USA, und die Wahlkreise, aus denen diese Abgeordneten kommen, sind überwiegend weiß. Also, hier sind ganz klare Zusammenhänge!

Stucke: Das heißt, wir erleben gerade die Angst des weißen Mannes?

Lammert: Ein bisschen ist das so eine Reaktion des weißen Amerikas gegen eine sich verändernde Welt und eine sich verändernde amerikanische Gesellschaft, ja.

Stucke: Nun ist Obama-Care ja allerdings auch eine umstrittene Geschichte in Amerika. Das ist ein Streitpunkt, an dem es eben die Republikaner gerade festmachen. Wie sehen es denn die Menschen in Amerika, die einerseits Obama-Care vielleicht auch kritisch sehen, andererseits aber diese Blockade? Ist da vielleicht die Schuldverteilung eine bisschen andere in den USA?

"Das birgt auch eine Gefahr für die Republikaner"
Lammert: Wenn man sich Umfragen anguckt, ist diese Verknüpfung von Rücknahme Obamas Gesundheitsreform mit der Schließung der Regierung, wird von der Mehrheit der amerikanischen nicht akzeptiert. Über 80 Prozent sagen, dass das eine falsche Strategie ist, und das birgt auch eine Gefahr für die Republikaner. Und deswegen müsste sich die Republikanische Partei vor allem mit dem Flügel im Repräsentantenhaus auch in Kürze bewegen. Weil das sind die gleichen Erfahrungen, die die Republikaner in den 1990er-Jahren gemacht haben, so was geht nach hinten los.

Aber natürlich, es funktioniert noch, gegen Obamas Gesundheitsreform zu mobilisieren, weil die Leute noch immer verunsichert sind, was diese Reform eigentlich bedeutet. Die wichtigsten Elemente sind jetzt erst in diesem Monat eingeführt worden, und auch hier haben die Republikaner, glaube ich, ein bisschen Angst, dass die amerikanische Gesellschaft sieht, dass diese Reform ihnen was bringt. Und das wäre ein wahnsinniges Plus auch für die kommenden Zwischenwahlen. Und auch hier ist es dann rational für manche republikanisch Abgeordnete, diesen Konflikt aufrechtzuerhalten, um ihn in den nächsten Wahlkampf 2014 noch weiter tragen zu können.

Stucke: Lässt sich denn vielleicht trotzdem auch ein bisschen die Schuld dem Präsidenten Obama zuschieben, der ja auch keinen Schritt auf die Republikaner zugeht, auch wenn sie blockieren, auch wenn sie vielleicht an nächste Wahlkämpfe denken und jetzt das Falsche gegeneinander ausspielen?

Lammert: Ganz schuldlos ist er sicherlich nicht. Ich würde nicht sagen, dass es daran liegt, dass er nicht auf sie zugeht, jetzt in der konkreten Frage, weil eigentlich hat diese Haushaltsfrage nichts mit der Gesundheitsreform zu tun. Die Gesundheitsreform ist im Parlament verabschiedet worden, ist vom Verfassungsgericht bestätigt worden, das Ding ist eigentlich gelaufen. Das ist ein reiner Erpressungsversuch. Obamas Schwäche ist, dass er sich nicht auf diese Diskussion einlassen will oder kann. Er ist ein Analytiker, er ist kein Machtpolitiker in dem Sinne, wie man das in Washington sein muss, wie Bill Clinton das in den 1990er-Jahren war.

Stucke: Aber Bill Clinton in den 90er-Jahren hatte ja auch einige Zeit dieselbe Situation, die wir jetzt haben!

Lammert: Ja, aber er hat es dann geschickt für sich gewendet. Er ist aus diesem Konflikt als ganz klarer Sieger hervorgegangen. Momentan sehe ich nicht bei der Obama-Administration irgendeine Strategie, das ähnlich zu machen. Es ist so ein bisschen die Hoffnung, dass das genau dieselbe Entwicklung nehmen wird, dass die amerikanische Gesellschaft einsieht, dass es keinen Sinn macht, die Regierung zu schließen, gerade jetzt auch mit Blick auf die Verhandlungen zur Erhöhung der Schuldengrenze. Und da ist keine Strategie der Administration, keine kommunikative Strategie in der Administration zu sehen. Und ich denke, das liegt wirklich zum Teil daran, dass Obama Schwierigkeiten hat. Er kann wahnsinnig gut analysieren, aber er hat keine Lust, sich mit zum Teil irrationalen Argumenten auseinanderzusetzen.

Stucke: Der Haushaltsstreit in den USA. Dazu Christian Lammert, Professor am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerika-Studien der FU Berlin. Herr Lammert, ich danke Ihnen und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Lammert: Gerne, ebenso!

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