Ein Pfälzer in England

Von Jens Brüning · 21.08.2009
Arno Reinfrank war ein äußerst vielseitiger Schriftsteller: Lyrik, Prosa, Drama, Hörspiel, Film und Publizistik waren sein Metier. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg nach England geflüchtet, um dort zu arbeiten. Nun ist im Verlag Hentrich & Hentrich in der Reihe "Jüdische Miniaturen" ein Porträt des Dichters erschienen.
Arno Reinfrank war zehn Jahre lang Sekretär des PEN-Clubs deutschsprachiger Autoren im Ausland, der seit seiner Gründung im Jahr 1934 seinen Sitz in London hatte. In diesem Ehrenamt lernte ich ihn 1985 kennen, und Reinfrank erzählte mir von seinem Leben in Deutschland nach 1945.

"Ich habe mit meiner Mutter bis dahin auf meinen Stiefvater gewartet, den die Werks-Gestapo der IG-Farben-Industrie in ein Außenlager von Dachau expediert hatte. Er hat überlebt. Er kam zurück. Ich hab bis dahin keine Schule machen können, kam erst ’45 in so genannte crash course, und durch die Kontakte mit meinem Elternhaus war natürlich die Möglichkeit, raus zu kommen aus Deutschland, und habe mich sozusagen raufgedient aus der Situation eines Hausmeisters im East End, bis ich später die Erlaubnis dann bekam, hier studieren zu dürfen, und von der Studienerlaubnis dann überhaupt meine ständige Aufenthaltsgenehmigung hier bekommen habe."

1955 war Arno Reinfrank aus Deutschland weggegangen und blieb sein Leben lang in England, das ihm eine Heimat wurde, wenn auch eine im Exil.

"Ich lebe in meiner mitgebrachten Heimat, das heißt, ich lebe viel in meinem Kopf, meine Entwicklung selbstverständlich ist anders als die jener Kollegen, die im Binnenland selbst dort Tag für Tag alle Auf und Abs mitmachten. Wobei natürlich die Tatsache, dass eine zweite Kultur, nämlich die englische, direkt auf mich täglich einwirkt, meinen Denkmodus mitbestimmt."

Reinfrank schrieb unentwegt, auch für Zeitungen und Zeitschriften, für Rundfunkanstalten und Theater. Er bekam Literaturpreise und Stipendien. Immer wieder schrieb er über die deutsche Vergangenheit.

"Shoah ist ja nicht ein vorübergehendes Episödchen in der europäischen Geschichte, sondern von so einschneidender Wirkung, das hat so viele gebrochene Identitäten erzeugt und soviel Not, und wenn etwas Gutes aus diesen schrecklichen Ereignissen aufsteigen soll, dann wäre es doch nur die Lehre, so etwas nie, nie wieder zu machen, und das kann man natürlich nur, wenn man die Erinnerung an die Sache festhält."

Arno Reinfrank hat ein umfangreiches lyrisches Werk hinterlassen. Seine zehnbändige "Poesie der Fakten" ist ein erstaunliches Konvolut, das die historische und wissenschaftliche Entwicklung des zwanzigsten Jahrhunderts dichterisch kommentiert. In seiner Lyrik feierte er Astronauten und Genetiker, aber auch Figuren der Geschichte.

"Von Moses Mendelssohn geht die Legende / – gebrechlich und ein Knabe noch zu Dessau – / dass ihn sein Lehrer hat zurück gewiesen, / von dem er mitgenommen werden wollte nach Berlin. / Da lief um Meilen vor das Tor der Stadt der Schüler / und blieb dort am Wegrand stehen, / die Kutsche abzuwarten mit dem Rabbi Frenkel, / der’s ihm nicht mehr verweigern konnte. / Mag’s auch Legende sein. / Ich bitte, vergesst ihn nicht, den Moses Mendelssohn, / der ein gerühmter Mensch geworden ist, / weil ihm fürs Lernen keine Müh’ zu viel."

Arno Reinfrank war hörbar Pfälzer, und er hatte Erfolg mit den Büchern, die er in dieser Mundart schrieb, oft und gern mit humoristischen Elementen. Guy Stern, 1922 in Hildesheim geboren und im Zweiten Weltkrieg Mitglied einer Aufklärungsabteilung der US-Armee, war mit Arno Reinfrank befreundet. Stern war Germanistik-Professor an amerikanischen Universitäten und Mitglied des deutschen Exil-PEN.

Er leitet derzeit das Holocaust Memorial Center in Detroit. Sein Essay über Arno Reinfrank beschäftigt sich überwiegend mit der jüdischen Thematik in dessen Werk, das geprägt ist von der Exil-Erfahrung, die allerdings – wie der Dichter selbst einräumte – "ohne direkte Not" war.

"Herr Ausländer fragt manchmal sich, / wo er am liebsten gern ist. / Das Glück sucht immer sich den Ort, / dem man gerade fern ist. / Für Israel ist er zu alt, / für Deutschland zu empfindlich, / Amerika ist ihm zu fern, / England zu unverbindlich. / Frankreich verträgt sein Magen nicht, / in Schweden ist es kalt und nass, / und Wien hat zwar den alten Charme, / doch auf die Leut’ ist kein Verlass. / Am besten lebt man, wo man ist, / als wundersame Erscheinung, / und balanciert zwischen / fleischlichem Ja und geistiger Verneinung."


Guy Stern: Arno Reinfrank
Reihe "Jüdische Miniaturen" Band 84, Herausgegeben von Jeanette Koch(-Reinfrank) unter Mitarbeit von Maik Hamburger, Verlag Hentrich & Hentrich, Teetz und Berlin 2009, 5,90 Euro