Ein neuer Blick auf die Barockoper

Von Bernhard Doppler · 08.08.2010
Vor 300 Jahren wurde der Komponist Giovanni Battista Pergolesi geboren. Zum Jubiläum inszeniert Alexander Schulin in Innsbruck Pergolesis "L'Olimpiade" in barocken Posen, aber psychologisch glaubhaft und mit großer Spielfreude.
Der Preis für den Sieger bei den Olympischen Spielen ist die Tochter des Königs von Sicione, der die Spiele ausrichtet. Doch Licido ist kein erfahrener Sportler, und so tritt unter seinem Namen sein bester Freund, der Sportler Megacle, an. Doch die Tochter des Königs, auf die er setzt, ist, wie sich herausstellt, gleichzeitig die heimliche Geliebte des Freundes. Eine schnell erzählte, auf den antiken Geschichtsschreiber Herodot zurückgehende, oft als Opernstoff behandelte Geschichte von Verrat und Vertrauen. Was zählt mehr, die Freundschaft der Männer oder die Liebe zu den Frauen?

In Innsbruck dauert die Aufführung fünf Stunden, und doch wirkt sie keine Minute redundant und ermüdend. Die Länge der Aufführung begründet sich auch damit, dass gleichzeitig mit der Innsbrucker Inszenierung auch eine Einspielung auf CD erstellt wird, für die man keine Striche wollte. Schließlich wurde die Oper zur 300. Wiederkehr des Geburtstags von Giovanni Battista Pergolesi neu ediert. Mit der langen Aufführungsdauer lässt der Zuhörer sich auf eine andere Zeitökonomie ein, die Rezitative Metastasios bauen langsam erst die einzelnen Arien mit ihren vielen Wiederholungen auf, plastische Verdichtungen der seelischen Situation, in denen man schwelgen kann.

Pergolesis Oper war bei der Uraufführung ein Misserfolg, aber die Melodien daraus – bisweilen von der Protagonistin ohne Orchester sogar nur gesummt – waren bis ins 19. Jahrhundert äußerst erfolgreich, berührend, sentimental, ja fast schon Gluck vorwegnehmend, und doch auch voll Ironie. Pergolesi war ja als Komponist einer komischen Oper "La serva padrona" bekannt geworden – und das merkt man auch diesem "dramma per musica" an.

Alfred Peter (Bühne und Kostüme) hat das Modell eines barocken Theaters, des Theaters Farnese in Parma auf die sich sehr langsam bewegende Drehbühne des Innsbrucker Landestheaters gestellt. Es ist eine Theaterwelt, in der die sich immer mehr verwirrenden Affekte der Personen in der Inszenierung von Alexander Schulin ausgestellt werden – in barocken Posen, aber psychologisch glaubhaft und mit großer Spielfreude.

Bei der Uraufführung im Kirchenstaat Rom 1725 durften Männer, fast alle Kastraten, auftreten. 2010 nun konträr: In Innsbruck singen nun nicht nur die beiden Frauenrollen Frauen, auch die beiden Männer spielen Frauen, eine Männerfreundschaft voller Zärtlichkeit, die für den anderen bis in den Tod geht;insbesondere Olga Pasichnyk als Megacle imponiert, Jennifer Rivera ist der zuerst draufgängerische, dann verunsicherte Olympiabetrüger.

Die Übergabe der künstlerischen Leitung von René Jacobs, der den Festwochen Alter Musik in Innsbruck über Jahrzehnte internationales Ansehen verschaffte, an Allesandro De Marchi hat also gut funktioniert. De Marchi leitet selbst das große Ensemble Academia Montis Regalis mit Delikatesse, und die betörenden Echoeffekte von Pergolesis Musik – der Widerhall der seelischen Stürme – werden bisweilen noch durch eine Streichergruppe auf der Hinterbühne abgeschmeckt.

Beim Spontini-Pergolesi Festival in Pergolesis Geburtsstadt Jesi werden im September weitere Pergolesi-Werke zur Wiederkehr des 300. Geburtstags präsentiert. Doch bereits die sorgfältige Produktion in Innsbruck zeigt, wie sehr sich die Beschäftigung mit diesem bereits mit 26 Jahren verstorbenen Komponisten lohnt und dabei einen neuen Blick auf die Barockoper werfen lässt.

Webseite der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik