Ein Nachgeborener auf der Suche nach Antworten

08.03.2011
Eine junge Generation, die die Vernichtung der Juden nur aus Büchern kennt, wagt sich an das Thema. Die 33-jährige Berliner Schriftstellerin Astrid Rosenfeld erzählt vom Schicksal der Toten gleichermaßen ergreifend wie humorvoll. Das ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, und doch gelingt es ihr überzeugend.
Die Geschichte beginnt 2004 in Berlin. Edward Cohen, erfolgreicher Besitzer einer Modeboutique, schreibt einer jungen Frau einen romanlangen Brief, um ihr zu erklären, wie er zu dem wurde, der er heute ist. Witzig und voller verrückter, amüsanter Einfälle lässt Astrid Rosenberg ihn erzählen, wie er und seine Mutter Jack einem lebenslustigen, etwas windigen Geschäftemacher durch die Republik folgen, bis dieser bei einem Autounfall stirbt. Edward kehrt nach Berlin zurück und erfindet aus einer Laune heraus Strickmonster. Die erweisen sich als wahre Verkaufsschlager und verhelfen ihm zu Wohlstand und Ansehen.

Edward ist ein Nachfahre von Holocaust-Überlebenden. Er leidet darunter, dass ihn seine Mutter und seine Großeltern, die die Nazizeit in Berlin überlebt haben, ständig mit dem damals verschollenen Onkel Adam vergleichen. Doch niemand will ihm erklären, was aus Adam geworden ist. Als Edward dann im Nachlass der Großmutter, zu der er alle Kontakte abgebrochen hatte, einen dicken Packen Papier findet, beginnt der Roman ein zweites Mal.

Diesmal erzählt Adam seine Geschichte. Es ist die einer großen Liebe. In seiner Familie – der Vater ein psychisches Wrack, die Mutter eine fromme jüdische Mamme – sorgt nur die Großmutter tatkräftig und energisch für aller Unterhalt. Einer ihrer Verehrer, ein im Ersten Weltkrieg versehrter Geiger, erweist sich als begeisterter Hitler-Anhänger, ohne jedoch dessen Antisemitismus zu teilen. Er bewahrt die Familie vor der Verfolgung und bringt Adam bei einem Gärtner unter.

Adam verliebt sich unsterblich in Anna, ein jüdisches Mädchen. Als die Gestapo sie 1938 nach Polen abschiebt, beschließt er, ihr zur folgen. Gefälschte Papiere weisen Adam als Arier aus, und dank des inzwischen zum SS-Sturmbannführer aufgestiegenen Hausfreunds der Großmutter wird er nach dem Überfall auf Polen Gärtner des deutschen "Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete". Schon bald begreift Adam, was mit den Juden geschieht. Umso entschlossener macht er sich auf eine ebenso abenteuerliche wie lebensgefährliche Suche nach Anna.

Astrid Rosenfeld erzählt von der Judenermordung und von deren Nachwirkungen auf die Überlebenden und Nachgeborenen mit den Mitteln einer Tragikomödie voll schwarzen Humors. Das erinnert an Ernst Lubitsch und George Tabori. Wie diese malt auch sie die Komik aberwitziger Situationen aus, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen oder den tödlichen Ernst zu verleugnen.

Immer wieder bleibt einem fast das Herz stehen vor der Chuzpe Adams angesichts des Todes. Nichts wird beschönigt und doch siegt die Hoffnung über die Barbarei, triumphiert die Liebe über den Tod.

Besprochen von Johannes Kaiser

Astrid Rosenfeld: Adams Erbe
Roman
Diogenes Verlag, Zürich 2011
385 Seiten, 19,90 Euro