Ein Leben auf der Überholspur

Von Vanja Budde · 20.04.2011
Andrea Riseborough wird nicht nur im heimischen Großbritannien als Ausnahmetalent gefeiert. Auf der Berlinale war die britische Schauspielerin eine von zehn "Shooting Stars". Morgen kommt ihr Film "Brighton Rock" in die deutschen Kinos.
"Wenn die Kleine redet?" - "Die redet nicht, nicht, wenn sie weiß, was gut für sie ist."

In "Brighton Rock" spielt Andrea Riseborough die einzige Zeugin eines Mordes: die naive Kellnerin Rose. Der junge Boss einer Gangsterbande gaukelt Rose Zuneigung vor, um sie an einer Aussage zu hindern.

"Warst du jemals verliebt?" - "Oh ja." - "Das behaupten alle. Du weißt gar nicht, wie das überhaupt geht."

Rose ist bereit, für den Mann, den sie liebt, alles zu tun und sich selbst völlig aufzugeben. Solche Hingabe sei ihr nicht fremd, sagt Andrea Riseborough:

"Natürlich kann ich mir das vorstellen! Die erste Liebe, das war doch, als hätte es keine Musik gegeben und plötzlich war alles von Musik erfüllt. Und alles duftete und war kristallklar. Wenn man sich das erste Mal verliebt, sieht man Regentropfen auf grünen Blättern funkeln, wo vorher nur nasses Laub war. Ich kann mich zutiefst erinnern an dieses Gefühl. Im Endeffekt geht doch alles immer um Liebe - oder um Hass."

Roses Verletzlichkeit habe sie an der Rolle gereizt, sagt Riseborough, die in ihrer blassen Schmalheit genau so zerbrechlich wirkt. Wenn auch wesentlich attraktiver als ihre Rose, die linkisch und mit dicker Brille durch "Brighton Rock" stapft. Ein Teint wie aus Porzellan, das Make-up kaum sichtbar, elegantes, elfenbeinfarbenes Seidenkleid: Bei der Gruppen-Präsentation der zehn "Shooting Stars" der Berlinale sticht das Gewächs des rauen britischen Nordens als Lady heraus.

Die junge Frau wirkt erwachsener als ihre Kolleginnen auf der Bühne, sie ist bereits ein Profi: In der anschließenden Pause schwebt sie elfengleich eine Treppe hinauf, balanciert in der einen Hand einen Teller mit ein paar Salatblättern und schafft es mit der anderen, elegant ihr langes, glattes, offenes Haar auf den Rücken zu werfen. Im Interview merkt man ihr bis auf den einen oder anderen Schniefer kaum an, dass sie an einer Grippe leidet. Riseborough ist höflich und zugewandt – und bewahrt eiserne Disziplin:

"Im Norden Englands, wo ich herkomme, hatten wir nicht viele Theater, aber doch ein paar gute. Als Kind sah ich mir Shakespeare-Stücke an und im Alter von neun Jahren war ich völlig besessen von Shakespeare."

Mit neun! Das Kind eines Gebrauchtwarenhändlers und einer Sekretärin gehört schon als Teenager zum Ensemble des National Youth Theater. Sie ist 17, als sie die Schule hin wirft, von Whitley Bay nach London zieht und an der legendären Royal Acedemy of Dramatic Arts genommen wird. Dort studiert übrigens derzeit ihre jüngere Schwester Laura. Manchmal vorzugeben, jemand anderes zu sein, das sei doch ein weitverbreitetes Bedürfnis, antwortet Andrea Riseborough auf die Frage, warum sie Schauspielerin geworden ist.

"Es war keine bewusste Entscheidung oder ein bestimmter Grund. Es scheint einfach das zu sein, wofür ich gemacht bin. Was ich aber sicher weiß: Ich will meine Kunst perfektionieren und ich glaube, ich spreche da für viele Schauspieler meiner Generation: Wir wollen es ganz auskosten und alles erreichen, was möglich ist."

Erste Fernsehrollen ergattert Riseborough noch während ihrer Ausbildung. Dann erste Kinorollen. In "Happy-Go-Lucky" mit Kult-Regisseur Mike Leigh oder neben Keira Knightley in "Alles, was wir geben mussten". Nun mit "Brighton Rock", der Adaption eines Romans von Graham Green, die erste Hauptrolle an der Seite von Sam Riley, Helen Mirren und John Hurt. Andrea Riseborough will diese Zielstrebigkeit nicht Ehrgeiz nennen, sondern Leidenschaft für die Schauspielkunst. Sie organisiere ihre Karriere nicht, sondern treffe Entscheidungen für Projekte nach Gefühl.

"Du weißt instinktiv, ob es gut geschrieben ist, ob das Thema interessant ist, ob es dich emotional berührt. Aber man kann einen guten Film nicht wirklich planen: Manchmal stimmen alle Voraussetzungen, aber es kommt trotzdem nichts dabei heraus. Du kannst die besten Schauspieler haben, den besten Regisseur, das beste Drehbuch – und doch funktioniert es einfach nicht. Darum musst du wirklich deinem Instinkt folgen."

Unter der Regie von Madonna hat sie jüngst die Komödie "W.E." abgedreht. Madonna sei als Regisseurin "brillant" und "inspirierend" meint der "Shooting Star" glatt, lächelt fein und klimpert mit den langen Wimpern. Schwer zu glauben, dass sie mit einem kalifornischen Graffiti-Sprüher liiert ist. Sie macht Yoga und spielt Banjo, Ukulele, Gitarre, Geige und Klavier - allerdings genau so schlecht, wie sie Französisch spreche, meint sie. Ihr erstes eigenes Drehbuch ist fertig, im nächsten Jahr dreht sie ihren ersten Kurzfilm. Ein Leben auf der Überholspur. Und der neueste Plan der umtriebigen Britin: Ein Haus in Paris kaufen. Warum Paris?

"Ich bin eines morgens aufgewacht und es schien einfach das Richtige zu sein. Die andere Antwort ist: warum nicht? Mein Gott, das Leben ist so kurz und so kostbar. Ich könnte auch so weitermachen wie im Moment und in Los Angeles bleiben, wo es grandios ist. Aber ich würde so gern das wahre Leben kennenlernen – in Paris."

Seit sie "Ein Fest fürs Leben" gelesen hat, Hemingways Erinnerungen an sein Leben in Paris in den 20er-Jahren, träumt sie von einer Künstlerexistenz am Montparnasse. Das ist natürlich ein Klischee, aber – warum nicht?
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