Ein Konstrukt immer weiter untermauert

Von Elske Brault · 23.03.2013
Regisseur Hasko Weber fährt in "Die Angst reist mit" allen möglichen teuren Budenzauber auf, um Sybille Bergs kleine Hass-Kolumne zu einem Theaterabend aufzublähen. Doch das aufwändige Zusatzgeschehen auf drei Videoleinwänden hinter der Drehbühne stiehlt dem Spiel die Schau.
Die schwarzen Monster aus der Tiefe singen untergründig ihre Sirenenmelodien. Ihre hässlichen, vom Kopf abstehenden Glubschaugen sehen Dinge, vor denen wir die Augen schließen wollen, Plastikwürste und Felltroddeln hängen an ihren in schmutzige Stofffetzen gewickelten Körpern und künden von Exkrementen und Auswüchsen, die in unserer Zivilisation keinen Platz mehr haben.

Deswegen reist die Angst mit vor dem, was da hoch kommen könnte – hier verkörpert von einem etwa zwanzigköpfigen Chor des Staatstheaters Stuttgart. Und so wie der Chor melodiös in der Zeit zurück schreitet, von einer Persiflage auf die wabernden Halbtonschritt-Harmonien zeitgenössischer Klassik hin zu Gregorianischen Gesängen, so regredieren in Sybille Bergs neuem Stück vier Touristen auf einer einsamen Insel.

Ein Ferienparadies war versprochen, eine Ursprünglichkeit als Gegen-Erlebniswelt zum komfortablen, von Strommasten zersetzten Europa:

"Hier finden Sie, was Sie in der Dritten Welt zu Recht erwarten: leicht verschmutztes Wasser, einfachste Lebensbedingungen, Kakerlaken und herzensgute, unverbildete Eingeborene."

Mit diesen Worten heißen zwei weiß gekleidete Krankenpfleger unsere Touristen willkommen: Ein Paar, Mitte fünfzig, seit mehr als dreißig Jahren verheiratet, und zwei Online-Journalisten um die dreißig, einer von beiden adliger Herkunft. Die Krankenpfleger, Mann und Frau, sind Animateure einer Show, die nie stattfindet: wechselweise Empfangskomitee, Ureinwohner oder am Schluss ein Terroristenkommando. Die Insel selbst nämlich gibt als Erlebnisstätte nichts her: Sie ist, im Bühnenaufbau von Heta Multanen, eine schräg gestellte Drehscheibe. Unter ihrer erhöhten Seite ist noch Platz für mehrere Kabuffs, eines davon wird von den Animateuren auch mal bespielt, sie hängen dann dort, mit Schläuchen verbunden, an matschigen Fleischbrocken wie an externen Organen.

Dies ist die dunkle Seite des Mondes – doch meist sehen wir Zuschauer nur seine helle, glatte Oberfläche, das uns zur Ansicht entgegen gekippte Drehscheiben-Rad des Lebens. Und das tut, was es tun muss, es dreht sich unablässig. Ohne dass wesentlich etwas passiert oder sich verändert.

Dies ist nämlich das Problem des Textes von Sybille Berg: Er stellt die Angst aus. Er arbeitet mit einem festen Aufbau: Vor den Bequemlichkeiten der hoch technisierten modernen Welt flüchten die Protagonisten, sie begeben sich auf die Suche nach einem authentischen Erlebnis. Doch weil ihre Persönlichkeitsstruktur immer mit reist, ist das Erleben ihnen verbaut, ganz gleich, wo sie sich befinden.

Deutlich wird das im Dialog des älteren Paares: Er, Karl, macht seine Frau auf einen Kolibri aufmerksam, sie, Karla, antwortet:

"Lass mich einfach mal in Ruhe, bitte. Kaum steht mein Körper in einem unvertrauten Umfeld, wird
erwartet, dass er Gefühle entwickelt."

An dieser Stelle könnte es in der Tat spannend werden: Wenn die Gefühle, der Monsterchor, an die Oberfläche drängen. Aber das geschieht nie. Auf der Insel passiert nichts, im Stück passiert nichts. Der Text bleibt ein statisches Konstrukt, die Protagonisten begegnen einander nicht, obwohl sie doch als Figuren gemeinsam in dieses Drama gestellt sind. Bloß: Welches Drama? Hier wird lediglich das Konstrukt immer weiter untermauert mit einer Anhäufung von Kalauern auf Mario-Barth-Niveau:

Karl: "Karla, sieh nur, der Strand ist völlig anders als zu Hause. Und – es gibt Schlangen."

Karla: "Das sind keine Schlangen, das sind mehrfach verwendete Kondome."

Regisseur Hasko Weber fährt allen möglichen teuren Budenzauber auf, um Sybille Bergs in rein denunziatorischer Haltung geschriebene kleine Hass-Kolumne zu einem Theaterabend aufzublähen: Das Geschehen auf drei Videoleinwänden hinter der Drehbühne stiehlt dem Spiel auf der Bühne die Schau. In diesen Videos (ebenfalls Heta Multanen) ist Witz und Action: da verspricht Rudi, ein Typ zwischen Brad Pitt und dem jungen Arnold Schwarzenegger mit blanker Brust und einer Bohrmaschine in der Hand, die Damen mal wieder richtig anzubohren. Er ist die Fleisch gewordene Sehnsucht der alternden Karla, ihr Mann Karl träumt von einer Eingeborenen:

"Wie sie doch die Bürde ihres harten, ungerechten Lebens voller Grazie zu tragen weiß, die Einheimische Frau , das macht mich fast ein wenig sexuell."

Später verschaffen die Animateure masochistische Lust und ein echtes, wenngleich grausames Erlebnis, indem sie zu Terroristen mutiert unsere Touristen in Geiselhaft nehmen und ihnen die Arme absägen, bis Blutfontänen spritzen wie bei Quentin Tarantino. Aber wenn der Film so überlegen ist, warum dann nicht gleich ins Kino gehen statt ins Theater und zum Tourismus-Thema sich Ulrich Seidls "Paradies: Liebe" anschauen? Da ist auch von Ängsten die Rede, und von Hoffnung und Sehnsucht und Begehren. Aber es gibt eine Entwicklung, Seidls Film lebt. Im Gegensatz zu Sybille Bergs Stück.

Das Uraufführungspublikum hat dennoch herzhaft gelacht. Es braucht wohl kein Leben auf der Bühne, ist die Aufführung doch bloß Anlass für das Treffen vor und hinterher im Theatercafé, um über das eigene Leben, das Aufwachsen der Kinder miteinander zu sprechen. Früher einmal machte das Theater spielerisch diverse Angebote, dieses eigene Leben zu gestalten. Das war zu Zeiten, als Sybille Berg großartige Stücke schrieb wie "Helges Leben".

Jetzt mokiert sie sich statisch über Menschen mit Angstneurose, vermutlich, weil sie aus eigener Angst die Weiterentwicklung verweigert. Und ihr Text ist eine sehr elegant geschriebene Einladungskarte zu einer sehr förmlichen Geburtstagsparty, auf der nichts Unvorhergesehenes sich ereignet und garantiert niemand ausflippt. Ein Gutes wenigstens lässt sich davon sagen: Es dauert nicht lang. Nach einer Stunde zwanzig Minuten sind die schwarzen Monster verschwunden.