Ein König mit Kummerkasten

Ute Frevert im Gespräch mit Dieter Kassel · 24.01.2012
Als Friedrich II. an die Macht kam, führte er wieder das Beschwerderecht seiner Untertanen ein, das sein Vater nahezu außer Kraft gesetzt hatte, berichtet die Historikerin Ute Frevert. Das Volk sah das pragmatisch: Wenn wir dich lieben sollen, dann tu auch was für uns!
Dieter Kassel: Berühmt ist er für seine erfolgreich geschlagenen Schlachten, mit denen er das Staatsgebiet Preußens immer wieder deutlich vergrößerte. Berühmt ist er auch für seine Wirtschaftsförderung, für seinen Einsatz für die Religionsfreiheit, ja, und sicher ist er auch berühmt für die Einführung der Kartoffeln. Allerdings, für eines ist Friedrich II., dessen 300. Geburtstag heute gefeiert wird, eigentlich nicht berühmt: für seinen Umgang mit Gefühlen nämlich. Aber das ist möglicherweise einfach nur eine Facette der Persönlichkeit dieses großen Königs, die bisher nicht so richtig betrachtet wurde. Die Historikerin Ute Frevert, Direktorin des Forschungsbereichs Geschichte der Gefühle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, hat sich in ihrem neuen Buch genau diesem Aspekt von Friedrich II. ganz konzentriert gewidmet. "Gefühlspolitik" heißt dieses Buch, "Friedrich II. als Herr über die Herzen?" – allerdings mit einem Fragezeichen am Ende. Wir wollen mit ihr deshalb heute reden und ich begrüße sie am Telefon, schönen guten Morgen, Frau Frevert!

Ute Frevert: Guten Morgen, Herr Kassel!

Kassel: Gefühlspolitik: Heißt denn das, sich in der Politik von den Gefühlen leiten zu lassen, oder heißt das eher, die Gefühle zu leiten zum Zwecke der Politik?

Frevert: Sie sind mit dem Zweiten genau ins Zentrum gekommen. Also, Bismarck hat – viele Jahrzehnte später natürlich als Friedrich –, hat auch schon von Gefühlspolitik gesprochen, aber eher in dem ersten Sinne. Das hat er nämlich damals dem Friedrich Wilhelm IV. vorgeworfen, dass er eine Gefühlspolitik macht, die so aussieht, dass der König selber sich von seinen Sentiments leiten lässt und keine Staatsräson mehr kennt, kein Staatsinteresse mehr kennt, sondern einfach nur noch sozusagen Empfindlichkeiten. Ich benutze den Begriff ganz anders als Bismarck und habe ihn gewissermaßen umdefiniert auch vor der Folie ganz moderner, zeitgenössischer Erfahrung und habe mich dann gefragt, wie macht Friedrich das eigentlich: Hat er überhaupt einen Sinn dafür, dass man mit Gefühlen Politik machen kann, dass man Gefühle erzeugen kann, Gefühle manipulieren kann, Gefühle steuern kann? Oder braucht er das ja eigentlich gar nicht, weil – das wissen wir ja auch –, bei aller Aufklärung, er ist ein absolutistischer und ein absoluter Herrscher, er muss sich nicht kümmern um die Zustimmung seiner Untertanen oder seiner Räte, er kann sie einfach entlassen und es gibt keine Wahlen. Also, warum soll er sich darum überhaupt bemühen, Gefühle zu erzeugen? Und das war dann das Überraschende, dass er das in der Tat tut.

Kassel: Bevor wir aber der Frage nachgehen, warum, erst mal das Wie: Was gibt es denn für Dinge, die er nachweislich getan hat, die Sie eindeutig als Gefühlspolitik betrachten?

Frevert: Er hat zum Beispiel im Unterschied zu seinem Vater, der damals das alt verbriefte Recht der Untertanen, sich unmittelbar beim König zu beschweren, wenn zum Beispiel ein Beamter ihm, dem Untertanen, seiner Meinung nach Unrecht getan hat, ihn zu stark mit Steuern belastet hat oder ihm etwas weggenommen hat, dann gab es sozusagen traditionell das Recht der Untertanen, dann zum König vorzutreten und zu sagen: Hier, bitte, mir ist Unrecht getan, sorg dich mal um mich! Der Vater hat das sehr eingeschränkt. Friedrich hat dann sofort, als er 1740 an die Macht kam, dieses Immediatrecht der Untertanen sofort wieder institutionalisiert – nicht zuletzt aus Misstrauen gegenüber den Beamten, von denen er nicht überzeugt war, dass sie wirklich in seinem Sinne seinen Staat geführt haben oder verwaltet haben – und hat von daher es zugelassen, dass es auch immer wieder zu persönlichen Kontakten kam. Also, es war ein König nicht gerade unbedingt zum Anfassen, so wie wir das heute kennen oder wie sich das seit dem 19. Jahrhundert eigentlich auch schon aufbaut, aber er hat sich auf seinen Reisen so weit herabgelassen, dass er eben auch zugänglich war, dass man sich ihm nähern konnte und natürlich in aller Ehrerbietung, aber doch seine Beschwerden loswerden konnte. Das war zum Beispiel ein Medium seiner Gefühlspolitik. Er war dabei nicht überaus freundlich und charmant, das kann man nun auch nicht sagen, aber immerhin, er war ein König, dem man sich nähern konnte, der den Eindruck erweckte, dass er sich auch wirklich um das Wohl der Untertanen dann kümmert. Nicht immer unbedingt so, wie es die Untertanen wollten, aber offen für ihre Wünsche, für ihre Interessen und auch für ihre Beschwerden.

Kassel: Hat er da auch für Irritationen gesorgt? Er hat ja unter anderem auch den Hut gezogen gelegentlich vor anderen, was man eigentlich nicht machte als König. Hat er da auch für Irritationen gesorgt?

Frevert: Ich habe überwiegend Texte zur Kenntnis genommen, in denen genau diese ungewöhnliche Geste des Hutabziehens, des Grüßens und des Achtungerweisens sehr, sehr positiv konnotiert worden ist. Also, die Menschen, die Berliner überwiegend oder Potsdamer, die ihn beim Einzug, bei der Rückkehr zum Beispiel von so einer Inspektionsreise dann in ihre Stadt wieder einlassen, einholen, ihn begrüßen, auf die hat er in der Regel einen sehr positiven Eindruck gemacht, dass er so, man kann sagen höflich, aber auch, ja, nicht gerade auf Augenhöhe mit seinen Bürgern getreten ist, das wäre zu viel gesagt, das war nicht in seinem Sinne, aber sie zur Kenntnis genommen hat. Dass er sie auch, dass er gesehen hat, wie sie für ihn Spalier standen, wie sie sich für ihn geschmückt haben, dass er ihre Gedichte zur Kenntnis genommen hat, dass er Abordnungen der Bürger empfangen hat. Manchmal zu spät, und dann war man in der Tat irritiert, denn man wollte ja zum König vorkommen und ihm sagen, wie froh man ist, dass er diese Schlacht so erfolgreich geschlagen hat, oder auch, wenn er sie nicht erfolgreich geschlagen hat, dass er zumindest überlebt hat, diese Freude wollte man ausdrücken. Es gab mal die Irritation, die Sie vielleicht jetzt im Kopf haben, es gab mal eine Situation, in der er dann diese Abordnung der Bürger nicht sogleich empfangen hat, sondern erst am nächsten Morgen. Und da war man schon irritiert, denn schließlich hatte man ja lange gestanden und hatte sich in Unkosten gestürzt, um diese Zuneigung zum König in angemessener Weise zum Ausdruck zu bringen. Und wenn der König dann lieber mit seiner Frau soupiert, als die Bürger zu empfangen, das hat schon böses Blut gemacht.

Kassel: Wir reden heute Vormittag, am Geburtstag des Preußenkönigs Friedrich des II., mit der Historikerin Ute Frevert hier im Deutschlandradio Kultur über die Gefühlspolitik. Und Sie haben schon ganz am Anfang einen ganz wichtigen Aspekt der Sache erwähnt, finde ich, Frau Frevert, nämlich die Frage des Warum: Er war bei aller Aufklärung ein absolutistischer Herrscher. Er wurde nicht gewählt, er konnte auch nicht abgewählt werden. Warum hatte er überhaupt Interesse daran, bei seinem Volk beliebt zu sein?

Frevert: Es ist auf jeden Fall kein sentimentales Interesse, wie es in dem Zitat aufscheint, das Sie am Anfang hatten: "Wer geliebt werden will, muss auch selber lieben" oder auch umgekehrt. Natürlich ist es angenehmer, geliebt, als gehasst zu werden, das steht ja nicht zur Debatte. Aber das war nicht der Antrieb. Friedrich ging es nicht um angenehmes Leben, sondern es ging ... Und das war, in der Weise hat er sich natürlich doch von Gefühlen leiten lassen, wie er das auch immer selber also in seinen staatstheoretischen und historischen Schriften geschrieben hat: Aller Antrieb für Handeln und auch für königliches und politisches Handeln sind Gefühle. Diese These, die nicht unbedingt von ihm stammt, das ist eine alte These, die hat er da auch wieder aufgewärmt. Und insoweit stimmt das auch für ihn, dass die Maßstäbe seines Handelns, die waren, den Ruhm und die Ehre seiner Person und natürlich seines Königshauses und seines Staates zu vergrößern. Also, diese Ruhmbegierde, diese Machtgier, kann man auch sagen, diese Gefühle waren auch bei ihm Antriebskräfte. Und um diese, um den Staat Preußen am Ende seines langen Regentenlebens besser dastehen zu lassen als am Anfang – hatte ja auch genügend Geld, um damit zu wirtschaften, anders als heute –, um diese Verbesserung, um diese Steigerung der Potenz des Staates zu erreichen, war es wichtig, auch die Bürger gewissermaßen am Schlafittchen zu packen und sie zu produktivieren, also, sie zu höheren Leistungen anzuspornen. Und so weit war man im 18. Jahrhundert schon, dass man wusste, dass Menschen, die aus freiem Willen und aus, möglicherweise aus auch positiven emotionalen Antrieben handeln, mehr leisten können, über das gesteckte Ziel weit hinausgehen, was man von Menschen erwarten kann, die nur sozusagen aus Pflicht und Gehorsam handeln.

Kassel: Hat das eigentlich funktioniert in dem Sinne, dass die Leute, ich sage es mal in der heutigen Sprache, darauf reingefallen sind? Haben seine Untertanen gedacht, der König liebt mich, oder war das eher so, dass sie das durchschaut haben, aber ihm dankbar waren, weil, ein schlechter Herrscher war er ja de facto am Ende tatsächlich nicht?

Frevert: Also, die Preußen waren nicht so dumm, wie die Briten immer gemeint haben, dass sie seien. Die haben ihr eigenes Süppchen gekocht, kann man sagen. Denn sie haben, und das ist sehr interessant: Wenn man sich diese ganzen Freudenbezeugungen, die von Bürgern abgegeben worden sind, in welcher Form auch immer, in Form von Gedichten, in Form von Reden, in Form von Aufmärschen, mal genauer anschaut, schleicht sich so ein konditionales Element hinein. Es heißt, wir lieben dich, aber dann gibt es dieses kleine Wörtchen Wenn. Und dieses kleine Wörtchen Wenn zeigt an, dass man nicht bedingungslos liebt. Sondern man liebt nur, man gibt diese Zuneigungsbekundungen nur dann, wenn man den Eindruck hat, von einem guten König regiert zu werden, nämlich von einem König, der auch die Interessen seiner Bevölkerung im Kopf hat, der nicht über diese Bevölkerung oder nicht gegen diese Interessen regiert, sondern sozusagen ein wohlwollender, ein fürsorglicher, ein um das Wohl seiner Untertanen besorgter König ist. Nur dann wird er geliebt, nur dann zeigen ihm die Untertanen, dass sie seinen Ruhm sozusagen schätzen und sich natürlich auch in seinem Ruhm selber wieder sonnen wollen. Also, es ist schon so ein Give and Take, was sich damals einnistet. Natürlich, es ist kein demokratisches Regime, Bürger haben nichts zu sagen, sie haben keinerlei Partizipationsrechte, ganz anders als heute. Aber so einen Keim des Nachfragen, des Fordernden, des Rechte-Einklagen, so was finden wir bereits bei Friedrich und im 18. Jahrhundert. Und zwar, wie gesagt, als Angebot des Königs, ich will euch hier zu fröhlichen und glücklichen Untertanen machen, damit ihr umso besser arbeiten und Steuern zahlen könnt und im Militär dienen könnt, als auch auf der Seite der Untertanen, die sagen, wenn wir dich so lieben sollen, dann tu auch was für uns!

Kassel: "Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen?" – Ich versuche, das Fragezeichen ein bisschen mitzusprechen jetzt. So heißt das Buch von Ute Frevert, es ist im Wallstein-Verlag erschienen und kostet 16,90 Euro und bietet in der Tat einen etwas neuen Blick auf einen König, von dem wir alle immer meinen, wir würden eigentlich schon alles über ihn wissen. Frau Frevert, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!

Frevert: Vielen Dank, Herr Kassel!

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