"Ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein"

01.12.2010
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig fordert mehr staatliche Leistungen für Kinder aus Familien mit geringem Verdienst. Die von der Bundesarbeitsministerin geplante Aufstockung der Bildungsförderung sei nicht ausreichend.
Jan-Christoph Kitzler: Hartz IV muss reformiert werden, das hat sich nicht die Bundesregierung ausgedacht, sondern das hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, und zwar bis Ende dieses Jahres, und die Bundesregierung schafft es möglicherweise auf den letzten Drücker, wenn es denn gut läuft. An diesem Freitag entscheidet der Bundestag, am 17. Dezember soll der Bundesrat zustimmen, und da könnte das Ganze möglicherweise hängenbleiben, denn dort hat die Bundesregierung keine eigene Mehrheit, und die SPD legt sich quer. Möglicherweise muss also der Vermittlungsausschuss ran – und eine Neuregelung, die gäbe es dann erst Anfang 2011. Darüber spreche ich jetzt mit Manuela Schwesig, Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Vorsitzende. Guten Morgen nach Schwerin!

Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Wie muss denn eine Einigung aussehen, der Sie als SPD zustimmen?

Schwesig: Das Gesetz muss vor allem erst mal verfassungsgemäß werden, jetzt ist es verfassungswidrig, das heißt für uns, dass die Regelsätze ordentlich berechnet werden müssen. Aber noch ganz wichtig für uns ist, dass wir erreichen, dass die Verbesserung für Kinder – also ein Zuschuss zum Mittagessen, die Vereinsförderung, die Lernförderung, auch die Klassenfahrten – nicht nur für Kinder aus Hartz-IV-Familien gelten, sondern vor allem für die vielen Kinder, wo die Eltern arbeiten gehen, aber selbst wenig verdienen, sodass sie sich auch nicht alles leisten können. Wir wollen also, dass das Bildungspaket wirklich für viele Kinder in Deutschland gilt, und nicht nur für ein paar.

Kitzler: Bundesarbeitsministerin von der Leyen hat jetzt ja nachgebessert und zugesagt, sie will die Bildungsförderung für Kinder und Jugendliche noch einmal aufstocken um 40 Millionen. Ist das nicht ein Friedensangebot?

Schwesig: Nein, das ist ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein, der auch dann wieder sofort verpufft, denn uns ist wichtig, dass viele Kinder in Deutschland von dieser Bildungsunterstützung profitieren, dazu gehören Kinder aus Hartz-IV-Familien, aber vor allem für uns auch die vielen Kinder aus Geringverdienerfamilien. Wir müssen mal an die Familien denken, wo die Eltern arbeiten gehen, aber auch sich viele Freizeit- und Bildungsangebote für ihre Kinder nicht leisten können, an die denkt Frau von der Leyen nicht. Das halten wir für falsch, und für diese Kinder kämpfen wir. Dazu kommt, dass wir dringend an jeder Schule mindestens eine Schulsozialarbeiterin oder einen Schulsozialarbeiter brauchen, denn die Unterstützung und Förderung für Kinder geschieht nicht nur durch Geld, sondern vor allem durch die Menschen, die da sein müssen. Und wenn wir an die sozial benachteiligten Kinder denken, dann ist es dringend erforderlich, dass wir hier auch Unterstützungspersonen an den Schulen bekommen.

Kitzler: Das haben Sie schon angesprochen. Eigentlich geht es ja nur darum, die Berechnung der Hartz-IV-Sätze neu zu gestalten. Ist es da denn hilfreich, wenn man das mit vielen anderen Fragen wie zum Beispiel Sozialarbeitern an den Schulen und so weiter verbindet?

Schwesig: Es geht nicht nur um die Berechnung. Das Bundesverfassungsgericht hat ein ganz tolles Urteil gesprochen, es hat gesagt: Der Staat ist dafür verantwortlich, sich darum zu kümmern, dass jedes Kind in Deutschland Teilhabe hat an Bildung, an Freizeit, an Kultur, Sport, gesundem, warmen Mittagessen, soziokulturelle Teilhabe nennt das Gericht das. Und diese Teilhabe sichern Sie nicht, indem Sie einfach den Kindern zehn Euro mehr im Monat in die Hand drücken, sondern die Teilhabe sichern Sie nur durch Menschen, Erzieherinnen, Erziehern in Kitas, Lehrerinnen, Schulsozialarbeiter, und wir fordern, dass endlich diese Bundesregierung auch wirklich in die Infrastruktur vor Ort investiert. Die SPD hat sich durchgesetzt mit einem Ganztagsschulprogramm, mit einem Kita-Programm. Diese Bundesregierung hat kein Bildungsprogramm für die Kinder in Deutschland, und das ist wirklich fatal. Sie hat viele Milliarden für andere, Atomlobby, Pharmakonzerne, Hoteliers, aber nicht viel für die Kinder übrig. Das kritisieren wir, und da versuchen wir natürlich jetzt mit unseren Möglichkeiten, das Beste für die Kinder in Deutschland rauszuholen.

Kitzler: Sie versuchen das mit vielen anderen Themen noch zu verbinden, Politiker aus dem Regierungslager werfen Ihnen deshalb ja Blockadehaltung vor, mit einigem Recht.

Schwesig: Überhaupt nicht, und daran sieht man, dass die Politiker in der Union und auch in der FDP eigentlich hier gar nicht merken, worum es geht. Das, was Frau von der Leyen jetzt vorgeschlagen hat, die kleinen Verbesserungen für ein paar Kinder, kann sie ab 1.1. schon längst umsetzen, da ist sie voll handlungsfähig. Sie tut es leider noch nicht, vor Ort droht wirklich Chaos, wenn man mit den Argen spricht, den Kommunen, weiß keiner so richtig, wie das laufen soll. Das kann sie aber tun. Wir werden gar nicht blockieren, sondern wir werden mehr fordern für die Kinder, und vor allem fordern, dass mehr bei mehr Kindern ankommt. Das ist doch ganz entscheidend, dass uns nicht wieder die Kinder durchfallen, wo Eltern arbeiten gehen, aber auch nicht so viel Geld haben, um sich alles leisten zu können. Darum geht es, nicht blockieren, sondern mehr für die Kinder rausholen. Und wenn die Frau von der Leyen jetzt endlich unsere Vorschläge sofort in ihrem Gesetz aufnimmt, dann können wir alle noch in diesem Jahr zustimmen. Das liegt doch nur bei ihr.

Kitzler: Sie betonen jetzt immer so, dass viel für die Kinder rausgeholt werden muss. Ist das nicht vielleicht auch ein bisschen schlechtes Gewissen bei der SPD? Denn die, wie sich herausgestellt hat, verfassungswidrigen Berechnungen der Hartz-IV-Regelsätze, die haben wir ja Ihrer Partei unter anderem auch zu verdanken.

Schwesig: Ich habe kein schlechtes Gewissen, denn ich fordere seit Langem, dass wir hier viel mehr tun müssen, dass wir mehr in die Kitas vor Ort investieren müssen, in die Ganztagsschulen, dass Kinder wirklich bessere Förderung bekommen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben alle demokratischen Parteien zu verantworten, weil damals SPD, CDU, FDP und Grüne im Bundestag und Bundesrat verantwortlich waren, aber gerade weil wir diese Verantwortung sehr ernst nehmen, versuchen wir das jetzt gut zu machen, und die Union kann von uns nicht verlangen, dass wir noch mal einem verfassungswidrigen Gesetz zustimmen. Wir wollen es besser machen und das ist auch unsere Verantwortung.

Kitzler: In Ihrer Partei gibt es ja nicht Wenige, die Bauchschmerzen haben grundsätzlich mit Hartz IV, andere sagen, man muss zu dem stehen, was man mal beschlossen hat. Ist diese Haltung, die Sie jetzt skizzieren, nicht nur vor allem auch ein Versuch, einerseits die Bundesregierung natürlich vor sich herzutreiben, andererseits aber auch, die eigenen Reihen zu schließen?

Schwesig: Ich halte nicht viel davon, wenn man immer nach hinten blickt und diese ganzen Diskussionen führt, sondern wenn man sich einfach anschaut, was in Deutschland los ist, ... und Fakt ist, dass viele Kinder kein gesundes, warmes Mittagessen in der Kita oder Schule bekommen, Fakt ist, dass viele Kinder sich ... Freizeitangebote nicht bekommen, weil sie vor Ort gerade zusammengestrichen werden, oder Eltern sich das nicht leisten können, Fakt ist, dass viele Kinder weit zur Schule fahren und Eltern oft die Fahrtkosten nicht haben, und das trifft nicht nur Kinder aus Hartz-IV-Familien, sondern vor allem auch Kinder aus Familien, wo Eltern fleißig arbeiten, aber sehr wenig verdienen. Und ich will einfach, dass für die Kinder was getan wird, und habe keine Lust auf dieses Parteigezänk, wer wann was beschlossen hat und wer wie Schuld ist. Wenn die Bundesregierung sich hier ein bisschen bewegt und mal mehr ausgibt für die Kinder, wenn sie sonst so viel Geld für andere hat, dann kommen wir da schnell zusammen. Der Ball liegt bei Frau von der Leyen, wenn sie unsere Vorschläge aufnimmt, dann können wir uns schnell einigen. Und noch mal möchte ich betonen, dass das, was sie vorgeschlagen hat, bereits ab 1.1. umgesetzt werden kann und wir das auch von ihr erwarten. Sie muss bloß endlich mal aus dem Pott kommen. Das Problem ist doch folgendes: Sie hat im August eine Bildungskarte für alle Kinder versprochen, und die wird definitiv nächstes Jahr nicht kommen.

Kitzler: Das sagt Manuela Schwesig, die stellvertretende SPD-Vorsitzende und Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!

Schwesig: Wünsche ich Ihnen auch. Vielen Dank, tschüss!
Manuela Schwesig (SPD) soll Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern werden
Manuela Schwesig (SPD), Ministerin für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern© AP