Ein kleiner Einblick in Schlingensiefs Welt

Aino Laberenz im Gespräch mit Susanne Burg · 08.10.2012
Heute erscheinen die Memoiren des 2010 verstorbenen Regisseurs Christoph Schlingensief. Ihr Mann habe immer extrem und wahnsinnig gerne gelebt, sagt Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz, die das Buch herausgegeben hat. Dennoch habe er den Tod akzeptiert.
Susanne Burg: Christoph Schlingensief war mittendrin im Kampf gegen die Metastasen in seiner Lunge, als er seine Gedanken, Erinnerungen und Erlebnisse auf einem Tonband festhielt. Sein Krebstagebuch "So schön wie hier kann’s im Himmel gar nicht sein" war gerade herausgekommen und Schlingensief veranstaltete Lesungen, die aber in erster Linie daraus bestanden, dass er aus seiner Theater- und Filmarbeit, von seinen politischen Aktionen und seinem Leben erzählte. Das wurde mitgeschnitten und sollte als Buch herauskommen. Aber er selber konnte es nicht vollenden, Christoph Schlingensief starb im August 2010. Nun hat Aino Laberenz, Schlingensiefs Witwe, sich des Materials angenommen, hat es sortiert und die Texte zusammengestellt. "Ich weiß, ich war’s" heißt das Buch. Und ich begrüße jetzt Aino Laberenz am Telefon in Düsseldorf, guten Tag, Frau Laberenz!

Aino Laberenz: Hallo!

Burg: Ja, Sie sind die Herausgeberin des Buches, das heißt, Sie geben etwas heraus. Viel Privates und viel Öffentliches, Gedanken von Christoph Schlingensief über die Arbeit und sein Leben, das hat bei ihm ja immer zusammengehört. Wie schwer ist Ihnen dieses Herausgeben gefallen?

Laberenz: Es ist natürlich eine ziemliche Verantwortung und der war ich mir auch sehr bewusst, also von Anfang an. Es war so ein bisschen wie so ihn um Rat fragen. Ende letzten Jahres hatte ich so Momente, wo ich mich wirklich ganz klar in diese ganzen Texte hineinbegeben habe, die gelesen habe, noch nicht mal anfänglich mit dem Gedanken, das muss jetzt irgendwie zum Buch werden. Und habe dann aber irgendwie gemerkt, das sind ganz viele, ja, Erinnerungen, Geschichten, die ich auch gerne möchte, dass die freigelassen werden, dass die gelesen werden beziehungsweise dass daraus irgendeine Form von Buch auch entsteht, wo man noch mal einen kleinen Einblick in Christophs Welt vielleicht bekommt.

Burg: Also, wenn man das Buch liest, bekommt man wirklich den Eindruck, Schlingensief denkt und spricht. Er springt in seinen Gedanken, er ist lustig, bissig, zweifelnd, klagend. Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie sagen, die Welt von Christoph Schlingensief noch mal zum Leben erwecken?

Laberenz: Also, es ist natürlich genau das als Entscheidung jetzt gewesen. Das Buch hatte einen Stand X mit ihm noch, das war Anfang 2010 und ja, damit war er sehr unzufrieden und wollte das Ganze noch mal irgendwie von vorne sich angucken, noch mal anders überlegen. Und dazu ist es dann letztlich nicht mehr gekommen. Ich habe dann im Prinzip so eine Art Gerüst oder Struktur, schon so eine Art von Montage entwickelt, wie man näher jetzt als Beispiel in dieser Lesereise an ihm bleibt, wie er quasi seine Fäden spannt und welche Geschichten er wie miteinander in Beziehung setzt oder was für ihn prägend ist. Also, ich habe mich irgendwann entschieden ganz klar: Ich möchte mich wirklich nur in dem bewegen, was er dafür explizit hinterlassen hat. Und natürlich wäre es ein anderes Buch auch mit ihm geworden, so.

Burg: Auch Sie sind immer wieder Teil des Buches, also in den Passagen beispielsweise, wenn es um die Hochzeit geht, oder aber auch da, wo es ihm wirklich, wirklich schlecht geht mit seinem Krebs. Wie schwierig war es für Sie bei der Arbeit an dem Buch, auch selber immer Teil zu sein?

Laberenz: Das war auf jeden Fall schwierig und ich habe auch gemerkt, dass ich dann dahin tendiert habe, das lieber rausnehmen zu wollen. Und habe dann aber vor allen Dingen auch von der Lektorin, mit der ich sehr eng zusammengearbeitet habe, auch klar versucht, mich ... oder mich privater zurückzustellen. Also, es geht in dem Moment nicht um mich, wie ich da vorkomme beziehungsweise wie es mir damit jetzt geht, sondern halt wirklich um das, was ihm wichtig war, was er in das Buch haben wollte, was er explizit dafür festgehalten hat, ja.

Burg: Kommen wir mal zu den Texten selber: Schlingensief erzählt über sein Leben, seine Arbeit, viele Stationen lässt er Revue passieren. Auch die Chance 2000 kommt darin vor, die Partei, die er 1998 gegründet hat, und er beschreibt auch den Höhepunkt, als er alle vier Millionen deutschen Arbeitslosen eingeladen hat, gleichzeitig im Wolfgangsee zu baden, ihn zum Überlaufen zu bringen und dadurch das Urlaubsdomizil von Helmut Kohl zu fluten. Es kamen nicht vier Millionen, sondern nur 600, und Schlingensief beschreibt dann auch einen Auftritt in Freiburg im Anschluss, als er in einem Saal voller Studenten, die ihm ja eigentlich wohl gesonnen waren, völlig ausgeflippt ist und sie schließlich angebrüllt hat mit den Worten – ich zitiere – "Ihr stinkt doch alle, ihr seid doch Scheißstudenten und liegt uns alle auf der Tasche! Arbeitslose sichtbar machen, das schafft ihr sowieso nicht, weil ihr die nächsten Unsichtbaren in dieser Gesellschaft sein werdet, wenn ihr den Arsch nicht hoch kriegt!" So weit also, wie er es selber auch im Buch zitiert. Frau Laberenz, was war es, das ihn in solchen Situationen so hat ausrasten lassen?

Laberenz: Na ja, wahrscheinlich einfach ganz klar die Situation, der direkte Umgang mit solchen Dingen. Also, auch der sozialen, auch der politischen Ebene, dass er in dem Moment halt konfrontiert war auch genau mit dem Moment, eine Partei zu haben. Ich weiß für mich, dass Christoph immer in seiner Arbeit, ob das die Partei war oder ob das eine Theaterarbeit war, immer ganz grundauf ehrlich überzeugt war von dem Moment, was er getan hat, und dafür total einstand. Und natürlich fliegt einem dann bestimmte Dinge um die Ohren oder man kann es nicht abschätzen oder man glaubt an etwas und das zerfliegt auch durchaus so.

Burg: Man bekommt beim Lesen immer wieder den Eindruck, da waren ganz viele Selbstzweifel, da war aber auch sehr viel Wut. Wie standen diese beiden Gefühle zueinander und wie wichtig war vor allem die Wut für ihn als Antrieb?

Laberenz: Natürlich war Christoph jemand, der sich permanent selbst hinterfragt hat, auch permanent gezweifelt hat an dem, was er getan hat, und an dem, was er gearbeitet hat, sich permanent auch selber zur Debatte gestellt hat. Er selber war eine Fläche und somit ja auch ganz klar angreifbar. Und war natürlich auch wütend, wenn er nicht verstanden wurde oder wenn er runterreduziert wurde auf den Provokateur oder auf den Klassenclown. Denn das, was er gemacht hat in jeder Arbeit, war ein ganz ehrliches und ernsthaftes Anliegen. Also, wie auch immer, auch mit Humor durchaus dabei, mit einer Aggression dabei, aber so einen ganz, ganz ehrlichen, absolut keinen ironischen Inhalt.

Burg: Aino Laberenz ist meine Gesprächspartnerin hier im Deutschlandradio Kultur. Sie hat ein Buch mit Texten ihres 2010 verstorbenen Mannes Christoph Schlingensief herausgebracht, "Ich weiß, ich war’s" heißt es. Frau Laberenz, ursprünglich kam er ja vom Film und wollte auch immer wieder dorthin zurück. Sein letzter Film, "Kunst. Das Wesen der", blieb unvollendet. Was hatte er da vor?

Laberenz: Also, als wir "S.M.A.S.H.", die letzte Produktion, die wir noch machen wollten, die musste er absagen aus gesundheitlichen Gründen. Und es war aber für ihn ganz klar, dass er jetzt nicht aufhören kann grundsätzlich zu arbeiten. Weil für ihn Arbeiten Bewegung hieß, weil das auch Leben bedeutete, also nicht die Aufgabe. Auf der anderen Seite ist der Film ... Da hat er sich als den Kranken zum totalen Mittelpunkt gemacht. Und das ist halt wieder diese Widersprüchlichkeit, die er war, die er gelebt hat und wo er auch ganz klar in dem Buch zum Beispiel sagt, dass man endlich mal seine Widersprüchlichkeit bekennen soll oder dass der Mensch aufhört zu tun, als wisse er, wer er ist, so. Und ich glaube, das ist noch mal so ein ... genau das, was in dem Film am Schluss zusammenkommt: Diese totale Widersprüchlichkeit im Komplettkrankheitsbild ausleben, auf der anderen Seite dieses Genervtsein von dem permanenten ... dass man krank ist und als solcher auch behandelt wird, so.

Burg: Im Buch heißt es, es geht um das Sterben, nicht mehr ums Sterbenlernen, um die Abrechnung kurz vor Schluss, auch um die unendliche Sehnsucht, nicht als Depp gehen zu müssen.

Laberenz: Ja, durchaus. Aber auch ganz klar ums Leben, also ganz klar da wieder auch um das ... weiter leben zu wollen. Denn natürlich ist es die ganz klare Ahnung, sterben zu müssen, was er nicht erst da hatte, aber was da ganz konkret war. Und auf der anderen Seite aber trotzdem leben zu wollen. Und das ist die Form von Arbeit gewesen auch.

Burg: Was sich ja wirklich bis zum letzten Tag durchzieht, dass er wirklich ja immer noch voller Hoffnung war, trotz aller Metastasen, dass er irgendwie weiter leben könnte.

Laberenz: Klar, also, Christoph war natürlich jemand, der auch in den schwierigsten Phasen mit so einer Sache immer extrem gelebt hat und auch nicht aufgehört hat zu leben, so. Und das hat sich einfach auch nicht geändert. Der wollte, der hat wahnsinnig gerne gelebt. Und trotzdem hat er den Tod akzeptiert.

Burg: Er hat in seinen letzten Jahren eine ganze Reihe von Ehrungen erfahren, er hat in Bayreuth inszeniert, er sollte den deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig gestalten, das haben Sie dann zusammen mit Susanne Gaensheimer durchgeführt. Wie wichtig war ihm diese öffentliche Anerkennung, die er in den letzten Lebensjahren noch erfahren hat?

Laberenz: Ich glaube immer schon, dass das auf jeden Fall etwas war, was ich am Anfang schon mal gesagt habe, dass er ernst genommen werden wollte. Und er hat sich durchaus auch über Preise gefreut, weil es eine Form von Anerkennung ist und weil es eine Form von Bestätigung auch ist. Auf der anderen Seite gibt es auch die schöne Geschichte zum Beispiel beim Wien-Container, wo er eine ziemliche Akzeptanz und auch ein ziemliches Hoch hatte und musste danach ... konnte dem quasi nicht komplett vertrauen oder dann kommt vielleicht auch wieder dieser Selbstzweifel, die Selbsthinterfragung. Also, es war jetzt nicht der Mensch, der permanent zum geliebten Wesen mutieren wollte oder das sein wollte, sondern der permanent auch wieder sich hinterfragt hat und dann auch wieder zerstört hat. Also, der sicherlich eine extreme Zerstörungsgewalt in sich hatte.

Burg: Ich bin nicht der geworden, der ich sein wollte, das hat Schlingensief über sich selber gesagt. Was denken Sie, ist es so?

Laberenz: Beides. Also, ich glaube, Christoph ... Ich weiß nicht, ob er sich klar gedacht hat, das will ich werden und das will ich nicht werden. Also, der war immer in Bewegung und auch auf dem Weg, so. Und ich glaube, der wäre nie geworden das, was er werden wollte, beziehungsweise er wollte überhaupt nichts werden oder er wollte in dem Moment machen. Also, das, was ich für mich beobachtet habe oder was ich sehr, sehr spannend an ihm als Künstler vor allen Dingen auch finde, ist, dass der in dem Moment eine Arbeit gemacht hat und sich dem wirklich komplett hingegeben hat und es nicht darum ging, wie bin ich zu kategorisieren als – keine Ahnung – Regisseur, Künstler, Filmer und so weiter. Sondern er hat in dem Moment das besprochen, was ihm ein Anliegen war. Also, für mich ein total ... Gegenwartskünstler, also, jemand, der wirklich die Zeit extrem mit einbezogen hat. Auf der einen Seite so die Geschichte als Gedächtnis hatte und auf der anderen Seite wirklich ganz klar das jetzt in seine Arbeit aufgenommen hat.

Burg: Aino Laberenz, die Witwe von Christoph Schlingensief. Sie hat eine Text- und Bildsammlung herausgegeben, in dem Schlingensief über sein Leben und seine Arbeit sinniert. "Ich weiß, ich war’s" heißt das Buch, es ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen. Vielen Dank fürs Gespräch, Frau Laberenz!

Laberenz: Danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema