Ein Jubiläumsring aus Bruchstücken

Von Jörn Florian Fuchs · 31.07.2013
Vieles, was Richard Wagner an Konflikten in der "Götterdämmerung" angelegt hat, verkaspert der Berliner Volksbühnen-Regisseur Frank Castorf auf virtuose Weise. Er denkt in Fragmenten und setzt vor allem auf Sinnlichkeit. Aber das Publikum hatte sich mit Trillerpfeifen bewaffnet.
Was für ein Sommer! Das Festspielhaus eingerüstet, die Villa Wahnfried eine Großbaustelle, das Markgräfliche Opernhaus in Renovierung befindlich. Den Festspielpark bevölkern unterdessen viele bunte Richard-Wagner-Gartenzwerge ... Von den geschwisterlichen Festspielführerinnen ist kaum etwas zu vernehmen, sie zeigten sich nicht zur Eröffnung und blieben auch dem Staatsempfang fern. Eva schweigt ja ohnehin fast immer, Katharina fällt heuer immerhin durch eine Werbung für Kompressionsstrümpfe in einem Festspielmagazin auf.

Ein heimlicher Star

Und was gibt es sonst noch? Bayreuths beschaulicher Nachbarort Bindlach feiert ein fränkisches Freudenfest, die traditionelle Bärenkärwa. Immerhin haben die dort einen Meister Petz, im Gegensatz zu denen auf dem Grünen Hügel. Dort ist der Braune ein angebundener Knecht, der vorwiegend sinnfreie Arbeiten für Mime und Siegfried verrichtet. Dargestellt wird diese seltsame Figur von Patric Seibert. Seibert taucht in sämtlichen Ring-Teilen in unterschiedlichen Rollen auf und ist der (un)heimliche Star des Ganzen. Fürs Programmheft hat er einen schönen Text über die Geschichte der Ölförderung geschrieben.

Und schon glaubten viele, diese Dinge fänden sich in Frank Castorfs Ring-Regie wieder. Tun sie aber nicht wirklich. Denn Castorf und sein Weltklasse-Bühnenbildner Aleksandar Denić erzählen weder eine halbwegs logische Geschichte jenseits der Tetralogie, noch interessieren sie sich wirklich für die im Ring verhandelten Konflikte. Denić und Castorf denken in Einzelmomenten, in heterogenen Bildern, in teilweise wohl bewusst miteinander verklebten Bruchstücken, die bisweilen überraschend Sinn, vor allem aber Sinnlichkeit ergeben.

Lasst alle Handlung fahren!

Schon der Handlungsort fürs Rheingold führt in die Irre. Ein Motel an der Route 66 steht da, Mobiliar und Autos sind vielleicht aus den 1960er-Jahren, aber es gibt "Free Wifi" (kostenfreies Internet). In der Walküre befinden wir uns irgendwo auf einer Ölförderstation (angeblich ist es Baku), hier wird die Wälsungen-Geschichte einigermaßen klar nach Vorschrift erzählt. Allerdings spinnt die Regie parallel zur Geschwisterliebelei ganz sachte Assoziationsfäden: eine Lenin-Silhouette erscheint, kleidungstechnisch ist man ein bisschen oktoberrevolutionär. Im Siegfried heißt es schließlich: Lasst alle Handlung fahren! Alles, was Wagner an großer Emotion und Pathos in Text und Partitur gelegt hat, verkaspert Castorf auf virtuose Weise. Natürlich gibt es keinerlei Metaphysik und ein Riesenwurm namens Fafner kann ja nur ein Krimineller von Heute sein. So wird also das Personal einerseits verkleinert.

Doch dann tauchen am Ende zwei Warane auf, einer schnappt sich für kurze Zeit den Waldvogel, der vorher in groteskem Federkleid Siegfried besprang und hernach als süße Bordsteinschwalbe auf Kundschaft wartete. Der andere kriegt eines mit dem Sonnenschirm in die Fresse. Zu diesem Zeitpunkt sind wir übrigens auf dem Berliner Alexanderplatz der 1980er-Jahre, auf der Bühnenrückseite gibt es eine sehr 'rote' Mount-Rushmore-Variante – mit Marx, Lenin, Stalin und Mao. Die Götterdämmerung erzählt Castorf ziemlich lakonisch und etwas unscharf herunter, eine unwirtliche Dönerbude, Reste der Berliner Mauer und ganz am Schluss die New Yorker Börse sind die Handlungsorte. Das Ringen um Ring, Macht und Minne wird durch Voodoo-Rituale hoch gerüstet, den finalen Weltenbrand verschenkt Castorf indes völlig. Man sieht hier eher kleingeistige Ganoven denn mythische oder archaische Figuren.

Schlankes Dirigat

Musikalisch waren die vier Abende bei Kirill Petrenko in besten Händen. Er dirigiert eher aufs Schlanke, Flüssige, Moderne hin. Beim Rheingold-Beginn, im zweiten Aufzug der Walküre und für die Waltrauten-Szene der Götterdämmerung findet er jedoch (noch) nicht das richtige Tempo, zu langsam und zerdehnt tönt das. Lance Ryan war ein zunächst klar timbrierter, später mehr und mehr ausgesungener Siegfried, auch Attila Juns näselnd-matter Hagen enttäuschte. Catherine Fosters Brünnhilde (im schlampig redigierten Programmheft taucht ihr Name in gleich drei unterschiedlichen Schreibweisen auf) klang in den oberen und tieferen Lagen fantastisch, die Mitte blieb recht stumpf. Toll der Gunther von Alejandro Marco-Buhrmester, solide Allison Oakes als Gutrune. Hervorragend die von Eberhard Friedrich einstudierten Chöre.

Auch bei der Götterdämmerung ist es bewundernswert, wie brillant Castorf beinahe sämtliche Sängerdarsteller auf Volksbühnen-Niveau 'herunterregelt'. Dazu kommen erneut Videos, die das Geschehen verdoppeln oder durch allerlei Material erweitern.
Im Grunde ist dieser Ring aus Fragmenten genau das Richtige für Bayreuth im Jubeljahr. Er führt alle Bestrebungen und ästhetischen Handschriften der letzten Jahrzehnte an einen Endpunkt. Irgendwann erscheint vielleicht ein neuer Siegfried, der die Splitter aufliest und neu schmiedet.

Für den Schlussapplaus hatten sich Teile des Publikums mit Trillerpfeifen bewaffnet. Frank Castorf goutierte die Reaktionen mit großer Nonchalance, er blieb rund eine Viertelstunde lang fast regungslos im Buhgewitter stehen. Nicht nur dafür: Chapeau!

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Frank Castorf goutierte die Publikumsreaktionen mit Nonchalance.© dpa / picture alliance / Claudia Esch-Kenkel