Ein Jahr nach dem Attentat in Kopenhagen

Dänische Juden und Muslime nähern sich vorsichtig an

Muslimische Frauen in Kopenhagen
Muslimische Frauen in Kopenhagen © picture alliance / dpa / Francis Dean
Von Klaus Martin Höfer · 21.02.2016
Seit den Anschlägen auf ein Kulturcafé und eine Synagoge vor einem Jahr diskutiert Dänemark anders über die Radikalisierung von Muslimen, über Antisemitismus und Terrorgefahr. Aber auch manche Freundschaften zwischen Moslems und Juden sind entstanden.
Niddal El-Jabri ist Sohn palästinenischen Einwanderer, er ist Werbe- und Marketingfachmann und ist ständig in den sozialen Medien präsent. Er hatte eigentlich mit seinem ein Jahre alten Sohn im Stadtpark von Österbro spazieren gehen wollen, entschied sich dann aber anders. Und plötzlich überschlugen sich die Facebook- und Twitter-Meldungen auf Niddal El-Jabris Smartphone: Es habe eine Schießerei gegeben, im Kopenhagener Stadtteil Österbro, ganz in der Nähe, wo er mit seinem Sohn unterwegs gewesen wäre. Die Rede ist von einem jugendlichen Attentäter, über die Motive wird spekuliert. Es soll Tote und Verletzte gegeben haben.
"Mein erster Gedanke war, hoffentlich ist der Täter kein Muslim. Und als es sich bestätigte, war mir klar, dass dies noch weiter eskaliert."

Niddal El-Jabri ist dänischer Staatsbürger, er hat einen Hochschulabschluss, ist Unternehmer. Zusammen mit seiner Frau engagiert er sich in zahlreichen Stadtteilinitiativen. Sie sehen sich als anerkannten Teil der Gesellschaft, auch wenn sie zu einer Minderheit gehören. Für ihren Sohn wünschen sie sich dies auch.
Kinder stehen vor zwei schwer bewaffneten Polizisten.
Die Verunsicherung bei Juden in Kopenhagen war groß.© CLAUS BJOERN LARSEN / AFP

"Wir leben unser gewohntes Leben weiter"

"Für uns bedeutet es sehr viel, dass unser Sohn nicht wie ein Muslim der dritten Einwandergeneration behandelt wird oder wie ein Kind mit dunkler Haut. Wir wollen, dass er Däne ist. Er wird seinen kulturellen und sprachlichen Hintergrund haben, doch so wie für uns wird es für ihn keinen Zweifel geben, dass er Däne ist und dass er hierher gehört."
Stunden nach der Schießerei in dem Kulturzentrum in Österbro erschoss der Attentäter vor der Synagoge einen jüdischen Wachmann, der dort ehrenamtlich den Eingang sicherte. Rabbiner Jair Melchior schaut mit einem gewissen Fatalismus auf den Anschlag und die Zeit danach.
"Wir leben unsere gewohntes Leben als Juden weiter, nicht wegen oder trotz des Terrors, sondern weil wir vorher so gelebt haben und es auch weiter so tun werden. Was wir durchgemacht haben, ist eine Tragödie wie Familien sie durchmachen. Aber das Leben geht weiter."
Rabbiner Melchior, dessen Familie seit 400 Jahren in Dänemark lebt, wirft anderen vor, den Terror zu instrumentalisieren, zum Beispiel dem israelischen Regierungschef Netanjahu. Der hatte nach dem Attentat die dänischen Juden aufgefordert, nach Israel auszuwandern.
"Dies war ein Angriff auf dänische Juden. Einen Keil zwischen die dänische Gesellschaft und dänische Juden zu treiben, ist gegen alles, wofür wir eintreten. Und ich sage dies nicht nur als dänischer, sondern auch als israelischer Staatsbürger."
Die 2.000 Mitglieder der jüdischen Gemeinde seien ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft. Aber auch die Muslime seien es, sagte der Rabbiner.
"Ich glaube an eine Zusammenarbeit der Zivilisationen und nicht an den Zusammenstoß der Zivilisationen. Unterschiedliche Kulturen sind eine gute Sache und gut für eine Gesellschaft. Jede Gruppierung sollte diese Unterschiede beibehalten, ich sehe da keine Probleme, eher das Gegenteil."

Interreligiöser Dialog kommt oft nicht an der Basis an

Ein paar Monate nach den Anschlägen wurde eine Moschee in Brand gesteckt, Grabmale auf muslimischen Friedhöfen wurden geschändet, es gab eine Serie von Übergriffen auf muslimische Frauen. Den Brandstifter - ein Mitglied der dänischen Nazi-Partei - hat man überführt, die anderen Täter wurden nicht gefasst. Ist es das, was Niddal El-Jabri befürchtet hatte, als er hörte, der Attentäter sei Muslim? Nein, er sehe eher einen Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise, sagt er. Es gebe Angst und Unsicherheiten und keine klare politische Linie.
Nach dem Attentat auf die Synagoge gab es gemeinsame Veranstaltungen der religiösen Führer von jüdischen, muslimischen, christlichen und anderen Gruppen. Imame kamen zu Gedenkfeiern und zum Neujahrstreffen der jüdischen Gemeinde. Die vielen Treffen hätten das Verhältnis von Juden und Muslimen weiter verbessert, sagt Rabbiner Melchior.
"Wir hatten auch vorher eine gute Arbeitsbeziehung mit den meisten muslimischen Organisationen. Vielleicht ist sie jetzt ein wenig besser. Alle sind sehr offen, egal was wir besprechen. Das war vorher auch schon so, aber nach den vielen gemeinsamen Veranstaltungen ist es vielleicht noch stärker geworden."
Niddal El-Jabri reichen die Treffen der religiösen Führer allerdings nicht. Er vermisst die Kontakte auf der persönlichen Ebene.
"Rabbiner, Imame und Pfarrer treffen sich und besprechen dies und jenes, sie veranstalten manchmal gemeinsame Seminare, aber sie vermitteln dies nicht an die einfachen Mitglieder ihrer Gemeinden. Die wenigsten haben Freunde über religiöse Grenzen hinweg."

In Dänen verharren oft in ihrer eigenen Community

Niddal El-Jabri begründet das auch mit der dänischen Mentalität. Jeder bleibe vor allem in seiner "Community", mit religiöser Überzeugung habe das gar nicht so viel zu tun. Um so überraschter war er, dass am Tag nach dem Attentat fremde Menschen vor der Synagoge aufeinander zugingen, er und seine Familie auch von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde begrüßt wurden.
Persönliche Freundschaften entstanden, auch nachdem Niddal El-Jabri eine Friedenskette, einen 600 Meter langen und aus 1.000 Personen bestehenden symbolischen Schutzring, rund um die Synagoge organisiert hatte. Vor dem Attentat, sagt Niddal El-Jabri, habe er überhaupt keinen Kontakt zu Juden gehabt. Mittlerweile ist zumindest für ihn die Freundschaft mit Juden selbstverständlich.
"Ich spiele inzwischen in der Basketball-Mannschaft der jüdischen Gemeinde. Ich bin Assistenztrainer. Ich mag Basketball, und ich spiele dort nur mit jüdischen Mitspielern. Ich bin das erste und einzige muslimische Teammitglied."
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