Ein Jahr Kulturgutschutzgesetz

Die verpasste Chance

Neun antike Münzen liegen auf einer Handfläche.
Antike Münzen werden nicht als archäologische Kulturgüter eingestuft, sondern können als "Massenware" frei gehandelt werden. © imago/UPI Photo
Von Christiane Habermalz · 19.07.2017
Seit einem Jahr gilt das Kulturgutschutzgesetz. Kulturstaatsministerin Monika Grütters wollte damit verhindern, dass national bedeutendes Kulturgut ins Ausland abwandert. Doch das Fazit ist eher ernüchternd.
"Gucken Sie sich um, Sie sehen hier keine Aktenberge, auch bei meiner Mitarbeiterin nicht, wir sind hier nicht zusammengebrochen."
Die Verwaltungsjuristin Liane Rybczyk ist in der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa zuständig für den Kulturgutschutz. Ganze 68 Ausfuhrgenehmigungen für Kunstwerke in den Binnenmarkt habe sie im vergangenen Jahr bearbeitet. Auch die Ängste des Handels vor langen Bearbeitungszeiten seien unbegründet gewesen, sagt Rybczyk.
"Wenn jetzt alles richtig und vollständig ausgefüllt ist, wenn alle Unterlagen da sind, macht das meine Mitarbeiterin in 10 bis 15 Minuten. Teilweise sitzen die Boten hier vor der Tür und warten darauf, dass sie es mitnehmen können."

Die gefürchtete Antragsflut ist ausgeblieben

Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters bestätigt: Die befürchtete Antragsflut ist ausgeblieben. Statt Zehntausenden von Ausfuhranträgen, wie vom Kunsthandel vorhergesagt, seien gerade mal 688 eingegangen – bundesweit. Auch die Befürchtung, der Staat werde nun in großem Umfang auf privaten Kunstbesitz zugreifen, sei nicht eingetreten.
"Wir haben alle gefragt, es hat nur einen einzigen Fall von einer Eintragung eines national wertvollen Kulturgutes gegeben im vergangenen Jahr, und das auf Bitten des Besitzers selber."
Mit den neuen Ausfuhrkontrollen wollte Kulturstaatsministerin herausragende, national wertvolle Kulturgüter besser vor Abwanderung ins Ausland bewahren – dann, wenn sie identitätsstiftend für Deutschland oder seine Regionen sind. Der Kunsthandel warnte: Zahlreiche Sammler würden ihre Werke noch vor Inkrafttreten des Gesetzes ins Ausland bringen, in Sicherheit vor dem Zugriff des Staates. Nur ein Gerücht?

Die Sammler sind verunsichert

"Nein, das ist kein Gerücht. Das ist wirklich so passiert, und das hat auch dem deutschen Auktionsstandort sicherlich geschadet."
... sagt Robert Ketterer. Er ist der Inhaber des größten deutschen Auktionshauses, Ketterer Kunst in München. Die Debatte um das Gesetz habe viele Sammler verunsichert. Als Folge fehle jetzt spürbar die Ware auf dem hochpreisigen Markt. Allerdings räumt er auch ein:
"Es ist die Verunsicherung auch so, dass viele denken, sie können ihre Objekte nicht mehr ins Ausland bringen. Und das ist totaler Quatsch, denn das Gesetz gibt es seit einem Jahr jetzt, und wir haben nach wie vor keinerlei Probleme gehabt, irgendwelche Objekte, auch hochpreisige Objekte, ins Ausland zu bringen."

Erhöhte Sorgfaltspflichten

Mehr Kopfzerbrechen als die Ausfuhrgenehmigungen bereiten dem Handel jetzt die erhöhten Sorgfaltspflichten, die ihm das Gesetz auferlegt. Und zwar bei der Einfuhr von Kunstwerken. Wer als Galerist ein Kunstwerk etwa in New York erwerbe, um es in Deutschland auf den Markt zu bringen, müsse nicht nur die Provenienz prüfen, sondern auch, dass es rechtmäßig in die USA ein- und ausgeführt worden sei. Das sei oft schlicht unmöglich.
Auch viele ausländische Einlieferer würden von den deutschen Auflagen abgeschreckt, ergänzt Ketterer.
"Ganz viele dieser Einlieferungen gehen genau aus diesem Grund dann in andere Märkte. Weil die Verkäufer, wenn die dann hören, was da alles für Hürden sind, was man da alles erledigen und Nachweise erbringen muss, dann sagen die Kunden sofort in der nächsten Sekunde: 'Wissen Sie was, Herr Ketterer, alles recht und gut, aber ich brings mal dort hin, da habe ich auch einen guten Markt, und da habe ich diese Probleme nicht.'"

Antiken ohne jeden Herkunftsnachweis

Grütters will das nicht gelten lassen. Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten bei der Provenienz müsse auch im Interesse der Auktionshäuser und Galerien liegen.
Was ist aber mit dem zweiten Teil des Gesetzes, mit dem Grütters den illegalen Handel mit archäologischen Kunstschätzen aus Raubgrabungen in aller Welt unterbinden wollte? Lange war es in Deutschland einfach, mit Antiken ohne jeden Herkunftsnachweis Handel zu treiben.
Als Provenienz genügte die Angabe, das gute Stück stamme aus einer "alten deutschen Privatsammlung" – denn erst 2007 war Deutschland der UNESCO-Konvention gegen illegalen Handel von Kulturgütern von 1970 beigetreten.

Strenge Einfuhrregelungen

Das Kulturgüterrückgabegesetz von 2007 war dann so lasch, dass es aufgrund dieses Gesetzes zu keiner einzigen Rückgabe von Raubgut an die Herkunftsländer gekommen war. Grütters wollte das ändern. Seit einem Jahr gelten nun strenge Einfuhrregelungen.
Archäologische Kunstschätze dürfen nur noch mit einer Ausfuhrerlaubnis des Herkunftslandes eingeführt werden. Doch bei Zoll und Polizei hat sich Ernüchterung breitgemacht. Kriminalhauptkommissar Eckhard Laufer vom Hessischen Landeskriminalamt in Wiesbaden, einer der wichtigsten Polizeiexperten auf dem Gebiet der Kulturgutkriminalität:
"Problematisch ist nach wie vor, ich rede hier explizit von archäologischen Objekten, die sich bereits in Deutschland befinden und dann in Verkehr gebracht werden, hier haben wir einen Status Quo, der sich fortsetzt, insofern, dass wir vorher schon immer wieder Dokumente oder Nachweise vorgelegt bekommen haben, die bei einer genauen Prüfung nicht wiederspiegeln, dass sie aus dem Herkunftsland tatsächlich legal ausgeführt worden sind."

Es fehlt an Personal und Kontrollen

Nennenswerte Zugriffe gibt es bislang nicht – weil es an Personal für Kontrollen fehlt. Und sichergestellte Antiken werden von den Kultusbehörden der Länder oft schnell wieder freigegeben.
Grund sind großzügige Stichtags- und Ausnahmeregelungen im Gesetz. So gelten alle Objekte, die sich bereits vor dem 6. August 2016 in Deutschland befanden, als rechtmäßig eingeführt und können frei gehandelt werden – auch dann, wenn sie gegen die Gesetze der Herkunftsländer außer Landes gebracht wurden.
Für den Archäologen Müller-Karpe ist das nichts anderes als das "Reinwaschen" von Raubgut.
"Man hat im Grunde den gesamten Bestand an Raubgrabungsfunden, der derzeit im Handel aber auch im Privatbesitz ist, ausgenommen vom gesetzlichen Schutz."

Der Nachweis ist für Kriminelle keine Hürde

Als Nachweis, dass die Kulturgüter schon vor dem Stichtag in Deutschland gewesen sind, genügt ein handgeschriebener Brief oder eine eidesstattliche Erklärung – für Kriminelle kaum eine Hürde.
Auch andere Ausnahmeregelungen machen der Polizei das Leben schwer: Etwa die Merkwürdigkeit, dass zwar der Handel mit geplündertem Kulturgut jetzt strafbar ist, nicht aber der Besitz und die Lagerhaltung. Oder dass antike Münzen nicht als archäologische Kulturgüter eingestuft werden, sondern als "Massenware" frei gehandelt werden können.
Die Lobbyisten des Kunsthandels haben wieder ganze Arbeit geleistet. Eine verpasste Chance.
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