Ein Geheimnis durchwimmelter Roman

17.03.2008
Die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt beschreibt in ihrem neuen Roman Menschen, die sich im Dunkeln vor ihren eigenen Heimlichkeiten fürchten. Ihre Hauptfigur ist Psychotherapeut, geschieden, kinderlos und einsam. Vor dem Hintergrund seines eigenen bleichen Lebens will er die geheimnisvolle Geschichte seines Vaters ergründen.
Gerne setzen Schrifsteller ihren Romanen ein Zitat voran. Und natürlich ist es Programm. Siri Hustvedt, die Amerikanerin, die so glashell über die alltägliche Verstörung des Lebens schreiben kann, hat ihrem neuen Roman einen Spruch des islamischen Mystikers Rumi vorausgeschickt.

"Wende dich nicht ab.
Schau weiter auf die bandagierte Stelle.
Dort wird das Licht in dich eindringen."


Man ahnt, was einen erwartet: Die Beschreibung von Menschen, die sich im Dunkeln vor ihren eigenen Heimlichkeiten fürchten, noch mehr aber vor deren Offenbarung im Licht.

Der leidende Amerikaner heißt Erik und ist Psychotherapeut, geschieden, kinderlos, einsam. Ein ganz und gar nicht komischer Stadtneurotiker. Er leidet unter dem Tod seines Vaters und dem eigenen bleichen Leben. Sein Vater hinterlässt Tagebuchfragmente und das Versprechen, ein Ereignis bis zu seinem Lebensende zu beschweigen. Was er tat. Das macht neugierig. Das will man wissen. Auch die Kinder wollen das. Erik und seine Schwester machen sich auf die Suche. Aber auch der berühmte Mann der Schwester, der ebenfalls gerade gestorben ist, hat eine rätselhafte Spur hinterlassen, auf der sich neugierige Schnüffler drängeln.

Eriks Nichte wiederum hat am 11. September Dinge gesehen, die sie nie hätte sehen sollen, und seine neue Untermieterin, eine schöne Jamaikanerin, die alsbald zum Objekt seiner Gelüste avanciert, schleppt gleich mehrere schräge und mysteriöse Beunruhigungen auf einmal ins Haus.

Viele Bandagen, durch die das Licht erst einmal ganz und gar nicht dringen will.

"Meine Schwester nannte es ‚Das Jahr der Geheimnisse‘", so beginnt der Roman und er bleibt geheimnisdurchwimmelt. Immer wieder werden neue Fährten gelegt, wird Spannung herbeizitiert - und mag genau deshalb nicht aufkommen. Wenn alles dramatisch ist, wird alles eintönig und der Leser müde.

Leider. Denn Hustvedt hat ein Thema an der Angel, nach dem man als Leser gerne schnappen würde. Wer lebt schon ohne Finsternis in sich? Das Erschreckende an Monstern, schreibt Hustvedt, "ist nicht ihre Fremdheit, sondern dass sie uns so vertraut sind."

Sie ist eine kluge Autorin. Und natürlich gibt es auch in diesem Buch eindringliche Szenen, in denen Hustvedts schreiberisches Können leuchtet. Sie zeichnet eigenwillige Figuren, erfindet hinreißend groteske Lebensmomente, wunderbar intelligente Dialoge.

Bewegend sind die in den Roman hineinmontierten Lebens- und Kriegserinnerungen von Eriks Vater, die Siri Hustvedts eigener Vater schrieb und ihr erlaubte, sie nach seinem Tod zu veröffentlichen.

Siri Hustvedt, die das Unheimliche des Lebens wie beiläufig in ihren Romanen entstehen lassen kann, die so oft mit sicherem Gespür in die "furchterregenden Niederungen des menschlichen Daseins" eindringt, hat vielleicht für dieses Buch einfach zu viel recherchiert oder zu viel Recherchiertes benutzt und hat damit das eherne Gebot der Dichter vergessen, dass man sehr viel wissen muss, um sehr wenig zu schreiben. Hin und wieder mutiert ihr Roman zum psychologischen Lehrbuch.

"Die Leiden eines Amerikaners" - ein ehrgeiziger Titel. Soll unser Held der Prototyp der amerikanischen Verwirrung im 21. Jahrhundert sein? Ein amerikanischer Jedermann? Vereinzelt in einer entgleisenden Gesellschaft, die sich ihren Traumata nicht stellt? Und ihnen desto ohnmächtiger ausgeliefert ist? Wollte sie ihr ganzes Land auf die Couch legen? Hätte sie von ihrem Land erzählt, wie ihr Kollege Richard Ford es so glanzvoll tut, wäre es gewiss ein gelungeneres Buch geworden.

Rezensiert von Gabriele von Arnim

Siri Hustvedt: Die Leiden eines Amerikaners
Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Gertraude Krueger.
Rowohlt 2008
414 Seiten, EUR 19.90
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