"Ein Festival, das die Filme wichtiger nimmt als die Stars"

Von Wolfgang Hamdorf · 20.09.2007
Beim Internationalen Filmfestival in San Sebastian sind 16 Filme im Wettbewerb zu sehen, darunter auch der deutsche Beitrag "Free Rainer - Dein Fernseher lügt" von Hans Weingartner. Das Gastland Spanien wird von zwei jungen Regisseurinnen vertreten, Altmeister Carlos Saura stellt seinen Film außer Konkurrenz vor.
Der Eröffnungsfilm präsentiert alle Klischees der russischen Seele. Und die liebgewordenen Versatzstücke des Mafiafilms, von der durchgeschnittenen Kehle beim Barbier über junge Prostituierte mit Engelsgesicht hin zum fast biblischen Vater-Sohn-Konflikt. Der US-amerikanische Wettbewerbsbeitrag "Eastern Promises" (Ostversprechen oder Osterversprechen) von David Cronenberg ist ein klassisch gestrickter Genrefilm um die russische Mafia in London. Eine Krankenschwester gerät über das Tagebuch einer minderjähriges Prostituierten ins Visier konkurrierender Clans, und der scheinbare Mann fürs Grobe entpuppt sich als trauriger Engel der Gerechtigkeit.
Auf die Frage nach der expliziten Gewaltdarstellung antwortet Regisseur David Cronenberg mit Humor:
"Im Vergleich zur Gesamtlänge des Films von etwa hundert Minuten gibt es gar nicht viele Gewaltszenen, vielleicht fünf Minuten. Aber die Szenen sind sehr, sehr stark, man spürt, dass etwas sehr, sehr gewalttätiges passiert, aber im Vergleich zu anderen Mafiafilmen ist der Verlust an Menschenleben aber gering. Was den KGB oder den FSB betrifft, so gibt es in jedem Land ähnliche Geheimdienste. Was wir zeigen, ist auch diese besondere, fast archaische Form des Kapitalismus, der von Russland her kommt. Die Hauptfigur, den russischen Agenten haben wir als Helden aufgebaut. Präsident Putin wird diesen Film lieben."
Die Stars und Sternchen laufen dieses Jahr über einen wirklich roten Teppich. In den letzten Jahren war er noch blau. Mit dem Ehrenpreis der Stadt San Sebastian für ihr Lebenswerk werden die schwedische Schauspielerin Liv Ullman und der Hollywood Star Richard Gear am Sonntag ausgezeichnet. Das Filmfestival in San Sebastian begann vor 55 Jahren als glamouröses Aushängeschild des Franco-Regimes. Das liegt lange zurück. Für Festivaldirektor Mikel Olaziregui ist San Sebastian heute das Kleinste unter den Größten:
"Heute ist San Sebastian auf den Autorenfilm spezialisiert, ein Festival, das die Filme wichtiger nimmt als die Stars. Das ist entscheidend, die Stars sind natürlich auch wichtig und dieses Jahr zum 55. kommen ja auch wirklich einige Stars. Charakteristisch für San Sebastian ist noch etwas anderes: Schon wegen der gemeinsamen Sprache ist unser Festival für den lateinamerikanischen Film der Eintritt in den internationalen Markt."
Viele lateinamerikanische Filmemacher greifen die unbewältigte Vergangenheit des Subkontinentes auf, so erzählt "Matar a todos" (Alle umbringen!) eine Koproduktion aus Chile, Argentinien und Uruguay, wie die Aufdeckung der Verbrechen der Militärdiktatur gerade in diesen Ländern verhindert wird. Auch in anderen Wettbewerbsfilmen kommen auf ganz unterschiedliche Weise die drängenden politischen und sozialen Fragen unserer Zeit zur Sprache.

So karikiert der deutsche Beitrag "Free Rainer – Dein Fernseher lügt" von Hans Weingartner die immer einflussreichere Scheinwirklichkeit des kommerziellen Fernsehens, und die junge iranische Regisseurin Hanna Makhmalbaf erzählt Frauenschicksale unter dem Taliban Regime.

Nick Broomfield zeigt einen Film über das Vergeltungsmassaker, das amerikanische Marines 2005 im irakischen Dorfes Haditha anrichteten, der britische Regisseur hat sich stark von theatralischen Mitteln des Spielfilms entfernt und setzt auf die Darstellungskraft der Laien:
"Ich komme aus einer Tradition der Wirklichkeit, des Dokumentarfilms. Und das ist eine ganz andere Art zu arbeiten. Und ich sehe eigentlich immer mehr, Schauspieler sind immer nur Schauspieler, du arbeitest mit ihnen, weil sie spielen, aber wirkliche Menschen haben eine Kraft, die ein Schauspieler niemals haben kann, weil sie nicht diese Gefühlsdichte haben."

Spanien wird dieses Jahr im Wettbewerb von zwei jungen Filmemacherinnen vertreten. Die 40-jährige Schauspielerin und Regisseurin Iciar Bollaín erzählt in ihrem vierten Film "Mataharis" von vier jungen Privatdetektivinnen in Madrid. Was sich zunächst wie eine Genregeschichte anhört, ist ein sehr persönliches, fast dokumentarisches Drama über Arbeit, Freundschaft und den Blick in die Geheimnisse der Anderen. Regisseurinnen im spanischen Film sind heute eine Selbstverständlichkeit. Das war nicht immer so:
"Die 40 Jahre Franco-Diktatur, das war ein sehr patriachaliches Systems, in dem Frauen ohnehin keine Chancen hatten. Der Film an sich galt immer als eine Sache für Abenteurer, die Künstler hatten generell einen schlechten Ruf und die Filmkünstler noch mehr und weibliche Filmkünstler gab es eigentlich nicht – wenn dann nur als Schauspielerin oder Sängerin. Frauen durften ja noch nicht einmal ein Bankkonto eröffnen, was sollten sie da Filme machen. Ich habe die wenigen Regisseurinnen, die es gab, immer sehr bewundert, wie sie sich in einer solchen Machowelt behauptet haben. Aber heute ist das anders, jetzt gibt es ungefähr dreißig Filmemacherinnen. Im Film ist es wie in anderen Bereichen der spanischen Gesellschaft, die Frauen stellen den Nachwuchs."
Aber auch die alten Meister sind mit neuen Werken vertreten. Einer der vielseitigsten Regisseure des spanischen Films, der 75-jährige Carlos Sauras stellt sein neustes Projekt vor. "Fados" ist nach seinen zahlreichen Filmen über den Flamenco und seiner Exkursion in den Tango ein vielschichtiges Porträt der musikalischen Kultur des Nachbarlandes.