Ein Fels für die Ewigkeit

Von Alexander Budde · 22.06.2011
Heute und morgen soll es im Europaparlament auch um die Atommüll-Richtlinie gehen, die Energie-Kommissar Günther Oettinger im vergangenen Herbst vorgelegt hat. Darin werden die EU-Staaten aufgefordert, zeitnah Konzepte zur Endlagerung ihres Atommülls auszuarbeiten. In Schweden sind die Pläne zum Bau des ersten Endlagers bereits weit vorangeschritten. Der Bauantrag ist gestellt.
Bis 2020 soll die Deponie fertig sein und von da an erste Kapseln mit strahlendem Müll aufnehmen. Zwar hat die Katastrophe in Fukushima auch im atomfreundlichen Schweden das Vertrauen in die Technik erschüttert. Doch Proteste gegen Kernenergie wie in Deutschland gibt es im Norden nicht. Auch in der Umgebung der geplanten Endlager hält sich die Widerstand in Grenzen. Im Gegenteil: Manch einer hofft dort auf neue Arbeitsplätze.

Jacob Spangenberg genießt das Wochenende im Garten vor seinem rot leuchtenden Sommerhaus. Auf dem hölzernen Klapptisch neben den Gartenstühlen lockt ein Möhrenkuchen mit Zuckerguss. Der hoch gewachsene Endfünfziger mit Halbglatze und ergrautem Bart mustert den Besucher durch seine randlose Brille, eine dampfende Tasse Kaffee vor der Nase.

Dass hochgiftiger Strahlenmüll unter seinen Füßen begraben werden soll, scheint den Bürgermeister von Östhammar nicht zu beunruhigen. Mitte März stellte die private Entsorgungsfirma SKB bei den Aufsichtsbehörden den Antrag zum Bau eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle. Es soll bis 2020 am langjährigen Atomstandort Forsmark entstehen. Der liegt auf einer Landzunge, die in die Ostsee ragt. Nur 20 Kilometer entfernt von Spange nbergs Gartenidyll. Es gibt Länder, da stehen die Lokalpolitiker an der Spitze gewaltiger Protestbewegungen.

Jacob Spangenberg: "Ich freue mich über den Zuschlag. Das Projekt wird neues Interesse an Östhammar wecken. Viele werden sich hier niederlassen und in die Zukunft investieren. Wir werden die Entwicklung aber auch weiterhin kritisch begleiten. Wie viele Arbeitsplätze bringen uns Bau und Betrieb der Anlage? Wie groß ist die Gefahr, dass Radioaktivität frei wird? In welchem Umfang leidet die Natur? Das sind Fragen, die uns bewegen."

Die Kleinstadt Östhammar liegt rund zwei Autostunden nördlich der Hauptstadt Stockholm an der Ostküste des Landes. Die 23.000 Einwohner der gleichnamigen Gemeinde leben seit Jahrzehnten von und mit der Kernenergie. Der Stromversorger Vattenfall betreibt hier seit 1980 das AKW Forsmark mit seinen drei Siedewasserreaktoren. In den letzten Jahren haben die Meiler vor allem Pannen, Zwischenfälle und Skandale produziert. Bürgermeister Spangenberg spricht jedoch lieber über den vertrauensvollen Umgang, den er mit dem Betreiber pflege.

Jacob Spangenberg: "In Forsmark arbeiten 1300 Menschen. Das Werk hat eine große Bedeutung für unsere Wirtschaft. Als Zentrum der Hochtechnologie locken wir Facharbeiter und Akademiker an. In Umfragen sprechen sich zwischen 70 und 80 Prozent unserer Einwohner für den Bau des Endlagers aus. Das Vertrauen in den Staat und seine Behörden ist hier in Schweden viel größer als in anderen Ländern. Ich vertraue auch darauf, dass die Industrie mit offenen Karten spielt. Denn am Ende werden wir als Gemeinde das letzte Wort haben. Wir fordern die beste verfügbare Technik. Wenn uns die Experten nicht überzeugen, dann legen wir uns quer. Dann müssen wir hier in Schweden mit der Standortsuche von vorn beginnen."

Im Werbefilm sieht alles ganz einfach aus: Eingeschweißt in bis zu 25 Tonnen schwere Kupferkapseln und von einem Bentonitpuffer als zusätzliche Barriere umhüllt, will sollen die verbrauchten Brennelemente 500 Meter tief im Urgestein gebunkert werden. Mindestens 100.000 Jahre müssen sie dort im Untergrund ruhen. Oben auf der Erde wird das Leben weitergehen. Es wird Eiszeiten geben und Dürreperioden. Terror und Krieg. Politische Wirren.

Saida Laârouchi Engström, Abteilungsleiterin beim Entsorgungsunternehmen SKB, vor 30 Jahren aus Marokko eingewandert, residiert in einem eleganten Büro im siebten Stock der Stockholmer Firmenzentrale. Die private Atomfirma gehört den Energiekonzernen. Die wichtigsten Eigner sind E.ON und Vattenfall, die in Schweden für den Bau neuer Reaktoren werben. Das bedeutet, in Schweden organisieren die Verursacher die Entsorgung in eigener Regie. Sie wählen die Standorte, erforschen die Methoden, bauen und betreiben die Depots.

Anders als in Deutschland mischen sich die Behörden bis zum abschließenden Bescheid über den Bauantrag kaum ein. Die Verursacher sind in der Pflicht, so stellt Laârouchi Engström die Ausgangslage dar. Sie lotst den Gast auf ein graues Sofa, das neben ihrem aufgeräumten Schreibtisch steht, und zieht einen Stapel mit Hochglanzbroschüren aus dem Regal. Tabellen, Messwerte, Schaubilder. Auch die Expertin versichert, dass alle nur denkbaren Szenarien in Erwägung gezogen werden.

Saida Laârouchi Engström: "Unser Antrag ist die Frucht von 30 Jahren Arbeit. Wir haben überall im Land nach einem Stan dort gesucht. In Forsmark haben wir eine Gemeinde gefunden, die unser Projekt befürwortet. Auch die Geologie dort ist besonders gut geeignet. Der Granitfels ist trocken, es gibt kaum Risse und Spalten."

Bis zu 12.000 Tonnen hochgiftigen Atommülls werden die schwedischen Reaktoren bei einer geplanten Betriebsdauer von 60 Jahren produzieren. Bisher verwahrt SKB verbrauchte Brennstäbe in einem Zwischenlager beim Atomkraftwerk Oskarshamn auf. Zur Kühlung lagern sie in Wasserbecken. Doch das ist riskant.

Ab 2020 soll das Endlager die ersten der rund 6000 benötigten Kupferkapseln aufnehmen. Schweden und der Nachbar Finnland, wo am Standort Olkiluoto auf einer Halbinsel in der Ostsee bereits an einer Deponie gebaut wird, wären dann weltweit die ersten Länder mit einem Endlager für hoch-radioaktiven Atommüll. Als Vorbild dient eine Versuchsanlage, die SKB am rund 250 Kilometer südlich von Stockholm gelegenen Atomstandort Oskarshamn betreibt.

Wasser rinnt über den schwarzen Fels, in der Ferne brummt ein Dieselmotor. Tief im Urgestein unter Oskarshamn führt SKB-Sprecherin Jenny Rees durch einen spiralförmig gewundenen Tunnel mit gewaltigen Katakomben.

Jenny Rees: "Hier unten simulieren wir die Bedingungen eines Endlagers. Es ist ein sehr alter Fels, fast zwei Milliarden Jahre alt. 100.000 Jahre müssten wir die gefährlichen Spaltprodukte sicher verwahren. Für die Menschheit ist das eine extrem lange Zeit. Wir sprechen von 4000 Generationen. Aber geologisch betrachtet ist es doch nur ein kurzer Augenblick."

Im drei Kilometer langen Versuchsstollen von Äspö mit seinen zahlreichen Verzweigungen wird seit 1995 getestet, wie sich unbefüllte Kupfer-Behälter im Granit verhalten. Praktische Simulation, garantiert ohne Restrisiko.

Jenny Rees: "Hier haben wir ein Loch in den Stollen gebohrt. Die Kupferkapsel liegt darin. Der Zwischenraum zur Felswand wurde mit Bentonit verfüllt. Dieses tonähnliche Material quillt auf, wenn es mit Wasser in Berührung kommt. In diesem Zustand ist es eine weitere Barriere für eventuell frei werdende radioaktive Schadstoffe. Bei diesem Experiment erforschen wir, wie sich ein winziges Leck in der Kapsel auswirken würde."

Die Deponierungsmaschine ist ein Unikat aus Deutschland. Jenny Rees schaut zu, wie sich Techniker Toni Andersson müht, das 75 Tonnen schwere Ungetüm mit Feingefühl zu steuern. Solche Gerätschaften könnten einmal die eingekapselten Brennstäbe in ihre in den Fels gebohrten Granitgräber versenken. Und bei Bedarf wieder ans Licht ziehen, sollten eines Tages unerwartete Komplikationen eintreten oder ungeahnte Techniken zur Wiederverwertung des Brennstoffs zur Verfügung stehen.

Jenny Rees: "Nirgendwo auf der Welt gibt es bislang eine vergleichbare nukleare Mülldeponie. Wir müssen alle Anlagen und Methoden selbst entwickeln."
Ein Brunnen plätschert vor dem Lift hinauf zur Freiheit. Jenny Rees füllt Urzeitwasser in eine winzige Flasche mit dem SKB-Logo ab. Ein beliebtes Souvenir für Besucher. 10.000 kamen allein im vergangenen Jahr.

Jenny Rees: "Ich denke, ein Grund, warum wir keine Proteste hier in Schweden haben, ist, dass wir so offen sind. Wir betreiben unsere Forschung nicht hinter verschlossenen Türen. Alle sind eingeladen, sich mit eigenen Augen anzusehen, was wir hier unten treiben."

Doch so sicher wie die sorgsame Inszenierung glauben macht, ist die Methode nicht, fürchten Kernkraft-Gegner wie Tarja Hartikainen. Vor drei Jahrzehnten malte sie Protestplakate gegen die Atomanlagen, sammelte Unterschriften für den Volksentscheid zum Atom-Ausstieg.

Sie fuhr auch einmal neugierig in den Stollen von Äspö ein, erzählt sie. Stirnrunzelnd und wenig überzeugt kam sie zurück ans Tageslicht. Als die Volkskampagne gegen Kernkraft unlängst zu einer überschaubaren Protestkundgebung in Stockholm mobilisierte, da war Tarja Hartikainen natürlich auch dabei.

Tarja Hartikainen: "Atomenergie bedeutet tödliche Strahlung. Wir wollen sie nicht. In Schweden haben wir vielleicht keine Erdbeben. Aber menschliches Versagen können auch wir nicht ausschließen. Die Kernspaltung ist nicht beherrschbar. Und hochgiftiges Material über 100.000 Jahre sicher zu verwahren, ist schlicht nicht möglich."

Zwar decken die Schweden rund die Hälfte ihres Bedarfs mit Öko-Strom aus Wasserkraft. In jüngster Zeit wurden auch einige Windparks gebaut. Aber zehn Altmeiler an den Standorten Forsmark und Oskarshamn sowie Ringhals an der Westküste erzeugen mehr als 40 Prozent der im Lande verbrauchten elektrischen Energie. Die konservative Regierung hatte den langjährigen Konsens zum Atomausstieg 2009 gekippt. Seither werden die schwedischen Reaktoren massiv aufgerüstet. Laufzeitverlängerungen von 20 bis 30 Jahren sind geplant.

Die Katastrophe in Japan hat auch im atomfreundlichen Schweden das Vertrauen in die Technik erschüttert. Zahlreiche Umweltverbände und die schwedischen Grünen kritisieren den Bauantrag für das weltweit erste Endlager als verfrüht. In der wissenschaftlichen Zeitschrift "Catalysis Letter" hat eine internationale Forschergruppe eigene Studien präsentiert.

Sie legen nahe, dass sich Kupfer ohne Beisein von Sauerstoff im Grundwasser auflöst. Das Edelmetall sei folglich kaum geeignet, um hochgiftiges Spaltmaterial für alle Ewigkeit sicher zu verwahren, warnt Peter Szakálos. Er ist Materialforscher an der Königlich-Technischen Hochschule in Stockholm.

Peter Szakálos: "Kupfer reagiert mit Chloriden und Sulfiden, aber auch mit dem Wassermolekül an sich. In unseren Experimenten können wir zeigen, dass die Korrosion 1.000 oder gar 10.000 Mal schneller abläuft, als SKB in ihrer sogenannten Sicherheitsanalyse angibt."

Am 10. August 1628 versank die "Vasa" auf ihrer Jungfernfahrt. Drei Jahrhunderte lag das königliche Flaggschiff im Schlamm des Stockholmer Hafens, bis es mit Echolot und Bleisonde aufgespürt und mit großem Aufwand zurück an die Oberfläche geholt wurde. Archäologen bargen im Schiffsinneren und rund um den Fundort hunderte Kupfermünzen, deutlich angenagt vom Zahn der Zeit. Für Peter Szakálos sind die Münzen nicht nur von historischem Interesse.

Sie sind Kronzeugen für einen lange gehegten Verdacht: Dass die schwedische Methode zur Endlagerung von Atommüll nicht sicher ist. Nach Ansicht der Forscher herrschten am Fundort der "Vasa" Bedingungen, wie man sie auch im geplanten Endlager vorfinden würde. In ihrer Studie verweisen sie zudem auf Langzeitversuche mit Kupferproben sowie theoretische Berechnungen.

Peter Szakálos: "Die Münzen lagen im sauerstofffreien Sediment. Gleichwohl wurde das Metall stark angegriffen. Wenn man sich allein auf Kupfer verlassen wollte, dann müsste der Mantel der Kupferkapsel einen Meter dick sein, um einen Zeitraum von 100.000 Jahren zu überstehen. Zumal die Korrosion in der ersten Phase wegen der hohen Temperaturen durch die Strahlung noch zusätzlich befördert wird."

Das Entsorgungsunternehmen SKB weist die Kritik als Einzelmeinung zurück. In eigenen Laborversuchen sei es nicht gelungen, die behauptete Kupferkorrosion nachzuweisen. Die SKB-Eigner sind gesetzlich verpflichtet, ein Konzept zur sicheren Endlagerung ihres Atommülls zu entwickeln.

Der Bau des Depots wird durch einen staatlich verwalteten Rücklagenfonds finanziert. Aus dem Fonds werden aber auch Forschungsprojekte finanziert, die SKB in Auftrag gibt. Mikael Karlsson, Vorsitzender des schwedischen Naturschutzbundes, spricht von einem Skandal:

"Die Industrie wollte zeigen, dass sie den Atommüll entsorgen kann. Sie hat sich früh festgelegt und auch später jeglichen Zweifel ignoriert. Dabei wird die Kritik der Forscher immer lauter, die Kupferkapsel rostet. Wir haben auch Zweifel, ob der Standort klug gewählt ist. Es ist kein Zufall, dass die Anlage in Forsmark gebaut werden soll, wo es bereits ein AKW gibt und ein Teil der Bevölkerung in der Branche arbeitet. Der Bauantrag für das Endlager kommt zu früh. Wir brauchen dringend mehr unabhängige Forschung in diesem Bereich."

7000 dicht bedruckte Seiten umfasst der Bauantrag der Atomfirma SKB.
Ihre Wissenschaftler haben mit Mikrofonen und seismischen Geräten ins Gestein gelauscht, die Temperatur und die chemische Zusammensetzung des Grundwassers gemessen, nach unterirdischen Mikroben gefahndet.

Unter der Woche ist Arno Unge verzweifelt bemüht, diese hochkomplexe Datenflut in seinem Kopf zu ordnen. Doch an diesem sonnigen Nachmittag sitzt der Anti-Atom-Veteran in der kleinen Marina von Östhammar, schaut einer Meute von Möwen zu, die sich um einen Fisch balgen. Und den Freizeit-Skippern, die ihre Boote auftakeln.

Die Pläne sind nicht ausgereift, meint Unge. Gleichwohl sieht der Grüne sich und seine Mitbürger in der Pflicht. In Schweden werde der Atommüll produziert, dort müsse er auch beseitigt werden.