"Ein erhebliches Stück Kurskorrektur"

Moderation: Gabi Wuttke · 21.09.2013
Mit seinen jüngsten Äußerungen leite Papst Franziskus einen Reformprozess ein, der vergleichbar sei mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, sagt Alois Glück vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Franziskus sei ein "Wegbereiter der angstfreien Kommunikation" in der Kirche.
Gabi Wuttke: Papst Franziskus steht seinem eigenen Laden äußerst kritisch gegenüber. Die katholische Kirche gehört als Institution reformiert. Das hat er schon bei seinem Amtsantritt vor einem halben Jahr gesagt. Nun haben Jesuitenzeitungen seine Haltung zur Kirche, zu Frauen und Homosexuellen in die geballte Form eines Interviews gepackt. Darin lehnt er es ab, Schwule zu verurteilen, die Theologie der Frauen ist ihm wichtig – sie sollen wichtige Entscheidungen treffen dürfen, und die Kirche ein Gleichgewicht finden, das sie berechtigt, eine moralische Anstalt und kein machtbesessener Klüngelklub zu sein.

Bevor am Montag die Deutsche Bischofskonferenz tagt, um auch über diese Ansage aus dem Vatikan zu reden, ist Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitee der Katholiken am Telefon. Einen schönen guten Morgen!

Alois Glück: Einen guten Morgen!

Wuttke: Erwarten Sie von den Bischöfen, von Ihren Bischöfen, dass sie am Ende der Herbstvollversammlung mehr als ein Loblied auf Papst Franziskus anstimmen?

Glück: Es geht ja nicht darum, jetzt zu sagen, erstens, zweitens, drittens, viertens. Aber das sind natürlich Richtungsbestimmungen. Dieser Papst setzt gewissermaßen in der Tradition von Jesus nicht das Gesetz und die Regel an die erste Stelle, sondern die Zuwendung zu den Menschen und die Liebe Gottes zu den Menschen. Kirche wird jetzt in hohem Maße von vielen Menschen ja wahrgenommen als primär eine moralische Instanz, die mit moralischem Zeigefinger durch die Welt geht. Und das hat natürlich eine starke Auswirkung nach innen, die allerdings, und auch das betont der Papst in diesen Interviews und in diesem Gespräch, dass Entscheidungen, Änderungen auch entsprechend wachsen und vorbereitet werden müssen. Und ich verstehe dies so, mit diesen Aussagen, dass damit ein Veränderungsprozess vorbereitet wird, so wie damals Johannes XXIII. dann das Konzil eingeleitet hat und damit wesentliche Veränderungen in der Kirche.

Wuttke: Kämpft Papst Franziskus nicht erst um die, wie Sie sagen, starke Auswirkung nach innen? Der Kölner Kardinal Meisner hat das Papst-Interview mit den Worten kommentiert, zwar müsse das Gespräch noch aufmerksam verarbeitet werden, doch das kann man auch als Abwiegelung verstehen.

Glück: Ja, natürlich gibt es da nicht von vornherein und allgemein breite Zustimmung, denn das ist ja natürlich schon ein erhebliches Stück Kurskorrektur. Und es braucht auch Verarbeitung, es braucht Auseinandersetzung damit. Und das ist ja auch ganz wichtig, und ich schätze es auch sehr, dass der Papst nicht gewissermaßen von oben her etwas verordnet, sondern dass er uns herausfordert, einen anderen Blick einzunehmen. Etwa in Richtung der Armen oder dass es primär gilt, Menschen, die verwundet sind, die vielleicht Brüche in ihrem Leben haben, anzunehmen, ernst zu nehmen, aufzunehmen und nicht immer wieder auszugrenzen.

Das gibt innerhalb der Kirche und vor allen Dingen dort, wo es primär vielleicht jetzt auch andere Prägungen und Strömungen gab, natürlich auch zunächst vielleicht Irritation. Das wird zu Auseinandersetzungen führen, auch zu Spannungen, aber es gibt keine Veränderung ohne Spannung und ohne geistige Auseinandersetzung. Und in diesem Sinne ist dieser Papst eine ganz große Herausforderung. Das ist kein Bequemer, das ist auch nicht ein oberflächlich liberaler Mann, der alles in Frage stellt. Nein, er hat nicht das Gesetz in Frage gestellt, aber will die Regeln mit anderen Inhalten füllen.

Wuttke: Das, was Sie wollen, ist, dass die Deutsche Bischofskonferenz, auch sie, sich mit den Worten von Papst Franziskus auseinandersetzt, um die Botschaft zu lernen, dass sie bescheiden auftreten müssen?

Glück: Ja. Weiter auf dem Weg einer hörenden Kirche, einer den Menschen dienenden Kirche. Und das bedeutet natürlich auch in einem erheblichen Umfang eine Veränderung der inneren Kultur. Natürlich soll, muss auch die Kirche in Deutschland vermehrt diesen Weg gehen.

Wuttke: Das heißt, um die innere Kultur ist es auch in der Deutschen Bischofskonferenz nicht bestellt – Sie begrüßen den Weg, den Papst Franziskus jetzt vorgibt?

Glück: Ja, es geht mir nicht um eine Bewertung der Deutschen Bischofskonferenz, aber die Situation in der Kirche insgesamt braucht eine innere Veränderung auch in Richtung andere Gesprächskultur. Papst Franziskus spricht sich deutlich gegen immer wieder vorhandene Strömungen der Ausgrenzung aus, weil Menschen angeblich da nicht rechtgläubig sind. Papst Franziskus ist ein Wegbereiter der angstfreien Kommunikation in unserer Kirche. Und das ist unendlich wichtig, weil nur daraus eine neue Lebendigkeit und dann auch eine neue Anziehungskraft entstehen kann, wobei Kirche nie Selbstzweck ist. Auch das betont der Papst immer wieder, sondern als Dienst für die Menschen da ist. Wir haben in Deutschland eine gute Entwicklung in den letzten zwei, drei Jahren, aber da sind auch noch erhebliche Weiterentwicklungen und Veränderungen notwendig.

Wuttke: An wen gerichtet meinen Sie angstfreie Kommunikation? In der Richtung der Gläubigen hin zu ihren Hirten oder von den Hirten hin zum Vatikan?

Glück: Eigentlich in jeder Beziehung, in der einen wie in der anderen. In der Vergangenheit hat man oft sehr ängstlich vonseiten der Hirten nach Rom geschaut, was erlaubt wird oder wie man dort gleich reagieren wird. Aber es gilt auch für unsere innerkirchliche Kommunikation, und da sind nicht nur die Hirten gemeint, sondern dort auch diejenigen, die glauben, genau zu wissen, was richtig katholisch ist uns so fort, andere Wege des Glaubens und der Frömmigkeit ausgrenzen und ausgegrenzt haben. Aber auch das Traditionelle muss weiter in der Kirche Platz haben, aber die Kirche sollte ein Beispiel sein für gute Gesprächskultur, auch, wo es notwendig ist, für eine gute Streitkultur. Und da sind wir verbesserungsbedürftig.

Wuttke: Also Sie sprechen nicht so sehr von Mut, als dass man tatsächlich innerhalb der Institution den Widerstand lassen soll im Sinne der Botschaft von Papst Franziskus?

Glück: Ich spreche oder wünsche eine neue Offenheit ganz im Sinne, wie sie der Papst lebt, wie er die Signale setzt und wie er bislang oft tabuisierte und verdrängte Themen auch ganz offen anspricht und damit den Weg bereitet für eine andere Qualität der Beratung darüber und des Zugangs zu den Menschen.

Wuttke: Das heißt aber auch, was die Theologie anbelangt, wird alles beim Alten bleiben, oder was versprechen Sie sich von einem Konzil?

Glück: Es geht nicht immer grundsätzlich um eine Neuorientierung der Theologie, aber es geht natürlich auch um Veränderungen in so drängenden Fragen wie die Situation von geschiedenen und wiederverheirateten Menschen in unserer Kirche, die weiter in unserer Kirche voll mitleben möchten. Es geht um die Zukunft etwa der konfessionsverschiedenen Ehe. Es geht um die Fragen der Barmherzigkeit und der Zuwendung zu Menschen, die in Grenzsituationen des Menschen, des Lebens sind oder Brüche erlebt haben. Eben um eine Kirche, die ganz den Menschen dient und den Menschen zugewendet ist und nicht um sich selbst kreist und um ihre Selbstdarstellung.

Wuttke: Aber hoffen Sie da nicht zu viel? Denn wenn die Grundwerte von Papst Franziskus, so wie er auch in Buenos Aires gewirkt hat, erhalten bleiben, dann geht es doch jetzt nur darum, die Überheblichkeit – mal ganz salopp zu sagen – aus der Kommunikation herauszunehmen, aber ansonsten die Grundwerte beim Alten zu belassen.

Glück: Ja, die Grundwerte wohl. Die Grundwerte des Glaubens brauchen nicht verändert zu werden, aber sie müssen neu mit Substanz gelebt werden. Und das ist natürlich auch immer wieder eine große Herausforderung, weil es immer nur in Grenzen gelingen wird. Aber es geht nicht um eine vordergründige Modernisierung, auch nicht um eine schöne Fassade von Barmherzigkeit, sondern da geht es schon um die innere Substanz.

Wuttke: Sagt Alois Glück, der Präsident des Zentralrats der Katholiken im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur. Herr Glück, besten Dank!

Glück: Ich danke auch!

Wuttke: Schönes Wochenende!

Glück: Auf Wiederhören!

Wuttke: Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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