"Ein erfolgreiches Integrationsprojekt"

Andreas Hasenclever im Gespräch mit Marianne Allweiss · 12.10.2012
Die EU sei ein würdiger Friedensnobelpreisträger, sagt Andreas Hasenclever, Professor für Friedensforschung an der Universität Tübingen. Sie habe gezeigt, dass die Überwindung von Krieg und Nationalismus durch Demokratie, Rechtstaatlichkeit und auch Marktwirtschaft möglich sei.
Marianne Allweiss: Der Friedensnobelpreis ist die weltweit erste Auszeichnung für die Arbeit in der Friedensbewegung und auch die wichtigste – das wird immer wieder gesagt. Aber stimmt das über hundert Jahre nach seiner Stiftung überhaupt noch? Darüber will ich mit Andreas Hasenclever sprechen. Er ist Professor für Friedensforschung und internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen. Hallo!

Andreas Hasenclever: Hallo!

Allweiss: Herr Hasenclever, bleiben wir aber zuerst mal im Jahr 2012.

Hasenclever: Ja.

Allweiss: Die Europäische Union bekommt den Friedensnobelpreis. In den Statuten, da heißt es, dass derjenige den Preis bekommt, der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt hat und im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht hat. Ist die Europäische Union also ein würdiger, ein konsequenter Preisträger?

Hasenclever: Also ich halte die Europäische Union schon für einen würdigen Preisträger, weil es geht jetzt ja nicht nur darum, was die Europäische Union im letzten Jahr konkret gemacht hat, sondern was sie darstellt in der Welt. Und ich denke, aus der Perspektive betrachtet – und das klang ja im vergangenen Beitrag auch schon an –, hat die EU Bemerkenswertes geleistet. Sie gilt als Integrationsprojekt, sie gilt als erfolgreiches Integrationsprojekt, und sie hat gezeigt, dass die Überwindung von Krieg und Nationalismus durch Demokratie, Rechtstaatlichkeit und auch Marktwirtschaft möglich ist. Und vor dem Hintergrund, denke ich, ist der Preis auf alle Fälle verdient.

Wo man vielleicht noch mal nachlegen müsste und auch überlegen müsste, wäre, wie die EU nach außen wirkt. Und hier, denke ich, wird der Preis auch eine Art von Kriterium anlegen an das Außenverhalten der EU, wo man dann auch sehr kritisch sehen kann, ob diese Erfolge des Projektes nach innen nicht durchaus auch nach außen zu Destabilisierung und Unfrieden führen können. Also ich denke an die europäischen Fangflotten vor Westafrika oder eben auch vor der somalischen Küste.

Allweiss: Denkt man an die Preisträger der vergangenen Jahre, so waren die vielleicht nicht immer wirklich die beste Wahl. Die drei Frauen vom letzten Jahr, eine Jemenitin und zwei Liberianerinnen – die beiden sind heute zerstritten –, oder eben 2009 auch US-Präsident Barack Obama, der vielleicht ja vor seinem Amtsantritt mehr erreicht hat als in seiner Amtszeit. Kann der Friedensnobelpreis überhaupt noch Frieden stiften, wenn man sich diese Preisträger anschaut?

Hasenclever: Das ist eine ganz schwierige Frage. Also ich denke, es ist ja schon sehr bemerkenswert, wie viel wirklich herausragende Persönlichkeiten denn der Friedensnobelpreis für unstrittige Verdienste bereits bekommen haben. Also denken Sie an Nelson Mandela oder Rigoberta Menchu oder Aung San Suu Kyi oder Gorbatschow und Dalai Lama und Desmond Tutu und wer auch immer noch dazugehört. Da muss man dann relativieren die Personen, wo es möglicherweise unglücklicher gewesen war, dass sie zu Friedensnobelpreisträgern gemacht worden sind – also Henry Kissinger, Arafat könnte man sich auch noch fragen, ob es sinnvoll war, Rabin, Peres und eben jetzt auch Barack Obama.

Aber im Großen und Ganzen, denke ich, hat der Friedensnobelpreis eine ganz wichtige Funktion in der internationalen Debatte um den Frieden, wobei völlig klar ist, dass er jetzt selbst nicht Frieden stiften kann, darüber müssen wir, glaube ich, jetzt nicht diskutieren. Er kann nicht Frieden stiften, er kann Friedensprozesse unterstützen, und ich denke, er kann das in drei Dimensionen machen.

Er hat eine unglaublich hohe Thematisierungsmacht, er kann Probleme auf die internationale Agenda rücken – denken Sie eben an Desmond Tutu oder an den Preis für Aung San Suu Kyi. Er kann Wege zum Frieden aufzeigen – ich denke, das ist das, was im Augenblick auch über den Friedensnobelpreis für die EU erreicht worden war. Das wurde erreicht durch die Dokumentation der erfolgreichen Verhandlungen um das Ende der Apartheid zwischen Nelson Mandela und Frederik de Klerk, die auch einen Friedensnobelpreis bekommen haben, oder auch durch die Auszeichnung der Ostpolitik von Willy Brandt. Und schließlich kann der Friedensnobelpreis nachhaltig unser Friedensverständnis beeinflussen. Es haben ja auch Akteure den Preis bekommen, die darum gekämpft haben, dass zum Beispiel die Ökonomie, die Bekämpfung von Armut stärker berücksichtigt werden soll, wenn es um eine friedlichere Welt geht. Es hat einen Friedensnobelpreis für den Weltklimarat gegeben und ähnliche Dinge mehr, wo wir sehen können, der Preis hat dazu beigetragen, unser Friedensverständnis zu verändern. Und von daher denke ich, die Skandalisierungsmacht des Preises unbestritten ist eine visionäre Macht, wie kann es gehen, ist unbestritten, und auch die Definitionsmacht, was ist überhaupt Frieden, ist aus meiner Sicht unbestritten.

Allweiss: Armut haben Sie gerade angesprochen, Umweltschutz auch, Menschenrechte, Frauenrechte vergangenes Jahr, wofür wünschen Sie sich den nächsten Friedensnobelpreis?

Hasenclever: Den nächsten Nobelpreis würde ich mir wünschen, das hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber ich würde ihn mir mal wünschen für Journalisten. Also ich denke mal, so eine Organisation wie "Reporter ohne Grenzen" könnte durchaus auch einmal ausgezeichnet werden für ihre Arbeit an der Dokumentation von politischen Katastrophen, aber auch für ihre Arbeit an dem Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten.

Allweiss: Das sagt Andreas Hasenclever, Professor für Friedensforschung an der Universität Tübingen. Vielen Dank für das Gespräch!

Hasenclever: Bitte!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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