Ein Einstieg in die romantische Epoche

26.02.2013
Die Kulturwissenschaftlerin Simone Stölzel unternimmt mit ihrem Buch eine literarische Reise durch die dunkle Seele der Romantik. In der Ironie der romantischen Dichter entdeckt sie durchaus tröstliche Untertöne. Illustriert ist das Buch mit vielen Abbildungen aus der romantischen Malerei.
Nachtmahre, Albträume, Teufelsvisionen: die Bilder der deutschen Romantik sind ein Exportschlager. Was als Faszination des Grauens, als Lust am Abgründigen und Bösen in Gestalt von Serienmördern und Medusenhäuptern die Leinwände bevölkert, spiegelt sich auch in der Poesie der Zeit.

Eigentlich eine Erfindung der Literatur entstand die "schwarze Romantik" in Berliner und Jenaer Studierstuben, bei Pfarrerssöhnen oder Bergwerksassessoren wie Schelling, Tieck und Novalis, lange bevor sie ihren Siegeszug durch Europa antrat, lange bevor sie durch die Seelenheilkunde entdeckt und vermessen wurde.

Vom Versprechen der Aufklärung, dass das Wissen, die Vernunft allein den besseren Menschen hervorbringe, waren die Romantiker angesichts von Terror und Krieg gründlich desillusioniert. Mit den Schrecken der Realität trat das Unheimliche aus dem Inneren zutage, als die Kehrseite der Vernunft.
Davon erzählt die Kulturwissenschaftlerin Simone Stölzel in ihren "Nachtmeerfahrten". Den Titel lieh sie sich bei dem Schweizer Psychiatriebegründer C.G. Jung, der damit die Reise in die Tiefen des Unbewussten beschrieb, ganz so wie der altägyptische Sonnengott, der allabendlich aufbricht, um am Morgen verjüngt wiederaufzuerstehen. In der Ironie der romantischen Dichter entdeckt sie, bei aller Lust am Grauen, durchaus tröstliche Untertöne.
Wie in einem Lesebuch versammelt sie Auszüge aus Romanen und Erzählung von Klingemanns "Nachtwachen des Bonaventura" bis zu Alfred Kubins schauriger Apotheose auf eine menschenleere Welt, von Bram Stokers Dracula als dem Ahnherrn erotisch verbrämter Träume über Poes nekrophile Ekstasen bis zu Vampirparodien des letzten Jahrhunderts.

Ausflüge in die gothic novel, den Detektiv- und Kriminalroman oder zu Stanislaw Lems Science-Fiction-Epen, in den Stummfilm der 1920er-Jahre schärfen den Blick auch für andere Genres und Medien. Illustriert ist das Buch zudem mit vielen Abbildungen aus dem Kompendium romantischer Malerei.

Bei ihrer Auswahl lässt die Autorin die motivischen Höhepunkte romantischen Schreibens Revue passieren: kalte Herzen, Inzest, Doppelgänger; unheimliche Begegnungen mit Vampiren oder bösen Meistern, deren Einfluss man willenlos ausgeliefert ist, bis zu tödlichen Obsessionen und religiösem Wahn. Schatten werden verkauft wie von Chamissos "Schlemihl", Spiegelbilder treten aus dem Rahmen heraus, um auf- und davonzugehen oder blutige Augen präludieren den tödlichen Ausgang für den "Sandmann" E.T.A Hoffmanns. Von der Hochebene kanonischer Texte weicht die Autorin eher selten ab, was die augenfällige Verbindung zur trashigen Düsternis-Mode heute leider verstellt.
Anders als in einer Anthologie bettet Stölzel die Textauszüge in eine fortlaufende Erzählung über die Geschichte der Motive ein, versieht sie mit biographischen Details sowie mit knapp gefassten Interpretationen, womit das Buch auch zu einem Porträt der Zeit wird. Stölzel stützt sich auf ältere Forschungsergebnisse. Jüngere wie die Studie Elisabeth Bronfens über die Nacht als romantisches Motiv fehlen leider. Trotzdem eignet sich das Buch durchaus als Einstieg in die Epoche.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Simone Stölzel: Nachtmeerfahrten. Die dunkle Seite der Romantik
Andere Bibliothek, Berlin 2013
350 Seiten, 36,00 Euro

Links bei dradio.de:
Versöhnung von Romantik und Aufklärung
Jane Austen: "Gefühl und Vernunft", übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, Fischer Verlag

Thomas Mann, der Romantiker
Thomas Mann: "Mein Wunschkonzert", Der Hörverlag, München 2010, 1 CD, 57 Minuten

Neue Gesamtausgabe mit Benjamins Werken
Walter Benjamin: "Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik", Hrsg. von Uwe Steiner, Werke und Nachlaß, Kritische Gesamtausgabe, Band 3, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 398 Seiten

Kein radikaler Bruch mit der Aufklärung
Rüdiger Safranski: "Romantik. Eine deutsche Affäre", Hanser Verlag, München 2007. 416 Seiten