"Ein dreisteres Plagiat gibt es gar nicht"

Stefan Weber im Gespräch mit Gabi Wuttke · 17.02.2011
Der Medienwissenschaftler Stefan Weber sieht in der Doktorarbeit von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den Vorsatz für geistigen Diebstahl klar gegeben. Schon in der Einleitung ganze Passagen anderer Autoren zu verwenden, sei besonders dreist.
Gabi Wuttke: "Junge, nun mach mal endlich deinen Doktor. Das gehört sich so, gerade in unserer Familie." So könnte Enoch zu Guttenberg seinem Sohn Karl Theodor ins Gewissen geredet haben. Mit Erfolg, denn im vorvergangenen Jahr promovierte der CSU-Politiker mit summa cum laude. Nun wird dem Verteidigungsminister vorgeworfen, Teile seiner Doktorarbeit stillschweigend abgekupfert zu haben.

Fachmann für Plagiatsfälle in der Wissenschaft ist Dr. Stefan Weber von der Universität für angewandte Kunst (*) Wien. Guten Morgen, Herr Weber.

Stefan Weber: Guten Morgen!

Wuttke: Zu Guttenberg wehrt sich gegen den Vorwurf des Plagiats. Nach allem, was zu lesen war, zurecht oder zu Unrecht?

Weber: Er schwindelt einfach weiter, wenn er sagt, das ist kein Plagiat. Es gibt noch viel mehr Plagiatsstellen als die, die bereits entdeckt wurden. Ich habe erst gestern herausgefunden, dass selbst das Einleitungskapitel von Herrn Guttenberg wörtlich abgeschrieben wurde aus einem Artikel einer deutschen Tageszeitung. Ein dreisteres Plagiat gibt es gar nicht und der Fall ist eindeutig.

Wuttke: Wo ist denn die Grenze zwischen Schlamperei und Vorsatz?

Weber: Man kann den Vorsatz sehr gut identifizieren, gerade zum Beispiel an dieser Arbeit. Wenn der Autor in der Einleitung seine ersten Absätze bereits wörtlich übernimmt, wo er ja klar selbst texten muss, sonst handelt es sich um gar keine Dissertation, dann ist es ein eindeutiges Plagiat. Wenn ein Autor ein Kapitel überschreibt mit "Bewertung", und dann folgen mehrere Absätze, die wiederum wortwörtlich aus einem Schweizer Printmedium unzitiert übernommen wurden, dann ist die Grenze hier ganz klar gezogen.

Das ist ja nicht Schlamperei, sondern der Autor simuliert ja hier etwas, was er nicht hat, nämlich einen eigenen Text. Und da schreibt ja auch das Gesetz klar vor, dass eine Dissertation bedeutet, dass man sich eigenständig selbstständig mit einem wissenschaftlichen Thema auseinandersetzt.

Wuttke: Wie konnten Sie denn jetzt selbst so schnell noch weitere Stellen finden?

Weber: Ich habe einfach Seiten der Dissertation von Herrn Guttenberg, die im Netz verfügbar sind, bei einem Buchservice angeguckt und habe diese Stellen gefunden, indem man einfach – man soll es nicht glauben – den ersten Satz der Einleitung bei Herrn Guttenberg googelt, und schwups kommt man auf einen Artikel aus dem Jahr 1997, von dem er abgeschrieben hat.

Man wundert sich ja selbst, wie ist eigentlich so etwas möglich. Man fragt sich, wie gibt es denn das, warum kann man eigentlich so plump abschreiben. Nur das muss man den Herrn Guttenberg fragen.

Wuttke: Mit Ihren Recherchen haben Sie mehr Plagiatsfälle nachgewiesen, als letztlich zur Aberkennung eines akademischen Grades führten. Wie konnte die Mehrheit der von Ihnen Überführten eigentlich den Kopf aus der Schlinge ziehen?

Weber: Eben genau, indem Universitäten gesagt haben, dass die Plagiatsstellen zwar identifiziert wurden, aber nicht ausreichend sind für die Aberkennung eines Doktortitels. Ich habe über 80 Fälle in den letzten Jahren ins Rollen gebracht, davon gab es elf Aberkennungen. Das heißt aber jetzt nicht, dass nur jedes achte Plagiat zu einer Aberkennung führt. Das heißt auch, dass eben die übrigen rund 70 Arbeiten Plagiatsstellen zwar enthielten, aber zum Beispiel der Kern, der wissenschaftliche Kern der Arbeit plagiatsfrei war, oder man zumindest im wissenschaftlichen Kern der Arbeit keine Plagiatsstellen finden konnte, oder – und jetzt kommt wieder der entscheidende Punkt -, dass die Plagiatsstellen zwar vorzufinden waren, aber nicht jene Textteile betrafen, in denen der Autor selbst texten musste.

Das sind zum Beispiel Kapitel wie Schlussfolgerungen, persönliche Schlussfolgerungen, eigenes Resümee, Zwischenresümee etc. In solchen Textteilen darf keinesfalls plagiiert werden, und genau das hat Guttenberg getan.

Wuttke: Also für Sie steht fest, dass er seinen Doktortitel abgeben muss. Wie wichtig ist es denn in diesem Zusammenhang, dass es Doktorväter natürlich rasend peinlich sein muss, wenn sie selbst schlampig gearbeitet haben?

Weber: Ja, mehr noch. Der Doktorvater hat in Medien behauptet, das ist in Ordnung, die Arbeit ist nicht plagiiert. Da wundere ich mich sehr.

Wuttke: Natürlich verteidigt er damit sich selbst!

Weber: Das ist auch etwas, was fast ein Kampf in der Wissenschaft ist. Da gibt es zwei Lager. Das eine Lager, zu dem natürlich ich gehöre, sagt, wir müssen hier streng sein und wir müssen hier klare Richtlinien haben und das nicht verwässern, wir müssen uns an den Naturwissenschaften orientieren, was die Exaktheit anbelangt.

Das andere Lager, ich sage jetzt bitte etwas provokativ das postmoderne Lager, sagt, ein bisschen plagiieren ist nicht so schlimm, weil sozusagen in der Kunst und in der Literatur und so weiter passiert es ja auch ständig. Und die sagen dann, ein bisschen Bricolage-Technik und ein bisschen Abkupfern ist erlaubt. Na gut, aber es gibt Schlimmeres auf der Welt als einen abschreibenden Minister.

Wuttke: Von daher steht es, so wie Sie es erklärt haben, fifty-fifty, dass Guttenberg möglicherweise seinen Doktortitel eben doch behält?

Weber: Absolut! Ich habe in Österreich erst unlängst einen Fall gehabt – das soll man nicht glauben -, das war plagiiert sprichwörtlich von der ersten bis zur letzten Zeile. Da war sogar die Kurzfassung, das Abstract der eigenen Doktorarbeit – also wo, wenn nicht dort, soll der Autor selber, muss der Autor selber texten -, war schon das Abstract abgeschrieben, unzitiert. Das war penibel auf 17 Seiten von mir dokumentiert und der Autor konnte seinen Doktortitel behalten.

Wuttke: Wie das?

Weber: Der Erstbegutachter ist verstorben und der Zweitbegutachter hat noch so eine große Machtposition an der Universität, dass es in Ordnung war, dass er den Doktortitel behalten hat. Ich finde das auch ganz furchtbar und habe das der Universität auch so geschrieben.

Wuttke: Hilft Ihnen in solchen Fällen Ihr Humor?

Weber: Nein! Ich ärger mich! Aber paradoxerweise zeigen solche Entscheidungen von Universitäten auch, dass es eben Leute braucht wie mich oder in Deutschland auch den Volker Rieble oder die Debora Weber-Wulff, die auch aktiv gegen Plagiate kämpfen und sich damit auch sehr viele Feinde im System machen.

Wuttke: Ein engagierter Plagiatsaufdecker. In der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Stefan Weber aus Wien. Ich danke Ihnen sehr, schönen Tag.

Weber: Tschüß!

(*) Hinweis: An dieser Stelle weicht die schriftliche Fassung von der gesendeten ab.
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