Ein Cello als Lebensberater

26.04.2011
Ivan Coyote ist Kanadierin und hat bislang mehrere Erzählbände veröffentlicht. Ihr 2006 veröffentlichter Erstlingsroman "Bow Grip" erscheint erstmals auf Deutsch und trägt den Titel: "Als das Cello vom Himmel fiel".
Joey, Ich-Erzähler und Held des Romans, steckt in einer Lebenskrise. Seine Frau Allyson hat ihn vor einem Jahr einer Frau wegen verlassen. Und Joey, der schweigsame Automechaniker mit dem weichen Kern aus der kanadischen Provinz, versucht vergebens zu verstehen: Waren sie denn nicht glücklich? Aber wie kann es denn sein, dass er nicht mitbekommen hat, was Allyson (um)trieb? Nicht nur die unerwartete Liebe zu einer Frau: Sie hat auch ohne sein Wissen per Fernkurs einen Universitätsabschluss gemacht. Joey hat tiefe Zweifel an sich selbst, aber er redet nicht darüber und ist ziemlich genervt, dass seine Mutter, seine Schwester und sogar sein Arbeitskollege sich um ihn kümmern wollen.

Da fällt das Cello vom Himmel: Das heißt, es wird Joey im Tausch gegen einen Gebrauchtwagen angeboten. Was soll er damit? Da alle wollen, dass er sich ein Hobby zulegt: Warum nicht Cellospielen lernen?

Und damit öffnen sich ganz neue Wege. Joey beginnt ganz langsam, sich wieder für die Welt und für andere Menschen zu interessieren. Da ist der merkwürdige Vorbesitzer des Cellos und Käufer des Gebrauchtwagens, der spurlos verschwindet. Da ist der verwitwete alte Mann, den er in einem Motel in Calgary kennenlernt, da ist die alleinerziehende junge Mutter, die sich und ihre kleine Tochter als Kellnerin durchbringt. Joey hat sich tatsächlich eigens auf den Weg in die Stadt gemacht, um eine Cellolehrerin zu suchen. Auch getrieben von der Hoffnung, sich mit seiner Ex-Frau und ihrer Partnerin versöhnen zu können. Und plötzlich ergeben sich unerwartete Perspektiven: Allyson und Kathleen bekommen ein Baby und fragen Joey, ob er Co-Vater werden möchte ...

Scheiternde Beziehungen, der Schmerz des Verlassenwerdens, seelisches Überleben, neue Lebensformen, Patchworkfamilien: Es sind viele wichtige Themen, die der Roman aufwirft. Er tut das auf fesselnde Weise und führt alle Themen in der Figur des Joey zusammen. Joey ist ein sympathischer Held: lakonisch, wortkarg, scheinbar rau, der sich manchmal etwas vormacht und lernen muss, dass das Leben anders funktioniert, als er es lange gewöhnt war. Das Cello spielt die Rolle eines Mediums, das gerade, weil es in den Händen des bislang unmusikalischen Mechanikers so ungewöhnlich ist, eine nachhaltige Wirkung hat und Joeys Leben in eine neue Richtung zu schubsen vermag. Erzählt ist der Roman ganz aus Joeys Perspektive und folglich so, wie Joey spricht und denkt: Knappe Sätze, die sich oft auf Äußeres beschränken und dabei doch immer auch Inneres ahnen lassen. Das gemahnt nicht von ungefähr an die US-amerikanische Tradition der Short Story. Ein sehr lesenswerter Erstling.

Besprochen von Gertrud Lehnert

Ivan E.Coyote: Als das Cello vom Himmel fiel
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Krug
Berlin: Krug & Schadenberg, 2011
224 Seiten, 19,90 Euro