"Ein besonders virtuoses Kunststück"

Moderation: Frank Meyer · 07.05.2008
Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat sich literarisch mit dem Inzest-Drama in Amstetten befasst. Der Fall bestätige auf "ebenso grauenvolle wie bizarre Weise das Bild, das sich Jelinek immer schon von Österreich und der österreichischen Provinz gemacht hat", sagte dazu der Journalist Günter Kaindlstorfer.
Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Gespräch.

Frank Meyer: Der österreichische Bundeskanzler und der Bundespräsident sagen, Amstetten ist ein Einzelfall, der nichts über Österreich insgesamt aussagt. Elfriede Jelinek sieht das sicher anders, würde ich denken, oder?
Günter Kaindlstorfer: Der Fall Amstetten ist natürlich Wasser auf die Mühlen Elfriede Jelineks, bestätigt dieser Fall doch auf ebenso grauenvolle wie bizarre Weise das Bild, das sich Elfriede Jelinek immer schon von Österreich und der österreichischen Provinz gemacht hat.
Meyer: Es gibt ja ein Thema, das im Werk von Elfriede Jelinek ganz wichtig ist, ganz zentral ist, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, zwischen Männern und Frauen. Das spielt ja nur noch im Fall dieses Vaters, der seine Tochter einsperrt und missbraucht, eine zentrale Rolle. Schreibt Elfriede Jelinek auch darüber in diesem Text?
Kaindlstorfer: Patriarchatskritik ist ein zentraler Topos im gesamten Werk von Elfriede Jelinek, so auch in diesem Text. Elfriede Jelinek hat einen pointenreichen Text geschrieben, wie ich finde, einen sogar amüsanten Text geschrieben, wie ich finde, was ein besonders virtuoses Kunststück ist über einen derart grauenhaften Fall.

Und in ihrem Text zeichnet Jelinek das Kellerverlies von Amstetten als kleines unterirdisches Patriarchats-KZ, indem die Macht, die männliche Macht, in Gestalt dieses Josef F. gewissermaßen zu sich selbst gekommen ist. Von dort ist es, wie oft bei Jelinek, nur ein kleiner Schritt weiter zur Religionskritik, denn das Christentum, die großen monotheistischen Religionen, sind ja für Jelinek patriarchale Religionen, und da schlägt sie höhnische Funken natürlich in ihrem assoziationsreichen Text, wenn sie etwa schreibt, dieser Josef F. verkörpere die heilige Dreifaltigkeit für die von ihm Weggesperrten (…) Gottvater, Großvater und Vater in einer Person. Das ist natürlich eine von vielen Pointen in diesem Text, aber natürlich eine Pointe, bei der einem auch das Lachen im Halse stecken bleibt.

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Das vollständige Gespräch mit Günter Kaindlstorfer können Sie bis zum 07.10.2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio