Ehrgeiziges Ziel

Von Carsten Kühntopp · 15.03.2010
Ausgerechnet das ölreiche Emirat Abu Dhabi baut die erste völlig CO2-neutrale Stadt der Welt. Masdar City soll als erste Stadt der Welt ihren Energiebedarf zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen decken. Ist dies ein Werbegag zum Geldverdienen oder ein seriöser Plan, um die Umwelt zu schonen?
Bauarbeiten auf einem sechs Quadratkilometer großen Areal beim Flughafen von Abu Dhabi. Angeleitet vom britischen Stararchitekten Sir Norman Foster wird hier Masdar City errichtet, eine CO2-neutrale Stadt für 40.000 Menschen. Razan al-Mubarak brennt schon darauf, einzuziehen. Sie ist Chefin der Umweltorganisation WWF in Abu Dhabi und berät Masdar:

"Damit wird ein Traum wahr. Wir alle wollen eine hohe Lebensqualität, wir wollen die Umweltressourcen schonen, und wir wollen unseren Kindern und Kindeskindern einen gesunden Planeten hinterlassen. Auf diesen Grundlagen baut Masdar City auf."

Die Stadt ist der Kern der staatlichen Masdar-Initiative. Masdar heißt "Quelle" oder "Ursprung". Langfristig will Abu Dhabi damit zum Weltführer im Bereich alternative Energien werden. Öko-Technologe und grünes Know-How sollen überallhin exportiert werden. Der Chef von Masdar, Sultan al-Jaber:

"Es wird Firmen aus der ganzen Welt anziehen, genauso wie Banken uund Beteiligungsgesellschaften - und Unternehmen, die ihre Forschung und Entwicklung hier machen möchten. Masdar City ist ganz einfach die Lösung für die gesamte Wertschöpfungskette im Bereich erneuerbare Energien."

Doch die Weltwirtschaftskrise macht auch Masdar zu schaffen. Ein Bauauftrag für eine wichtige Sonnenenergieanlage musste letztes Jahr verschoben werden. Und kürzlich wurde bekannt, dass sich das ambitionierte Ziel, Masdar City bis zum Jahr 2016 fertigzustellen, nicht halten lässt.

Realistischer sei nun das Jahr 2023, heißt es hinter den Kulissen. In der Tat ist das Masdar-Projekt komplexer als gedacht. Viele der Innovationen, die es braucht, um eine CO2-neutrale Stadt Wirklichkeit werden zu lassen, werden das erste Mal in solch einer Größenordnung umgesetzt.

Noch ist längst nicht bis ins Detail klar, was Masdar City CO2-neutral machen wird. Viele technische Probleme müssen erst noch gelöst, viele Erfindungen erst noch erfunden werden. Das ist die wohl wichtigste Aufgabe des "Masdar-Instituts für Wissenschaft und Technologie", einer Art Öko-Uni in Abu Dhabi; seit dem letzten Herbst läuft dort das erste Semester. Der deutsche Ingenieur Olaf Göbel hat keinen Zweifel: Abu Dhabi meint es ernst. Göbel baut Solaranlagen bei Masdar:

"Das Problem ist eigentlich das, dass da, wo das Geld ist und das Umweltbewusstsein ist, da ist keine Sonne. Da, wo die Sonne ist, zum Beispiel in Nordafrika, da ist kein Geld, und wenn es irgendwo Sonne und Geld gibt, wie in den Ölländern, dann haben die Öl, und deshalb interessieren die sich nicht für Sonne.

Abu Dhabi ist jetzt ein ölexportierendes Land, und wenn die das jetzt machen wollen - das war auch der Grund, wieso ich hergekommen bin - das ist eine Sache, die hat Potenzial!"

Im Sommer erhielt Abu Dhabi den Zuschlag für den Sitz von IRENA, der neuen "Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien": Sie wird ihr Hauptquartier in Masdar City haben. Beworben hatte sich auch Bonn - vergebens. Doch Abu Dhabi setzt nicht nur auf "grün": In wenigen Jahren wird das erste Atomkraftwerk der Vereinigten Arabischen Emirate ans Netz gehen.

Die Ökostadt Masdar und das erste arabische AKW - niemand in Abu Dhabi sieht da einen Widerspruch. Da der Strombedarf in den nächsten Jahren auch weiter dramatisch steigt, hat man aus Sicht der Herrscher kaum eine andere Wahl.